Adel Abdessemed ist in gerade mal einem Jahrzehnt zu einem der Stars der internationalen Kunstszene geworden. Der im algerischen Constantine geborene heute 42jährige Künstler hat sein Land 1994, mitten in der Zeit des Gemetzels, das die Islamisten in Algerien anrichteten und am Ende mindestens 100'000 Menschenleben gekostet hat, Richtung Frankreich verlassen und zunächst mal an der Kunsthochschule in Lyon Aufnahme gefunden.
Der Isenheimer Altar als Inspiration
In diesen ersten Monaten in Frankreich begegnete er damals, als er per Anhalter unterwegs war, an einem kalten Wintertag im Unterlinden-Museum zu Colmar dem Isenheimer Altar von Matthias Grünewald – eine Begegnung, die ihn ein Dutzend Jahre später zu seinem Werk „Decor“ inspirieren sollte – vier grosse, gekreuzigte Christusfiguren ohne Kreuz, die aus grausilbernem Stacheldraht und Metallklingen gearbeitet sind, wie sie in Guantánamo oder an Europas Aussengrenzen, in den spanischen Enklaven Marokkos, verwendet werden. Das Werk war vom Kunstmäzen und Chef des zweitgrössten französischen Luxusartikelkonzerns, Francois Pinault, erworben worden und zum 500jährigen Bestehen des Isenheimer Altars 2012 in Colmar auf faszinierende Art und Weise neben Grünewalds Werk gehängt worden und mit diesem in einen Dialog getreten.
Im selben Jahr 2012 hat die Quatar Museums Authority (QMA) ein mehrere Jahre zuvor geschaffenes Werk des inzwischen zum Franzosen gewordenen Künstlers algerischer Herkunft für eine Summe von mindestens drei Millionen Euro erworben für das Mathaf, das Museum für Zeitgenössische Kunst der Hauptstadt Doha. Ein Museum mit einem weltweit einmaligen, praktisch unerschöpflichen Budget unter der Leitung der kunstsinnigen Tochter des ehemaligen Emirs von Katar. Und da begann der Ärger.
„Kopfstoss“
Es handelte sich bei dem Werk um Abmessedes monumentale 5,40 Meter hohe Bronzeskulptur mit dem Titel „ Kopfstoss“ – eine Verewigung einer der spektakulärsten, am meisten kommentierten Gesten der jüngeren Fussballgeschichte: Zinedine Zidanes spontan und zugleich kühl und bewusst ausgeführter Kopfstoss in die Brustpartie seines italienischen Kontrahenten Marco Materazzi während des Fussball-WM-Finales 2006.
Zunächst war das Werk von Oktober 2012 an anlässlich Abdessemeds erster grosser Ausstellung im Pariser Centre Pompidou knapp drei Monate lang auf dem Platz vor dem Kulturzentrum der französischen Hauptstadt zu sehen – viel kommentiert und photographiert, von Zinedine Zidane aber damals schon nicht sonderlich goutiert. Bereits im November 2012 hatte Zidane dem Künstler ein Schreiben zukommen lassen, in dem er sich gegen die missbräuchliche Verwendung seines Images verwahrte. Abdessemed berief sich damals, nachdem er seinen Anwalt konsultiert hatte, auf seine künstlerische Freiheit und stritt eine Imageschädigung Zidanes durch sein Kunstwerk ab, angesichts der Tatsache, dass die Kopfstoss-Szene im Sommer 2006 und in den Jahren danach schliesslich von sämtlichen Fernsehanstalten der Welt immer und immer wieder gezeigt worden war.
Anklage gege Zidane
Zidane hat damals wohl ebenfalls seinen Anwalt konsultiert, der ihm geraten haben dürfte, Ruhe zu geben – die Skulptur blieb bis Januar 2013 vor dem Pariser Centre Pompidou.
Seit diesem Herbst nun hat der allseits umworbene Abdessemed eine Ausstellung seiner Werke im bereits genannten Museum für zeitgenössische Kunst in der katarischen Hauptstadt Doha. Zu diesem Behufe wurde die berühmte Kopfstossskulptur am 3. Oktober 2013 gut sichtbar für alle an der Uferstrasse der katarischen Hauptstadt aufgestellt. Nur drei Wochen später war sie von dort aber auch schon wieder verschwunden, wobei man es, ohne Abdessemed auch nur zu informieren, offensichtlich so eilig hatte, dass das Kunstwerk beim Abbau sogar Schaden genommen haben soll.
Der Künstler, der einst im Jahr 2001 eine seiner ersten grösseren Ausstellungen in der Berner Kunsthalle gehabt hatte, war mehr als empört und liess vernehmen: „Ich klage Zinedine Zidane des Machtmissbrauchs gegen meine künstlerische Freiheit an.“ Der Ex-Star am runden Leder und heutige Co-Trainer bei Real Madrid habe direkt oder indirekt interveniert, um ihn in Doha zu zensieren.
Offiziell heisst es im Zwergstaat am persischen Golf, das Werk sei verlegt worden, weil sich die muslimischen Bewohner Dohas über die Abbildung von Menschen in dieser Skulptur und ihren gewalttätigen Inhalt beschwert hätten.
Katars Gagen für den Fussballgott
Der Künstler glaubt davon kein Wort und sieht auch hier die Hand des ehemaligen Fussballgottes Zidane im Spiel. Schliesslich verfügt die ehemalige No. 10 der französischen Nationalmannschaft in dem Erdgasstaat über erstklassige Beziehungen. Hat der einst begnadete Balltreter doch vor wenigen Jahren kräftig die Werbetrommel gerührt, damit der Wahnsinn Realität werden und Katar die Fussballweltmeisterschaft 2022 austragen darf und endlich einmal bei 50 Grad im Schatten Fussball gespielt werden kann. Zidane, sogar Mitglied des Organisationskomitees für die WM 2022, ist für dieses Werben im Auftrag des Zwergstaates am Golf damals angeblich aus der Erdgasschatulle des Landes mit einer Summe zwischen 11 und 15 Millionen Euro entlohnt worden.
Jetzt also soll er im Oktober UEFA-Chef Platini angerufen haben – dessen Sohn, nebenbei bemerkt, als Jurist für „Qatar Sport Investment“ arbeitet. Der UEFA-Chef wiederum erreichte direkt den Ex-Emir von Katar, welcher seinerseits seine Tochter, die kunstsinnige Direktorin der „Quatar Museum Authority“, Scheichin al-Mayassa, dazu angehalten haben soll, das Nötige zu tun.
Mit anderen Worten: Zinedine Zidane hat in Katar mit einem Telephonanruf erreicht, was ihm in Paris verwehrt blieb.
Adel Abdessemed weigert sich nun, dass sein Werk vor dem Museum für zeitgenössische Kunst in Doha aufgestellt wird – in einem weit ausserhalb der Stadt liegenden, kaum frequentierten Viertel.
"Die Unschuld des Realen"
Vergangenen Sommer war die umstrittene Riesenskulptur übrigens auf einem Platz im italienischen Pietrasanta in der Toskana zu sehen gewesen, im Rahmen einer Sammelausstellung, die doch tatsächlich den Titel trug: „ Italien – Frankreich, die Unschuld des Realen“. Marco Materazzi hatte es sich damals nicht nehmen lassen, strahlend vor der Skulptur zu posieren und sich ablichten zu lassen, so als wäre er richtiggehend stolz darauf, dass seine verbale Provokation in der Hitze eines WM-Endspiels vor sieben Jahren letztlich sogar ein Kunstwerk hervorgebracht hat .