Barbara Zangerl findet, das Terrex Fast Jacket sei die genau die richtige Jacke für steile Platten. Immerhin ist sie (die Jacke) aus Windstopper-Material und hat eine verstaubare Leichtkapuze aus winddichtem Climaproof-Material für den Extremfall. Die Spitzenalpinistin Barbara Zangerl hat schwierigste alpine Kletterrouten bewältigt, und sie wirbt jetzt für die neue Terrex-Outdoor-Kollektion der Adidas-Gruppe, die sich entschlossen hat, im Outdoor-Business auf breiter Front mitzumischen.
Wer heutzutage eine Bergtour unternehmen will, der sollte sich genau überlegen, was er da tut. Vor allem, wie er sich ausrüstet. Denn die Ausrüstung ist das eigentliche Problem. Allein die Auswahl unter Hunderten von Jackets- und Pants-Modellen ist eine Herausforderung. Man könnte fast sagen: der Kauf des Materials ist das grössere Erlebnis. Der Berg selbst ist dann – wenn man den Sportartikel-Herstellern glauben darf - kein Problem mehr. Man kann den Berg vernachlässigen.
Wer das nicht glauben will, der stelle sich einmal folgendes Szenario vor: Da hängt einer an einer glatten Platte und trägt dabei Climbing-Stretch-Pants, welche weder hinreichend Wasserdampf-durchlässig noch genügend atmungsaktiv sind. Und zu allem Übel müht er sich ab in einem Performance-Hardshell-Jacket, das kaum windabweisend ist und auch nicht die vorgeformten Ellbogenpartien besitzt. Da ist dann guter Rat teuer. Um ein Scheiten am Berg zu vermeiden, sollte man und frau eben stets die neuesten Sommer- und Winterkollektionen der Outdoor-Industrie beachten. Das muss man der Werbung jetzt einfach glauben. In einer solchen Extremsituation bleibt vielleicht nur noch eines: die Alpine Cap mit faltbarem Visier und antibakteriellem Schweissband abziehen und mit derselben das alpine Notsignal andeuten.
Wie sich die Zeiten ändern (seufz)
Meine erste Kletterhose – Ende der sechziger Jahre - war eine Kniebundhose aus Kord, Manchester-Hose hiess es damals noch. Meine Freundin hatte eine Nähmaschine und nähte mir einen doppelten Hosenboden drauf. Damit beim Abseilen im Dülfersitz nichts anbrennen konnte. Denn die Seilreibung erzeugte eine teuflische Hitze. Der Klettergurt wurde aus einem Stück Reepschnur gebunden. Wenn es unschwieriges Gelände war, brauchte es keinen Klettergurt. Man band einfach das Seil mit einem doppelten Spierenstich um den Bauch. Kaum zu glauben, aber so einfach war damals der Alpinismus für Normalverbraucher.
Es geht mir nicht darum, ein romantisches Bild der guten alten Zeit zu malen. Natürlich war jede gute alte Zeit einmal eine schlechte neue Zeit, und im Vergleich zum heutigen Alpinismus waren die Sechzigerjahre eine Plackerei am Berg. Zum Glück sind die Zeiten vorbei, da man 20-Kilo-Rucksäcke schleppen musste. Heute ist alles easy: bequeme, wasserdichte Kleidung, leichte und hocheffiziente Kletterschuhe, Sicherungsgerät aus phantastisch leichten Legierungen, der Gang zum Berg ist komfortabel geworden.
Und dennoch befällt mich in letzter Zeit immer häufiger Unwohlsein im boomenden Outdoor-Markt. Wenn ich die Monats-Hefte des Schweizer Alpenclubs anschaue, stelle ich fest, dass nicht selten knapp die Hälfte der Seiten Werbung ist. Das ist verständlich, denn die gepflegte Hochglanzbroschüre mit ihren phantastischen Bergfotos und ihrer professionellen Redaktion muss finanziert werden. Mein Unwohlsein rührt daher, dass die Verflechtung von Outdoor-Industrie und Bergsport so eng geworden ist, dass viele die Grenze nicht mehr erkennen können. Spitzen-Alpinisten verdienen ihr Geld als Werbeträger für Bergsportartikel, und die Branche bemüht sich nach Kräften, einem Massenpublikum zu suggerieren, die Ausrüstung sei das Wichtigste: das Material sei „the real thing“, denn ohne Ausrüstung kein Erlebnis.
Verwechslung von Sein und Haben
Kauf den neusten Rocker-Tourenski, dann bist du endlich der perfekte Tiefschnee-Fahrer. So lautet die Botschaft. Kauf die atmungsaktive Funktions-Unterhose aus leichter Merinoqualität mit Lycra-Beimischung, dann hast du gute Chancen auf einen Spitzenplatz beim Engadiner Skimarathon. Und kauf den Alpin-Rucksack mit dem klimaregulierenden Aircomfort-Rückensystem, dann bist du der perfekte Kletterer im steilen Fels. Da liegen Woche für Woche Werbebroschüren in meinem Briefkasten, die mir Extrem-Alpinisten über dem Abgrund zeigen, und ein derartiger Spiderman kann ich mühelos werden, wenn ich bloss den Bergschuh Tibet XY oder Nepal Extreme YX kaufe. Es ist ein wahrer Tsunami von Werbung, der die Leute in Massen in die Outdoor Shops spült. Wir sollen kaufen, was wir sein wollen. Aber Vorsicht: Da wird uns eine Ideologie gepredigt, die auf fatale Weise Sein und Haben vewechseln.
Abgesehen von den skurrilen Auswüchsen des Geschäfts. Zum Beispiel dort, wo smarte Designer am Werk sind, die den grössten Blödsinn produzieren: „Der Ultraleichte Titanlöffel, der mit 21,5 cm genügend lang ist, um direkt aus den Tüten gefriergetrockneter Nahrung zu essen.“ Kein Mensch hat mir bislang erklären können, warum seit ein paar Jahren die Tourenski an den Spitzen so wenig hochgebogen sind, dass sie sowohl beim Aufstieg als auch bei der Abfahrt leicht im Schnee stecken bleiben, was manchmal Stürze zur Folge hat. Kein Mensch weiss, warum den Touren-Skifahrern ein Jahrzehnt lang Teleskop-Stöcke verkauft wurden, bei denen der Drehverschluss oft nicht packte, sodass Mann oder Frau im dümmsten Moment plötzlich mit einem 30 cm langen Zwergenstock am Hang stand. Es gab unbrauchbare Steigeisen, nicht funktionierende Seilbremsen… die Liste der Flops ist lang.
Outdoor-Geschäft oder Glaubwürdigkeit des Alpinismus
Das touristische Wachstum in den Alpen stagniert. Unter den Bergbahnen und Liften findet ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb statt. Grosse börsenkotierte Tourismus-Konzerne übernehmen das Ruder, kleinere Tourismus-Zentren und Bergbahnen werden verschwinden. Das scheint aber den Sektor Bergsportausrüstung und Outdoor-Bekleidung kaum zu beeinträchtigen. Die Umsätze der Outdoor-Branche sind in den letzten Jahren unaufhörlich gewachsen. Keine Sportart verzeichnet ähnliche Steigerungen. Wandern, Bergsteigen und Skifahren sind nach wie vor die beliebtesten Freizeitaktivitäten der Schweizer Bevölkerung.
Ich bin überzeugt, dass Outdoor-Kleidung viel mit Verkleidung zu tun hat. Mit der Lust am Kostümwechsel. Man beobachte den Aufmarsch der Skianzüge am Lift. Ein bunter Karnevalszug, eine Lifestyle-Demonstration. Ein Défilé der Masken und Kostüme, oder besser: der Helme und Kostüme. Ähnliches führen zum Beispiel die Touristen vor, die ihren Rucksack so packen, dass das Bergseil auf beiden Seiten pittoresk in langen Schlaufen heraushängt. Sie signalisieren eine Lifestyle-Form: Ich bin ein Kletterer, ich liebe das Abenteuer (Das Erste, was ich als Alpinist lernte, war, dass Seilschlaufen, die zum Rucksack heraushängen, gefährlich sind. Wenn sie sich an einem Stein oder einem Ast verfangen, kann ein böser Sturz die Folge sein). Zur unschönen Kehrheite des Outdoor-Booms gehören unter anderem die Chemikalien, die verarbeitet werden, um die Ware herzustellen. Sie belasten die Umwelt, weil sie nur über extrem lange Zeiträume abgebaut werden. Aber das ist eine andere Story.
Erlebnisse kann man nicht kaufen
Was mich vor allem beunruhigt, ist die Tatsache, dass der traditionelle Alpinismus als Breitensport und als Naturerlebnis immer mehr überschwemmt und verschüttet wird von einer schönen neue Shoppingwelt. Eine schwindelerregende Entwicklung, die sich seit langem abzeichnet. Der Bergsport, die selbstbestimmte Suche nach einer Begegnung mit der Natur, droht unterzugehen im Tsunami der Verkäufer, die die Alpen für den schnellen und bequemen Konsum vermarkten. Der Konsument kauft nicht den Bergschuh, sondern die Erlebnis-Welt von Freiheit und Wildnis, die den Schuh als Aura umgibt. Er kauft nicht den Schuh, sondern das von der Werbung versprochene Abenteuer. Die Konsumgesellschaft will Erlebnisse kaufen können. Aber käufliche Erlebnisse sind keine Erlebnisse mehr.
Bisweilen befällt mich im Traum eine teuflische Versuchung. Ich ziehe mir noch einmal Wollpullover, Kordhose und Gamaschen an und begebe mich mit uralten Tourenskiern in den Schnee. Dann fahre ich vom Gipfel leidliche Bögen in den Bruchharsch - vorbei an traurigen Gestalten, die nicht skifahren können und mit ihren atmungsaktiven Himalaya-Functional-Pants kopfüber im Schnee stecken. Mit ihren stufenlos verstellbaren hochmodularen Carbon-Skistöcken winken sie um Hilfe. Ich fahre aber ungerührt weiter - mit dem satanischen Grinsen eines bösen, alten, konsumfeindlichen Spielverderbers.