Gewürzt mit einer kräftigen Portion schwarzen britischen Humors, erzählt die Spionage-Serie «Slow Horses» von einer Truppe abgehalfterter Jung-Agenten, deren ungewaschener Chef mit allen Wassern gewaschen ist – während sich die Geheimdienst-Chefin allzu oft selbst ein Bein stellt.
Wladimir Putin hat es übertrieben. Als er zwei Agenten nach England schickt, um dort einen Ex-Agenten umzubringen – der Fall Skripal lässt grüssen - , ahnt er noch nicht, dass seine Gegenspielerin Diana Taverner auch so ihre Mittel hat. Lange hat sie mit spitzen Ellenbogen daran arbeiten müssen, an die Spitze des Inlandsgeheimdienstes MI5 zu kommen. Jetzt verbündet sie sich mit Peter Judd, der einmal weit oben rangierte in der Politiker-Hierarchie, bevor er steil abstürzte – und gleichwohl noch immer die Fäden zieht. Sie mag in nicht, aber er ist ihr nützlich. Wie wäre es, fragt er, wenn sie, Diana, Mittel hätte, die sie einsetzen könnte, ohne jedes Mal ihre Vorgesetzten fragen zu müssen?
Abgeschoben wegen erwiesener Unfähigkeit
So findet sich denn ein Kreis verschwiegener Geldgeber, der Dianas neuestes Abenteuer unterstützt: Von einer Auftragskillerin lässt sie eine Attentäterin in Russland zur Strecke bringen. Und erntet bei einem Mittagessen mit ihren Gönnern lebhafte Anerkennung. Wäre da nicht dieser lästige junge Mann neben ihr gewesen, ein schwerreicher Internet-Unternehmer, das Essen hätte das reinste Vergnügen sein können.
Doch im Augenblick des Erfolgs bahnt sich die Revanche des Mannes im Kreml an, unauffällig und auf verschlungenen Pfaden, gewürzt mit einer prächtigen Portion schwarzen britischen Humors, wie Mick Herron es liebt. «Slough House» - was zu deutsch «Sumpfhaus» oder auch «Drecksloch» bedeutet - ist der Titel dieses siebten Abenteuers für jene Truppe, die beim MI5 abschätzig «Slow Horses» genannt werden – lahme Gäule. Es sind zumeist junge Leute, vom MI5 in ein nahezu baufälliges Haus abgeschoben wegen erwiesener Unfähigkeit.
Etwa weil sie eine CD mit Geheimdienst-Informationen in der U-Bahn haben liegen lassen. Weil sie eine Zielperson verloren oder beinahe eine Panik an einem Bahnhof ausgelöst haben. Oder weil man Kinderpornografie auf ihrem Laptop gefunden hat. Wobei in diesem letzten Fall Zweifel bestehen, ob der Abgeschobene auch tatsächlich der Missetäter ist. Vielleicht war es auch eine Falle. Doch weshalb?
Jackson Lamb und seine Chefin
Zuoberst im Haus sitzt Jackson Lamb, dessen Manieren stark zu wünschen übrig lassen, der aber, im Krisenfall, so scharfsinnig zu agieren versteht, wie man es ihm bei seinem stark vernachlässigten Äusseren kaum zutrauen würde. Seiner Chefin Diana Taverner, die ihn samt seiner Truppe ab und an gerne loswerden würde, ist Lamb jederzeit gewachsen. Und wenn der Haussegen am einen oder andern Ort wieder einmal besonders schief hängt, treffen sie sich auf jener Parkbank an der Themse, die von keiner einzigen Kamera erfasst wird.
Der Kalte Krieg ist vorbei, das merkt man rasch. Friedlicher ist die Welt nicht geworden, aber dafür entschieden unübersichtlicher. Nicht immer droht von den Russen Gefahr, sie lauert durchaus auch im Inneren der Geheimdienste selbst. Schon «Slow Horses», mit dem die Serie begonnen hat, handelt über weite Strecken von einem Schlamassel, das Diana Taverner angerichtet hat, und das ihr nur schwer wieder aus der Welt zu schaffen gelingt. In «Real Tigers» werden die «Gäule» zu Marionetten im Spiel um die Macht im MI5 zwischen zwei rivalisierenden Direktorinnen und einem Innenminister, der verdächtige Ähnlichkeiten mit Boris Johnson hat. In «London Rules» stolpert das Slough-House-Personal durch einen Sumpf aus Lügen und Intrigen, nachdem ein Trupp Söldner ein ganzes Dorf ausradiert hat. In «Spook Street» taucht der abtrünnige amerikanische Spion Frank Harkness auf, leiblicher Vater von River Cartwright und Ex-Schwiegersohn von David Cartwright, einer Geheimdienst-Legende. Die in «Joe Country» unter grossem Brimborium, aber selbstverständlich geheim zu Grabe getragen wird, bevor es im tiefen Schnee von Wales turbulent weiter geht.
So ist diese Geheimdienst-Welt: Unübersichtlich, überraschend, unterhaltsam, und bevölkert von eigensinnigen, manchmal leicht psychopathischen jungen Leuten, denen bei allem Dilettantismus und bei allen Seltsamkeiten doch immer wieder Erstaunliches gelingt. So sieht denn auch Diana Taverner am Ende ein: Sie braucht diese widerborstige Truppe. Schliesslich will sie Chefin bleiben. Was nicht nur wegen Putin schwer genug ist.
Mick Herrons Serie über die Slow Horses ist im Diogenes-Verlag erschienen. In folgender Reihenfolge: Slow Horses (2019), Dead Lions (2020), Real Tigers (2020), Spook Street (2021), London Rules (2022), Joe Country (2023), Slough House (2024)