Die Parteizentrale der französischen Sozialisten in der Pariser Rue de Solferino neben dem Orsay–Museum war noch nie ein besonders bunter und lebendiger Ort gewesen. Im Gegenteil, es riecht dort seit Jahren eher nach Staub, auch wenn man diesen Parteisitz jüngst anlässlich der 30-Jahrfeier des Wahlsiegs von Francois Mitterrand 1981 ein wenig herausgeputzt und einen Tag der offenen Tür veranstaltet hatte.
Dieser fand am 10. Mai statt. Vier Tage später wurde Dominique Strauss-Kahn, kurz DSK, am JFK Airport in New York in letzter Minute aus einer startbereiten Air France Maschine Richtung Paris geholt und auf ein Polizeikommissariat in Manhattan gebracht.
Als die sozialistische Parteichefin Aubry zwei Tage nach diesem politischen Erdbeben im Haus Nummer 10 der Rue de Solferino erschien, war das Wort vom „11. September der Sozialisten“ schon in aller Munde und die Parteivorsitzende hatte Tränen in den Augen – eigentlich fehlt dem Parteigebäude derzeit nur noch eine Fahne auf Halbmast.
Der Fraktionschef der PS und andere sozialistische Spitzenpolitiker haben betont, die “New Yorker Ereignisse“ - wie man bewusst neutral formuliert - seien eine Angelegenheit des Dominique Strauss-Kahn und nicht eine Sache der Sozialistischen Partei. Doch das ist reine Augenwischerei. Natürlich wird von dieser Strauss-Kahn Affäre etwas an der Partei haften bleiben - wie ein langsam wirkendes Gift wird sie den Sozialisten den kommenden Präsidentschaftswahlkampf versauen. Was wollen diese Sozialisten den Franzosen jetzt zum Beispiel noch zum Thema Moral erzählen? Und welchen Sinn hat es noch, Staatspräsident Sarkozy - auch wenn das berechtigt ist - weiterhin als Freund der Reichen und Superreichen anzuprangern, wo doch nun auch der Letzte in Frankreich gesehen hat, dass Dominique Strauss Kahn ebenfalls zu dieser Welt der Superreichen gehört, die seit Jahrzehnten keine Metro mehr von innen gesehen haben und nicht wissen, was ein Metroticket oder eine Baguette kosten?
Nur vereinzelte Stimmen merkten bei all der Fassungslosigkeit der französischen Sozialisten an, dass niemand unersetzlich sei - Mitterrands früherer Spezialberater Jacques Attali hatte dies nur wenige Stunden nach DSK's Verhaftung als erster an einem frühen Sonntag Morgen öffentlich getan. Im Prinzip hat er damit zwar Recht und doch liegen die Dinge für Frankreichs Sozialisten nicht ganz so einfach.
Trouble in der sozialistischen Partei
Sie dürfen sich zur Zeit sogar noch damit trösten, dass Präsident Sarkozy in Meinungsumfragen mit Blick auf die Präsidentschaftswahl 2012 von Strauss-Kahns Fahrt in die Hölle nicht im geringsten profitiert: auch Parteichefin Martine Aubry, aber vor allem der ehemalige PS – Vorsitzende und Ex-Lebensgefährte von Ex-Präsidentschaftskandidatin Segolene Royal, Francois Hollande, würden laut dieser Meinungsumfragen Nicolas Sarkozy mehr als deutlich schlagen.
Doch derartige Prognosen wollen, so lange Zeit vor einer Wahl, nicht sonderlich viel heissen, zumal die Sozialisten, noch bevor der Schock über Strauss-Kahns New Yorker Affäre einigermassen verdaut war, bereits wieder mit dem internen Wadenbeissen und Messerstechen begonnen haben.
Francois Hollande, der sich als "normaler Kandidat" präsentiert, ohne Starattituden und das Klimbim der Kommunikationsstrategen, sich aber ideologisch von StraussKahn kaum unterscheidet und bereits vor einigen Wochen klargemacht hatte, dass er zu den offenen Vorwahlen der Sozialisten im Herbst auf jeden Fall antreten wird, - ihm weht nach Strauss-Kahns Ausscheiden plötzlich der feindliche Wind anderer und namhafter Genossen ins Gesicht. Altvordere wie Ex–Premier Fabius, die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Royal oder der Pariser Bürgermeister Delanoe verbünden sich gegen ihn und drängen Parteichefin Martine Aubry, in den Ring zu steigen. Dabei ist hinlänglich bekannt, dass es der Tochter von Jacques Delors am absoluten und unumstösslichen Willen fehlt, den man braucht, wenn man das höchste Amt im Staate um fast jeden Preis erobern möchte. Dazu kommt: Man kann sich angesichts der Nähe der Positionen der möglichen Kandidaten kaum vorstellen, wie sie monatelang konträr diskutieren und um Stimmen bei den Primaries kämpfen wollen. Mit anderen Worten: die in Frankreich so genannte „Verlierer-Maschine“ der sozialistischen Partei ist bereits wieder auf Touren gekommen, man wird sich parteiintern zerreissen und zerfleischen, ohne dass dem Wähler oder den sozialistischen Parteimitgliedern verständlich werden könnte, warum man sich derart bekriegt - es sei denn auf Grund der Eitelkeiten der einen und der anderen.
Marine Le Pen darf sich freuen
Angesichts dessen wird erneut, wie bei so vielen anderen Gelegenheiten in den letzten Monaten, eine sarkastisch lachende Dritte am Rande stehen und sich beim Anblick des Spektakels die Hände reiben: Marine Le Pen, die Chefin der rechtsextremen Nationalen Front.
Ob es gefällt oder nicht - die Strauss-Kahn Affäre ist Wasser auf ihre Mühlen. Man mache sich schlicht und einfach klar: Da ist einer der angeblich mächtigsten Männer der Welt, der französischer Präsident werden wollte und plötzlich buchstäblich nackt da steht, dann zu seiner Verteidigung die teuersten Anwälte der USA engagiert, welche ihrerseits Privatdetektive anstellen mit einem Tagessatz von 5000 Dollar, um das Leben Vorleben des aus Afrika stammenden Zimmermädchens im Sofitel Hotel zu New York auszuforschen. Dieser Mann kann zudem für seine Polizeibewachung während des streng geregelten Freigangs monatlich mehr als 100 000 Dollar auf den Tisch blättern, sechs Millionen Dollar für seine Kaution vorlegen und sich, bis zum Prozess, ein goldenes Gefängnis im Süden Manhattans leisten - ein Stadthaus mit 600 Quadratmetern Wohnfläche für eine monatliche Miete von 35 000 Euros . Marine Le Pen braucht nur zu sagen: Seht hin! Die armen französischen Sozialisten aber winden sich verlegen und schauen betreten auf ihre Schuhspitzen.
Strauss-Kahns Freunde
Dann sind da aber auch noch die Freunde von Dominique Strauss-Kahn, die sich in den Tagen nach der Verhaftung des ehemaligen IWF Chefs nicht gerade mit Ruhm bekleckert und das Bild einer abgehobenen politischen Kaste, die glaubt, sich alles erlauben zu können, nur noch verfestigt haben. Diese Freunde waren schlicht fassungslos und von den New Yorker Ereignissen derart vor den Kopf gestossen, dass sie allesamt Worte wählten, für die sie sich 48 Stunden später wieder entschuldigten mussten, weil der alltägliche Machismus mit ihnen durchgegangen war.
Frankreichs legendärer Kulturminister unter Mitterrand, Jack Lang, betonte, bei den Ereignissen in der Suite 2806 des New Yorker Sofitel Hotels sei ja schliesslich niemand zu Tode gekommen - wörtlich: " Quand même, il n'y a pas eu mort d'homme "
Der unverbesserliche Medienintellektuelle Bernard Henri Levy meldete sich selbstverständlich auch zu Wort und pflaumte den interviewenden Journalisten an: "Wie können sie es wagen, auch nur eine Sekunde zu glauben, dass ich mit jemandem befreundet bin, der in der Lage wäre, etwas derartiges zu tun“, um sich dann endgültig zu disqualifizieren mit dem Satz: "Natürlich ist Dominique Strauss-Kahn nicht ein Angeklagter wie jeder andere."
Selbst einer der letzten Grandseigneurs der französischen Politik, Ex - Justizminister, ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichtes und einst einer der renommiertesten Anwälte Frankreichs, Robert Badinter, polterte ins Mikrophon, die Behandlung von Dominique Strauss-Kahn sei schockierend und gleiche einer regelrechte Hinrichtung durch die Medien.
Am schlimmsten, wenn man so sagen darf, erging es bei den hilflosen Versuchen, Strauss-Kahns Ruf zu retten, dem 72 jährigen Starjournalisten und Essayisten, Jean Francois Kahn. In seiner Empörung über Photos und Fernsehbilder von DSK als gemeinem Häftling verstieg er sich zu den Worten, bei dem Vorfall im Sofitel-Hotel zu Manhattan habe der Ex–IWF–Chef doch nicht mehr getan, als dem Dienstpersonal mal eben die Röcke zu lüften - „troussage de domestique“. Der jahrelange Herausgeber der engagierten Wochenzeitung „Marianne“ hat daraufhin sogar die Konsequenz gezogen und sich vom Journalismus endgültig verabschiedet.
Der konservative Fussfetischist
Präsident Nicolas Sarkozy hatte sich in diesen turbulenten Tagen äusserst diskret gezeigt, sich nur sehr verhalten die Hände gerieben über die Shakespeare-reife Tragödie des Dominique-Strauss-Kahn und seine konservativen Parteifreunde und Regierungsmitglieder zur strikten Zurückhaltung verdonnert - so als hätte er gewusst warum und das Risiko geahnt, dass ihm da etwas wie ein Bumerang in sein eigenes Lager zurückkommen könnte.
Denn seit gestern fehlt ihm plötzlich ein Staatssekretär in der Regierung, und zwar der für öffentliche Dienstleistungen. Der heisst Georges Thron, ist 52 Jahre alt und gleichzeitig - wie in Frankreich eben so oft - Bürgermeister einer kleinen Stadt im Pariser Süden. Dort haben jetzt zwei ehemalige weibliche Angestellte des Rathauses gegen den ehemaligen politischen Schützling von Dominique de Villepin Klage eingereicht wegen sexueller Belästigung.
Der Herr Bürgermeister und Abgeordnete - so wurde jetzt bekannt - hatte, bevor er Staatssekretär wurde, seit Jahren eine Vorliebe für alternative und sanfte Medizin und war geradezu berühmt für seine entspannenden Fussmassagen, die er Freunden und Bekannten und auch Mitarbeiterinnen im Rathaus gerne verabreichte . Das Dumme dabei ist nur, dass es dann manchmal angeblich eben nicht nur bei der Massage der weiblichen Füsse geblieben sein soll...
Von mehr oder weniger erzwungenen Dreierbeziehungen spricht eine der Klage führenden Frauen. Eine gerichtliche Voruntersuchung gegen den jetzt zurückgetretenen Staatssekretär ist im Gang. Georges Thron ist wahrscheinlich ein weiterer Kollateralschaden der Affäre Strauss-Kahn, denn mit ziemlicher Sicherheit hätten die beiden Frauen ohne die "New Yorker Ereignisse" keine Klage geführt gegen den wohl geborenen, über jeden Verdacht erhabenen Bürgermeister einer bürgerlichen Pariser Vorstadt, den Abgeordneten und Staatssekretär, dem es die weiblichen Füsse offenbar ganz besonders angetan hatten...