John Kerry hat die Gespräche in Genf zwischen den UN-Vetomächten und Deutschland mit den neuen Herren in Teheran als eine Tür bezeichnet, die für eine Vereinbarung «sperrangelweit offen» stehe. Am selben 15. Oktober wollten zehn einflussreiche US-Senatoren mit dem Republikaner John McCain an der Spitze im Falle einer befriedigenden Regelung zum iranischen Atomprogramm die Sanktionen lockern. Entspannung auf beiden Seiten lautet die Parole dieser Tage.
Netanjahu unnachgiebig
Dagegen hat Benjamin Netanjahu vor der Knesset solche Offerten als einen historischen Fehler bezeichnet. Nur die weitere Verschärfung der Strafmassnahmen werde die kompromisslosen Kräfte in Teheran in die Schranken weisen. Noch einen Schritt weiter ist das Jerusalemer Sicherheitskabinett gegangen, als es der iranischen Führung eine massive Täuschung der internationalen Gemeinschaft vorhielt und als Beleg zwei Sätze aus einem zwei Jahre alten Buch des heutigen Präsidenten Hassan Rouhani zitierte.
Dass Netanjahu in seinem Werk «A Place Among the Nations» von 1993 die palästinensischen Staatsbürger als grösste Bedrohung ausmachte, muss ihn nicht beschäftigen. Denn wer in den Auswärtigen Ämtern der Welt kommt schon dazu, Netanjahus politischen Werdegang aufzuarbeiten?
Rouhani ist gezwungen, zunächst einen vorsichtigen Kurs der Öffnung gegenüber dem Ausland einzuschlagen, um seinen innenpolitischen Gegnern möglichst wenig agitatorische Munition zu liefern; sein Auftritt vor der UN-Vollversammlung und sein Telefonat mit Barack Obama haben seine Gegner erheblich irritiert.
Auf solche Rücksichtnahme ist Netanjahu nicht angewiesen. Denn seine Rhetorik hat es geschafft, die Öffentlichkeit mit der Drohung zu betäuben, dass der Iran auf den zweiten Holocaust am jüdischen Volk abziele – als ob in Teheran eine Bande von Verbrechern regierte, denen jede Vernunft zum eigenen Überleben abgeht, wenn ihnen schon ein regionaler Flächenbrand gleichgültig ist.
Israelische Politik der Angst...
In das Schema, die eigene Öffentlichkeit in ständiger Angst zu halten, passen israelische Zeitungsberichte, dass eine Schülergruppe beim Besuch eines deutschen Vernichtungslagers in Polen von ihrer Lehrerin mit einem Tonband begleitet wurde, dessen Musik sie zum Weinen anhalten sollte und dass Kampfjets über Auschwitz militärische Stärke demonstrierten – ein Vorgang, der den Jerusalemer Historiker Yehuda Bauer zu der Bekräftigung veranlasste, hätte er die Wahl zwischen dem Staat Israel und dem Leben von sechs Millionen Juden, wäre seine Option eindeutig.
Dass Netanjahu sich nicht scheut, der iranischen Führung eine zwei Jahrzehnte lange Politik des Betrugs vorzuhalten, spekuliert auf die Wiederholung der willkommenen Erfahrung, dass der internationalen Staatengemeinschaft ein kurzes Gedächtnis eigen ist. Denn kaum hatte der Ministerpräsident sein Verdikt über Rouhani gesprochen, fügte er an, dass seine Regierung auf der Anerkennung Israels als Staat des jüdischen Volkes seitens seiner unmittelbaren Nachbarn beharre – wie steht es mit Palästina als Staat des palästinensischen Volkes? – und dass er eine Stationierung internationaler Truppen als Sicherheitsgarantie in der Jordansenke ablehne. Es stimmt, dass Israel mit seinem Nuklearprogramm keinem Staat mit der Vernichtung gedroht hat. Doch es stimmt auch, dass die eigenen Atomwaffen als Instrument zur potentiellen Verteidigung der vollen Souveränität über «Judäa und Samaria» dienen.
... und der Absage an den diplomatischen Weg
Netanjahus Absage an eine Zweistaatenregelung von politischem Gewicht bedeutet nichts anderes als die Ankündigung, dass die Verhandlungen mit den Palästinensern politisch ins Leere laufen sollen. John Kerry wird gut zugehört haben. Ob und welche Konsequenzen Washington aus dieser erneuten Brüskierung zieht, muss freilich mit einem dicken Fragezeichen versehen werden. Nachdem auch die Europäer seit Jahren systematisch hinters Licht geführt worden sind, ist es nicht verwunderlich, dass nicht nur in Berlin das Thema «Israel» eine frustrierte Handbewegung auslöst. Wer sich durch Auswanderung der nationalen Selbstisolierung entzieht, zieht den Vorwurf auf sich, den Staat «auf den Müllhaufen zu werfen», so Wirtschaftsminister Naftali Bennett. Allein in Berlin sollen mittlerweile fast 20’000 Israelis wohnen.
Inzwischen besucht ein Drittel aller jüdischen Grundschüler ultraorthodoxe Schulen, für deren Integration der Staat nicht aufkommen könne, heisst es. Doch vielleicht will die Gesellschaft von sich aus diesen Weg der Absonderung und Einsamkeit beschreiten, wie in der Bibel als Verheissung oder Fluch vorhergesagt ist (Num 23,9). Solche Sorgen hat die neue Regierung in Teheran nicht. Denn ihre Bevölkerung ist mit der Wahl Rouhanis zum Regime der Mullahs auf kritische Distanz gegangen.