Klar, auf den ersten Blick mutet das sympathisch an. Die Idee der Leichten Sprache soll den Zugang zu schriftlichen deutschen Texten jenen Leuten erleichtern, die Mühe haben, komplexere – oder auch nur kompliziert formulierte – Inhalte zu verstehen. Da es in der kleinen Schweiz immerhin rund 800 000 Menschen geben soll, die aus verschiedenen Gründen nicht richtig lesen können, ist das Konzept einer konsequent vereinfachten Sprache für viele Mitbürger zweifellos ein Segen.
Simplifizierung und Wahrheit
Das gilt wohl uneingeschränkt dann, wenn es sich um Bürokraten- und Juristen-Jargon, um Fachchinesisch von weltfremden Soziologen und Philologen, um sprachlich undurchdringliche Gebrauchsanweisungen für Computer oder Medikamente geht. In solchen Fälle lassen sich auch sprachlich versierte Zeitgenossen und Leseratten unschwer von den Zielen der Leichten Sprache überzeugen. Zu den Grundelementen der „Leichten Sprache“ zählen laut Wikipedia unter anderen folgende Regeln: Es werden kurze Sätze verwendet. Jeder Satz enthält eine Aussage. Es werden Aktivsätze eingesetzt. Der Konjunktiv wird vermieden. Wenn Fremdwörter oder Fachwörter vorkommen, werden sie erklärt.
Auf den zweiten Blick erscheint die Idee von der Leichten Sprache aber schon wesentlich problematischer. Das gilt vor allem dann, wenn es um Texte geht, bei denen es entscheidend auf sprachliche und inhaltliche Differenzierungen ankommt – wie zum Beispiel um die Beurteilung von politisch komplexen Ereignissen oder um die Interpretation literarischer Nuancen.
Die NZZ zitierte vor einiger Zeit einen kurzen Text in Leichter Sprache, den der Deutschlandfunk gemeinsam mit der Fachhochschule Köln über den Gaza-Krieg 2011 auf der Website „nachrichten-leicht.de“ veröffentlichte. Man greift sich an den Kopf. Wer die paar wenigen Sätze liest, muss automatisch zum Schluss kommen, dass bei diesem Krieg allein die israelischen Soldaten die Aggressoren waren. Kein Wort über die bei diesem Krieg vorausgegangenen Raketenangriffe aus dem Gazastreifen gegen israelisches Territorium.
Auch die Vorstellung, jemand könnte auf die Idee kommen, anspruchsvollere literarische Werke wie Thomas Manns „Zauberberg“ mit seinen mitunter ellenlangen und häufig ironisch eingefärbten Sätzen liesse sich in das Medium der Leichten Sprache „übersetzen“, würde den Initianten eines solchen Unternehmens und ihrem Menschenverstand kein gutes Zeugnis ausstellen. Möglich ist allenfalls, den Inhalt dieses vielschichtigen Romans in Leichter Sprache zu resümieren – etwa für ungeduldige Gymnasiasten oder interessierte Literaturliebhaber mit begrenzten Deutschkenntnissen.
Braucht es neue Regelwerke?
Auch auf den dritten Blick wird die Leichte Sprache nicht einfacher. Darauf verweist uns der Abschnitt Leichte Sprache auf der Website des Deutschen Bundestages. Diese um Bürgernähe bemühte Institution bietet nicht nur verschiedene Verlautbarungen in Leichter Sprache an, sie informiert auch in musterhaft kurzen Sätzen und hinzugefügten zeichnerischen Illustrationen, was „Leichte Sprache“ eigentlich ist. Da liest man im Abschnitt über „Regeln der Leichten Sprache“: „In der Leichten Sprache schreiben und sprechen ist schwer. Dafür gibt es aber Regeln. Diese Regeln müssen geübt werden. Und zwar ganz oft.“
Warum man diese Leichte Sprache wiederum in ein komplexes und schwieriges Regelwerk einzwängen muss, leuchtet überhaupt nicht ein. Da empfiehlt sich viel eher die Einhaltung des obersten Journalisten-Gebots: Je verständlicher ein Text geschrieben ist, desto besser die Chance, dass er vom Publikum auch gelesen wird.
Dazu braucht es keine neuen Sprachvorschriften und bürokratisch organisierte Vereine, die in ominöser Nähe zu Orwells „Newspeak“-Behörde die Einhaltung einer korrekten, weil angeblich „barrierefreien“ Leichten Sprache überwachen. Dazu braucht es nichts anderes als gesunden Menschenverstand und sprachliches Fingerspitzengefühl. Auch das kann und soll man üben.