Seit das Schweizervolk am 12. Februar 2017 die Vorlage zur Unternehmenssteuerreform III abgelehnt hat, wird die Nachfolgevorlage durch zwei unversöhnliche Lager mit Verve und viel Druckerschwärze gut- oder schlechtgeredet. Dabei wird sich einmal mehr zeigen, ob sich das Land reformfähig erweisen oder ob stures Festhalten an „Prinzipien“ auch diese Kompromisslösung bachab schicken wird. Das wäre allerdings kein Ruhmesblatt.
Seit Jahren kritisiert das Ausland gewisse Steuervorteile, die einzelne Kantone ausländischen Firmen gewähren. Soll die Schweiz nicht „bestraft“ werden, muss sie diese nicht länger akzeptierten Steuerprivilegien internationalen Anforderungen anpassen und auf diese Weise wieder Rechtssicherheit schaffen. Damit diese dringende Reform nicht auch im zweiten Anlauf abgelehnt wird, wurde sie mit einem „Zückerchen“ besser verdaubar gemacht: Zwei Milliarden Franken sollen jährlich der AHV zugutekommen. Jetzt behaupten Gegner der Vorlage, es handle sich um einen faulen Kuhhandel.
Kuhhandel oder Prinzipienreiterei?
Eines muss man den Gegnern zugestehen: Dieser Kuhhandel wird natürlich die grossen strukturellen Probleme der AHV nicht lösen. Bedingt durch die laufend steigende Lebenserwartung der Bevölkerung – immer weniger Arbeitende müssen für immer mehr AHV-Bezüger aufkommen – fehlen im AHV-Fonds bekanntlich Milliardenbeträge und das Loch wird von Jahr zu Jahr grösser. Zudem bemängeln die Gegner die unschöne Seite dieser Vorlage: Die Verknüpfung dieser beiden Geschäfte verstosse gegen die „Einheit der Materie“ und sei deshalb nicht zu akzeptieren.
Ist diese Kritik nicht eher eine Prinzipienreiterei? Ist die formale Problematik nicht vielleicht ein (diesmal) vernachlässigbarer Aspekt? Wir erinnern uns der Argumentation der Gegner der Unternehmenssteuerreform III im Winter 2016/17: Bei deren Ablehnung werde man innert Rekordzeit eine neue, bessere Vorlage ausarbeiten, um so dem Wirtschaftsstandort Schweiz nicht zu schaden. Dieses Versprechen würde sich in Luft auflösen, wenn auch die jetzige Abstimmung negativ verliefe. Auch deshalb darf argumentiert werden, die Opposition bausche eine eher nebensächliche (prinzipielle) Begleiterscheinung der vorgesehenen Lösung unnötig auf. Eine Kompromisslösung ist nicht immer ein Kuhhandel.
Kein einfacher Entscheid
Es gehört zu unserer direkten Demokratie, dass wir regelmässig an der Urne über Regierungsgeschäfte zu urteilen haben, deren Details und Folgen für den Einzelnen gar nicht abzuschätzen sind. Und so legt man dann eben ohne vollständigen Überblick ein Ja oder Nein in die Urne, oft aus parteipolitischen oder ideellen Gründen. Wie immer tragen die verkürzten Plakatbotschaften nicht wesentlich zur Entscheidungsfindung bei.
In diesem Fall ist das „Arbeitsplätze sichern. Schweiz stärken!“ – die Plakatbotschaft der Befürworter – jedenfalls eine Argumentation, der auch die Gegner zustimmen könnten. Das „Milliarden-Bschiss am Mittelstand!“ als aufgeregte Anklage der Gegner dürfte andererseits auch potentielle Befürworter alarmieren. Das „Wir bezahlen, Grossaktionäre profitieren. So nicht!“ als Ergänzung zum „Bschiss“ ist eine nichtssagende Behauptung, mehr nicht. „So nicht!“ möchte man in diesem Fall auch den vermeintlich cleveren Polit-Werbern zurufen.
So oder so, der Entscheid an der Urne fällt nicht leicht. Vielleicht am ehesten hilft der Gedanke, dass ein Nein Gift wäre für unsere Exportindustrie, die für einen Grossteil unseres Wohlstands garantiert. Daneben wäre die weitere zeitliche Verzögerung der AHV in Kauf zu nehmen.
Strukturelle Reform der AHV
Wirklich unschön am Ganzen ist, dass die überfällige Reform der AHV nicht vorwärtskommt. Leider haben wir uns schon daran gewöhnt, dass solche eminent wichtigen Reformgeschäfte in Bern laufend nach hinten geschoben werden. Ist es die Angst vor dem Verdikt des Volkes oder ganz einfach die bequeme Haltung des „nach mir die Sintflut“, welche diese rückwärtsgerichtete Tendenz stärkt?
Bereits dieses Jahr wird die AHV rund 1,2 Milliarden Franken mehr ausgeben als einnehmen. Bis bei diesem Trend der Topf ganz leer wäre, ginge es noch rund zwanzig Jahre. Die direktdemokratische Herausforderung ist offensichtlich. Statt die Grosseltern gegen deren Enkel auszuspielen, wäre jetzt dringend nach Kompromisslösungen zu suchen, die diesen Namen verdienen.
Angesichts des demographischen Trends wird die Erhöhung des Rentenalters unumgänglich werden. Diese ist so unpopulär wie nur irgend etwas, doch werden wir nicht darum herumkommen. Also werden sich die Politiker zusammenraufen müssen. Arbeiten im Alter liegt im Trend – jedoch nicht in jedem Beruf. Demnach ist eine Flexibilisierung der Pensionierung angezeigt. Staatliche Anreize sollten einen entsprechenden Entscheid auch finanziell akzeptierbar machen. Das Schweizervolk will keinen Generationenkonflikt. Heute solidarisch Prioritäten zu setzen, dürfte überwiegend Anklang finden.
Plädoyer für helvetischen Kompromiss
Seit die SVP der Schweiz Ende März 2019 Stimmfreigabe und deren Sektion Zürich gar ein Ja beschlossen hat, ist ein echt helvetischer Kompromiss in die Nähe gerückt. Alle grossen Parteien, der Bundesrat, die Kantone, Economiesuisse und Gewerbeverband, auch der Arbeitgeberverband, sie alle sind nach monatelangen Diskussionen zum Schluss gelangt, dieser Vorlage dürfe – trotz offensichtlicher Mängel – zugestimmt werden. Im Nein-Lager verharren nur die GPS, GLP, die Jungparteien der SVP, BDP und GLP sowie die Juso.
Auch bei dem zu erwartenden Ja am 19. Mai 2019 zur Steuerreform/AHV-Finanzierung darf der laut und deutlich ergangene Aufruf an unsere Parlamentarierinnen und Parlamentarier nicht ungehört im Raum verhallen: Setzt euch endlich ein für eine echte AHV-Reform und weitere überfällige Reformschritte unserer verkrusteten politischen Strukturen!