Nach wie vor ist die Berichterstattung über Israels Vergeltungskrieg in Gaza bruchstückhaft. Nun fordern demokratische Senatsmitglieder, das US-Aussenministerium müsse sich stärker für den Zugang ausländischer Medien zum Küstenstreifen einsetzen. Doch der News-Blackout ist im Interesse der israelischen Regierung, die kritische unabhängige Medien wie die Tageszeitung «Haaretz» drangsaliert.
CNN berichtete am Wochenende als Erste über den Brief von zwölf demokratischen Senatorinnen und Senatoren an Aussenminister Anthony Blinken. Das mit mehreren Fussnoten versehene Schreiben fordert den Chef des State Department auf, dem Zugang ausländischer Medien nach Gaza und ihrer Sicherheit Dringlichkeit einzuräumen: «Die Vereinigten Staaten müssen Israel deutlich machen, dass das Ins-Visier-Nehmen von Medienorganisationen und Mitgliedern der Presse unzulässig ist.»
Der vierseitige Brief erwähnt, dass die Hamas ihrerseits vor dem Massaker in Israel am 7. Oktober 2023 die Pressefreiheit in Gaza untergraben sowie Medienschaffende belästigt, behindert und gefoltert hat. Auch hätten sich unter den 1’200 Opfern am 7. Oktober israelische Medienschaffende befunden.
Die zwölf Demokratinnen und Demokraten verurteilen die Aktivitäten der Hamas aufs Schärfste, sowohl was die Unterdrückung des palästinensischen Volkes als auch die Attacken auf Israelis betrifft: «Wir müssen jedoch an unsere engsten demokratischen Verbündeten und Partner einen höheren Standard anlegen als an eine Terror-Organisation, wenn es um den Schutz des demokratischen Grundwerts der Pressefreiheit geht.»
Die demokratischen Politiker hatten bereits im vergangenen Dezember US-Präsident Joe Biden gebeten, sich für die Pressefreiheit in Konflikten einzusetzen. Doch seither hat sich die Lage noch verschlechtert. Die NGO Reporter ohne Grenzen (RSF) spricht von einem «Informationsblackout» im Küstenstreifen: «Seit der von der Hamas gestarteten Attacke auf Israel am 7. Oktober 2023 hat die israelische Armee (IDF) in Gaza über 140 Medienschaffende getötet.» Unter ihnen seien mindestens 34 Leute gestorben, während sie im Einsatz waren. Auch das «Committee to Protect Journalists» (CPJ) spricht nach wie vor von Israels «systematischer Attacke auf Medienschaffende und die Medien-Infrastruktur».
Dagegen haben die IDF wiederholt dementiert, Journalistinnen oder Journalisten gezielt anzugreifen. «Medienschaffende in Gaza zu töten, ist ein unbarmherziger Versuch, die Wahrheit zu erwürgen», sagt allerdings Yanis Varoufakis, Mitbegründer von CPJ: «Doch vielleicht noch viel bedenklicher ist die Rolle etablierter Medien, Israels völkermörderischen Angriff auf Palästinenserinnen und Palästinenser weisszuwaschen.»
Währenddessen untersagt Israel nicht nur internationalen Medien den Zugang zu Gaza, es macht auch unliebsamen nationalen Medien wie der linksliberalen «Haaretz», Israels ältester, 1918 gegründeten Tageszeitung, das Leben schwer. Auf Antrag von Kommunikationsminister Shlomo Karhi hat die Regierung in Jerusalem am 24. November beschlossen, «Haaretz» künftig zu boykottieren und jegliche amtliche Werbung in den Seiten oder auf der Website der Zeitung zu stoppen: «Wir werden keine Wirklichkeit tolerieren, in welcher sich der Herausgeber einer öffentlichen Zeitung im Staat Israel für den Erlass von Sanktionen gegen diesen Staat stark macht und während eines Krieges Feinde dieses Staates unterstützt und von diesem subventioniert wird.»
«Haaretz»-Herausgeber Amos Schocken, ein Spross der Besitzerfamilie, hatte zuvor an einer Konferenz in London der israelischen Regierung vorgeworfen, «der palästinensischen Bevölkerung ein grausames Apartheid-Regime aufzuzwingen» und «palästinensische Freiheitskämpfer zu bekämpfen, die Israel Terroristen nennt». Schocken verdeutlichte später, dass er damit nicht die Hamas gemeint habe.
«Haaretz» hatte aber auch einen Leitartikel über die Hamas publiziert, der als illegitim definierte, «absichtlich Zivilisten zu schaden». Gewalt gegen Zivilisten einzusetzen und unter ihnen Terror zu säen, um politische oder ideologische Ziele zu erreichen, sei Terrorismus. Jede Organisation, die für den Mord an Frauen, Kindern und älteren Menschen plädiere, sei eine Terror-Organisation und ihre Mitglieder seien Terroristen: «Sie sind mit Sicherheit keine ‘Freiheitskämpfer’.»
«Haaretz» weigert sich, jene Einschränkung der Berichterstattung zu akzeptieren, denen die meisten etablierten Medien in Israel folgen. Chefredaktor Aluf Benn definiert diese Einengung wie folgt: «Zeige der anderen Seite gegenüber kein Mitleid.» Die überwiegende Mehrheit der israelischen Presse, so Benn, würden den Tod, die Zerstörung und das menschliche Leid in Gaza und im Libanon nicht zeigen: «Höchstens zitieren sie die internationale Kritik an Israels Vorgehen, ordnen sie aber als antisemitisch und heuchlerisch ein.»
Der Chefredaktor von «Haaretz» erwähnt auch Israels Militärzensur, die jeden Artikel zum Thema nationale Sicherheit oder Geheimdienste freigeben muss. Diese Zensur sei zwar mühsam, aber in Kriegszeiten verblasse sie im Vergleich zur Selbstzensur des Publikums: «Israelis wollen schlicht nichts wissen.» Was Ministerpräsident Benjamin Netanjahu entgegenkommt, der «Haaretz» und die «New York Times» 2012 «Israels Hauptfeinde» genannt hat und der unabhängige Stimmen seit jeher hasst.
Aluf Benn indes schreibt, seine Zeitung werde auch die jüngste Attacke Netanjahus überleben, so wie sie den Zorn und die Verachtung seiner Vorgänger überstanden habe: «Haaretz wird weiterhin seinen Auftrag erfüllen, kritisch über den Krieg und dessen Folgen für alle Seiten zu berichten: Die Wahrheit lässt sich manchmal nur schwer beschützen, aber sie sollte nie zum Kriegsopfer werden.»
Derweil beginnt morgen Dienstagvormittag in einem aus Sicherheitsgründen unterirdischen Saal des Bezirksgerichts in Tel Aviv der Strafprozess gegen Benjamin Netanjahu, der bis zu drei Mal die Woche aussagen muss. Dem Premier wird Korruption, Betrug und Vertrauensbruch vorgeworfen, was, sollte er wegen Bestechlichkeit verurteilt werden, eine Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren nach sich ziehen kann und Haft bis zu drei Jahren, wenn er wegen Betrugs und Vertrauensbruchs verurteilt wird. Netanjahu hat alle Vorwürfe dementiert und sie als von Polizei und Justiz inszenierte Hexenjagd sowie als «Putschversuch» bezeichnet: «Die Öffentlichkeit hat das Vertrauen in das Justizsystem verloren.»
Der erste Fall beinhaltet Anschuldigungen, von Milliardären angeblich im Austausch für Begünstigungen Geschenke wie Champagner, Zigarren und Schmuck im Wert von rund 174’000 Franken entgegengenommen zu haben. Der zweite Fall wirft dem Premier vor, mit «Yedioth Ahronoth», Israels auflagenstärksten Zeitung, konspiriert zu haben, um sich als Gegenleistung für die Schwächung der Konkurrenz eine vorteilhafte Berichterstattung zu sichern. Im dritten Fall ist Benjamin Netanjahu angeklagt, der Telekommunikationsgesellschaft Bezeq staatliche Anreize von annährend 226 Millionen Pfund offeriert zu haben, damit deren Website positiv über ihn berichte.
Der Prozess in Tel Aviv ist ein weiteres Indiz dafür, dass Israels Justiz nach wie vor funktioniert – allen Bemühungen der rechtsextremen Regierung in Jerusalem zum Trotz, sie gefügig zu machen. Dasselbe gilt für eine mutige Zeitung wie «Haaretz», die sich seit langem dagegen wehrt, sich von Politikern kontrollieren zu lassen, deren Beteuerungen unter dem Mäntelchen des Patriotismus, sich allein für Israel einzusetzen, hohl klingen angesichts ihrer Bemühungen, persönliche Interessen zu verfolgen oder einer bestimmten Ideologie zum Durchbruch zu verhelfen.