Lissabon ist von der Coronavirus-Pandemie gezeichnet. Im August soll aber der Fussball die Stimmung heben. In seiner Euphorie darüber, dass die letzten Spiele der Champions’ League in Lissabon stattfinden, leistete sich Ministerpräsident Costa einen peinlichen Ausrutscher.
Im Himmel über der portugiesischen Hauptstadt ist es recht ruhig, denn noch immer schweben nur sehr wenige Flugzeuge ein. Noch kommen kaum Touristen. Also sind auffällig viele Hotels noch geschlossen. Schon seit Mitte Mai sind die Restaurants ebenso wie die meisten Museen und andere Sehenswürdigkeiten wieder geöffnet. Wer sich jetzt nach Lissabon verirrt, kann sogar die Blicke von den Aussichtspunkten der Metropole auf die trutzige Burg und den Tejo-Fluss ganz ohne Gedränge geniessen. Es hat Vorteile, dass die Rückkehr zur Normalität auf sich warten lässt – wobei auch die Zahl der Neuinfektionen im Raum Lissabon noch Sorge bereitet.
In manchen Cafés auf dem mit hellen und dunklen Steinchen gemusterten Trottoir in der zentralen Einkaufszone sind viele Stühle aufgestapelt. Selbst die Ermässigungen in der „happy hour“ ziehen nicht viel Publikum an.
Am zentralen Rossio-Platz geht die Krise nicht einmal am „Haus des Glücks“ – „Casa da Sorte“ – für den Verkauf von Lotterielosen und die Annahme von Euromillionen-Scheinen vorbei. Es ist „auf unbestimmte Zeit“ geschlossen.
Die Kellner sprechen wieder Portugiesisch
An der Strecke des Uralt-Trams der Linie 28, die von der Unterstadt bergauf rumpelt, liegt die romanische Kathedrale. Normalerweise würden mindestens zehn Fahrerinnen und Fahrer von Tuk-Tuk-Kabinenrollern auf Touristen warten. An diesem Tag steht hier nur ein solches Gefährt. Es sind schlechte Zeiten für das Geschäft und damit für die jungen Leute, die diese Gefährte lenken. Viele von ihnen verfügen über Hochschulabschlüsse und hätten ohne den touristischen Boom womöglich ihr Glück im Ausland versucht – dort, wo die meisten Kunden herkamen.
Von hier geht es in die Alfama hinunter. „Esta Alfama é toda nossa“ – sinngemäss: „Diese Alfama gehört ganz uns“ verkündet der blaue, mit goldenen Fischen beklebte Aushang an einem schmiedeeisernen Balkon in der labyrinthischen Altstadt. Wer in diesem Quartier wohnt, kann sich hier derzeit tatsächlich viel eher heimisch fühlen als noch im letzten oder vorletzten Jahr, als es in den schmalen Gassen und auf den schmalen Treppen der Alfama von Touristen wimmelte.
Immer mehr Touristen logierten zuletzt in diesem ehemaligen Quartier der Hafenarbeiter und Handwerker, der Fadistas und der Fischfrauen, das zu Lissabons wichtigsten touristischen Attraktionen gehört. Um Platz für Touristen zu schaffen, wurden alteingesessene Bewohner vertrieben. In diesem Jahr aber bleiben die Touristen aus. Also sind die Strassencafés bestenfalls zur Hälfte gefüllt, obwohl die – natürlich maskierten – Kellner auf den Gassen den Passanten „ihre“ Lokale wärmstens empfehlen. Weil die Passanten zum grössten Teil aus Portugal kommen, haben die Kellner mittlerweile von Englisch auf Portugiesisch umgeschaltet.
Portugal hatte zuletzt ein touristisches Rekordjahr nach dem anderen erlebt, und auch 2020 in Rekordlaune begonnen. Wegen der Pandemie kommt aber alles ganz anders. Wer Wohnungen über Plattformen wie Airbnb vermietete und sich in der Hoffnung auf einen touristischen Ansturm in diesem Jahr die Hände rieb, hat sich verkalkuliert. Nun plant die Stadtverwaltung, solche Wohnungen anzumieten und sie an ständige Bewohner unterzuvermieten. Vorerst aber geht in vielen Fenstern kein Licht mehr an.
Volksfeste abgesagt, Euro 2020 vertagt
Auch ohne Touristen wäre in der Alfama normalerweise gerade der Bär los. Juni ist in Portugal der Monat der „Volksheiligen“. Lissabon ehrt an seinem lokalen Feiertag, dem 13. Juni, seinen am Fusse der Alfama geborenen Santo António. Am Vorabend hätten die Festlichkeiten mit den „Volksmärschen“ begonnen. Folkloregruppen aus den verschiedenen Stadtteilen wären mit ihren Trachten die Avenida da Liberdade hinuntergezogen, hätten mit Gesängen und Choreografien um die Gunst der für die Wahl des Siegers zuständigen Jury gebuhlt.
In diesem Jahr wurden alle Zeremonien und Festlichkeiten abgesagt oder untersagt. In der Alfama mögen hier und da Girlanden hängen, die Menschen dürfen dieses Jahr aber nicht wie üblich ins Quartier drängen, denn grosse Ansammlungen sind verboten, geschweige denn das Tanzbein schwingen. In der Nacht auf den 13. Juni hätte in der Alfama vor lauter Musik und Tanz zu Sangria und Rotwein normalerweise kaum jemand ein Auge zugedrückt. Im Quartier hätte es tagelang nach den – zu teils wucherhaften Preisen servierten – Sardinen und Paprika von Holzkohlegrills gerochen.
Aller schlechten Dinge sind dieses Jahr aber mindestens drei. Erstens bleiben die Touristen aus, zweitens fiel das Volksfest ins Wasser, und drittens wurde die Fussball-Europameisterschaft Euro 2020 auf das Jahr 2021 vertagt. Laut dem ursprünglichen Spielplan hätten Cristiano Ronaldo & Co. am 19. Juni in München gegen den Angstgegner Deutschland antreten müssen. In diesen Tagen würde die Nationalelf und mit ihr die Nation der Begegnung mit Frankreich am 23. Juni in Budapest entgegenfiebern. Stattdessen schauen die Betreiber vieler Kneipen und Restaurants, die in diesen Tagen auf durstige und hungrige Fans aller Länder gehofft hatten, in die Röhre. Für sie ist es ein schwacher Trost, dass Portugal den vor vier Jahren in Frankreich errungenen Titel des Europameisters ein Jahr länger führen kann.
Immerhin dürfen die 18 Clubs der ersten Liga in Portugal in leeren Stadien die diesjährige Meisterschaft zu Ende spielen. Und in der letzten Woche vergab die Uefa die letzten sieben Spiele der diesjährigen Champions’ League, die eigentlich in Istanbul stattfinden sollten, nach Lissabon, für die Zeit vom 12. bis 23. August. Ministerpräsident António Costa feierte dies, bei einem Auftritt mit Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa, prompt als Anerkennung dafür, dass Portugal ein sicheres Land sei und sich im Kampf gegen die Pandemie gut geschlagen habe.
Costa leistete sich im gleichen Atemzug allerdings auch eine peinliche Instinktlosigkeit. Er sah in der Entscheidung der Uefa eine „verdiente Auszeichnung“ für das Personal des staatlichen Gesundheitswesens im Kampf gegen die Pandemie. Just bei diesem Personal grassiert allerdings das Unbehagen. Schon in den letzten Jahren hatten Ärzte und Pflegekräfte über Personalmangel, Überlastung und schlechte Bezahlung geklagt. Sie fanden bei der Exekutive, die auf die Reduzierung des Haushaltsdefizits fixiert war, wenig Gehör. In den letzten Jahren wanderten zahlreiche Krankenschwestern und -pfleger aus. Als Motivation zum Verbleib im eigenen Land dürften einige hochkarätige Fussballspiele kaum reichen – insbesondere nicht für solche Kräfte, die im Kampf gegen die Pandemie riskieren, sich selbst zu infizieren. In einem Meinungsartikel erinnerte der Linksblock-Abgeordnete Pedro Filipe Soares daran, dass die Kolleginnen und Kollegen in französischen Spitälern einmalige Bonuszahlungen von 1500 Euro erhalten hätten. Er fragte, ob die Pandemie in Portugal wohl den Sinn für die Lächerlichkeit beeinträchtigt habe.
Schritte nach vorn und Schritte zurück?
In den letzten zwei Wochen hat das Image von Portugals erfolgreichem Kampf gegen das Virus obendrein Kratzer bekommen. Als fast überall im Land die Pandemie unter Kontrolle schien, fiel zunächst der Grossraum Lissabon aus der Reihe. An manchen Tagen wurden dort mehr als 90 Prozent aller Neuinfektionen des Landes registriert. Anfang Juni kam es dann aber auch bei einer illegalen Party in der Südregion Algarve, die sich als sicheres Reiseziel verkaufen will, zu über 70 Ansteckungen. In einem Altenheim im mittelportugiesischen Distrikt Leiria fielen über 30 Tests bei Senioren und Angestellten positiv aus. Hinzu kamen wenige Tage später über 60 Infektionen in einem Heim in der Südregion Alentejo. In den letzten Tagen musste die Polizei an einem Strand bei Lissabon sowie im nordportugiesischen Braga eingreifen, um Ansammlungen sorgloser junger Leute aufzulösen. Speziell über die Lage und gebotene Massnahmen im Grossraum Lissabon will der Regierungschef an diesem Montag mit den Vertretern oder Vertreterinnen der fünf am stärksten betroffenen Munizipien beraten.
Unterdessen macht die Regierung keinen Hehl aus einem Unbehagen über Beschränkungen für die Einreise von Personen aus Portugal in insgesamt zehn andere EU-Staaten. Als Rechtfertigung führte Dänemark an, dass in Portugal die Zahl der wöchentlichen Infektionen je 100’000 Einwohner die Marke von 20 übersteige. Nicht zu Unrecht argumentierte die Regierung in Lissabon, dass diese Zahl auch eine im internationalen Vergleich relativ hohe Zahl von Tests reflektiere. Der Regierungschef sah indes auch über den Handlungsbedarf nicht hinweg. Er rief an diesem Samstag erneut zur Einhaltung aller Sicherheitsregeln auf, schloss für den Notfall aber auch die Rücknahme von Schritten auf dem Weg zur Normalität nicht aus.