Dabei geht es um Schmiergelder in zweistelliger Millionenhöhe, illegale Parteien- bzw. Wahlkampffinanzierung im Zusammenhang mit einem Waffengeschäft und um einen Terroranschlag. Frankreichs Staatspräsident hat jetzt immer grössere Schwierigkeiten, glaubhaft zu machen, er habe mit dieser Affäre, die im Jahr 1994 begann, nichts zu tun.
Nicolas Sarkozy kann unabhängige Untersuchungsrichter nicht leiden, schon gar nicht solche, die auf Finanzaffären spezialisiert und fähig sind, im internationalen Dickicht der Steuerparadiese beim Verfolgen dubioser Geldflüsse den Überblick zu behalten. So einer ist Renaud van Ruymbeke. Der unerschütterliche Mittfünfziger gilt in Frankreich als der beste juristische Feinmechaniker auf diesem schwierigen Terrain. Eingeweihte sagen, Präsident Sarkozy habe vor allem an Van Ruymbeke gedacht, als er im Rahmen einer Justizreform die Funktion des unabhängigen Untersuchungsrichters im französischen Justizsystem schlicht abschaffen wollte, was ihm bisher allerdings nicht gelungen ist. Nun untersucht ausgerechnet dieser Renaud van Ruymbeke die finanziellen Aspekte der neuesten Staatsaffäre mit Namen „Karachigate“, die den Präsidenten zusehends in Bedrängnis bringt.
Karachi
In der pakistanischen Hauptstadt waren am 8. Mai 2002, drei Tage nach der Wiederwahl Jacques Chiracs zum Staatspräsidenten, bei einem Selbstmordattentat vier Pakistani und elf französische Mitarbeiter der staatlichen französischen Werft DCN zu Tode gekommen. Sie arbeiteten dort am letzten von drei U Booten , welche Frankreich 1994 für insgesamt 825 Millionen Euro an Pakistan verkauft hatte. Ein Waffengeschäft, bei dem unter Premierminister Balladur, der sich damals anschickte, für das Präsidentenamt zu kandidieren, Schmiergelder in Höhe von rund 80 Millionen Euro geflossen sind, was damals noch legal war.
Frankreich und Pakistan präsentierten den Selbstmordanschlag auf französische Bürger jahrelang und gegen besseres Wissen, als eine Tat von Islamisten. Dabei lag bereits im Herbst 2002 ein - bis ins Jahr 2008 geheim gehaltener - Untersuchungsbericht vor, der in dem Attentat einen Racheakt des pakistanischen Geheimdienstes sah, weil Präsident Jacques Chirac nach seinem Wahlsieg 1995 die Auszahlung noch verbleibender Provisionen hatte unterbinden lassen.
Chirac und seine Umgebung waren sich sicher, dass ein Teil dieser Provisionen als so genannte „Retrocommissions“ wieder nach Frankreich zurückfloss und dort in die Taschen seines innerparteilichen Gegners Balladur gelangte. Dies hat jetzt auch erstmals der frühere französische Verteidigungsminister , Charles Millon, (1995 – 1997) vor dem Untersuchungsrichter bestätigt. Er habe damals den Geheimdienst beauftragt, dieser Frage nachzugehen und sei angesichts der Ergebnisse dieser Nachforschungen zutiefst überzeugt gewesen, dass aus den Schmiergeldern nach Pakistan gewisse Summen nach Frankreich zurückgeflossen seien.
All dies geschah zu einer Zeit, als Frankreichs heutiger Staatspräsident Sarkozy Haushaltsminister im Kabinett von Premierminister Balladur war und in den ersten Monaten des Jahres 1995 gleichzeitig Wahlkampfsprecher des Präsidentschaftskandidaten Edouard Balladur. Zumindest in seiner Funktion als Haushaltsminister war er in dieser Affäre ein Akteur.
Nchrichten aus Luxemburg
Bereits im vergangenen Juni war ein Bericht der Luxemburger Polizei über eine Briefkastenfirma mit den Namen „Heine“, die später “Eurolux“ hiess, an die Öffentlichkeit gelangt. Diese Firma war 1994 von Mitarbeitern der staatlichen französischen Werft DCN, welche die U Boote nach Pakistan lieferte, gegründet worden. Über „Heine“ sind in den Jahren danach Abermillionen an Provisionen für eine ganze Reihe von Waffengeschäften geflossen, darunter auch für den Verkauf der U Boote an Pakistan. Die Luxemburger Ermittler schrieben, Nicolas Sarkozy habe damals als Haushaltsminister die Gründung dieser Briefkastenfirma genehmigt. Es gäbe Hinweise - auch wenn man keine formellen Beweise habe - dass von diesen Provisionen Gelder über die Firma Heine und über mehrere Steuerparadiese zur Wahlkampffinanzierung an politische Parteien wieder nach Frankreich zurückgeflossen seien, etwa für den Wahlkampf von Edouard Balladur. Solche „Retrocommissions“ waren damals, als Nicolas Sarkozy Balladurs Wahlkampfsprecher war, durchaus nicht legal.
Nichts zu tun mit der Affaire
Frankreichs Staatspräsident hat sich bisher nur zwei Mal zu diesem innenpolitisch hochexplosiven Thema geäussert. Das geschah merkwürdigerweise jedes Mal im Ausland, was für einen französischen Präsidenten ungewöhnlich ist. Fast stammelnd hat Nicolas Sarkozy zunächst im Juni auf einem EU-Gipfel in Brüssel und jetzt beim Nato Gipfel in Lissabon voller Entrüstung davon gesprochen, das Ganze sei nichts anderes als ein Märchen und grotesk, er habe mit dieser Affäre nichts, aber auch gar nichts zu tun. In Lissabon gab er den Journalisten das Gefühl, sie hätten sich eine Gotteslästerung zu Schulden kommen lassen, nur weil sie dem Präsidenten ein paar unangenehme Fragen in diesem Zusammenhang gestellt hatten.
Zu guter Letzt war der Präsident im Rahmen eines kurzen Hintergrundgesprächs sogar noch ausfällig geworden. Was er denn sagen würden, raunzte Sarkozy einen Journalisten an, wenn er ihn heute, einfach weil er zutiefst davon überzeugt sei, als Kinderschänder bezeichnen würde, ohne Beweise zu haben. Am Ende verabschiedete sich der Präsident von den Journalisten mit den Worten: „Meine pädophilen Freunde, bis morgen."
Die Nerven liegen blank, und dies schon seit Monaten, weil der Präsident weiss, dass er so einfach nicht davonkommen wird. Denn schliesslich gibt es einige Unterlagen, die den Verdacht der illegalen Wahlkampffinanzierung erhärten. Etwa die Kopie eines Bankdokumentes, aus dem hervorgeht, dass 1995, genau drei Tage nach dem ersten Durchgang bei der Präsidentschaftswahl, zehn Millionen Francs in bar auf das Wahlkampfkonto von Edouard Balladur eingezahlt wurden, und zwar ausschliesslich in 500 und 1000 Francs-Noten! Die Rechtfertigung, wonach das Geld aus Einnahmen vom T–Shirt-Verkauf stamme, ist mehr als lächerlich.
Trotzdem hat hinterher der französische Verfassungsrat die Wahlkampfkonten von Edouard Balladur abgesegnet - man fragt sich heute, wie das ohne Beleg für die zehn Millionen Francs möglich war. Doch der Präsident des Verfassungsrates weigert sich, die Protokolle der entsprechenden Sitzungen dem Untersuchungsrichter zu übergeben. Keiner der damals Beteiligten hat bislang glaubhaft erklären können oder wollen, woher diese zehn Millionen Francs in bar gekommen sind. Etwa doch aus den Schmiergeldern des Waffendeals?
Erpresserbriefe
Doch damit nicht genug. Inzwischen sind Briefe aus jüngerer Zeit publik geworden, die wie Drohbriefe klingen und im Jahr 2006 an den damaligen Innenminister, Nicolas Sarkozy, gerichtet waren. Absender war der Verwalter der besagten luxemburgischen Briefkastenfirma Heine, Jean Marie Boivin. Dieser Herr ist inzwischen, wohl aus Sicherheitsgründen, auch luxemburgischer Staatsbürger geworden und hat deutlich zu verstehen gegeben, dass er in einem Züricher Safe wichtige Dokumente aufbewahrt - wohl seine Lebensversicherung. In einem seiner direkt an Innenminister Sarkozy adressierten Briefe vom Dezember 2006 ist zu lesen:
„Wir haben Ihr Schreiben vom 28. September erhalten. Es hat aber bis heute keinerlei praktische Konsequenzen gehabt. Wir haben immer noch keine Instruktionen von Seiten des französischen Staates erhalten. Dabei ist Eile geboten."
Es gibt Hinweise darauf, dass der Autor dieses Briefs im Januar 2009 auf der Ile of Man von Vertretern des französischen Staates eine Geldsumme erhalten hat. Zeitungen sprachen von acht Millionen Euro. Seitdem schweigt Jean Marie Boivin und hat sich jüngst sogar geweigert, einer Vorladung des Untersuchungsrichters zu folgen. Wahrscheinlich mit dem Argument, er sei luxemburgischer Staatsbürger.
Militärische Geheimnisse?
Präsident Sarkozy und seine Minister machen sich in dieser Affäre inzwischen auch zunehmend verdächtig, den normalen Gang der Justiz zu behindern. Zwei Untersuchungsrichter beissen seit Jahren regelmässig auf Granit, wenn es darum geht, Dokumente zu erhalten, die mit dem U-Boot-Geschäft mit Pakistan zu tun haben. Ein ums andere Mal sagt man ihnen, es handele sich um ein militärisches Geheimnis. Und wenn man doch einige Dokumente herausgibt, dann nur solche, die für die Untersuchungsrichter völlig uninteressant sind. Der neue Verteidigungsminister Alain Juppé hat Besserung gelobt. So richtig daran glauben will niemand.
Die Wut der Angehörigen der Opfer
Währenddessen gehen in der normannischen Hafenstadt Cherbourg, wo die elf französischen Opfer des Terroranschlags von Karachi gelebt hatten, die Angehörigen auf die Barrikaden. Nach acht Jahren platzt ihnen der Kragen, wollen sie endlich die Wahrheit wissen, wissen, warum ihre Väter und Ehemänner ermordet wurden. Zwei Töchter haben jetzt gemeinsam ein Buch geschrieben, das ein einziger Aufschrei der Entrüstung ist, der Entrüstung, jahrelang belogen worden zu sein.
Ad hominem klagen sie Präsident Sarkozy an, er habe die Angehörigen nicht nur fallengelassen, sondern sie auch schlicht belogen. Nun wolle man Rechenschaft, Nicolas Sarkozy müsse die Wahrheit sagen und könne nicht auf diese Weise fortfahren zu lügen. Auch der Präsident müsse in dieser Affäre aussagen. Für Nicolas Sarkozy, der öffentlich dargebotenes, richtiggehend zelebriertes Mitleid mit Opfern aller Art und ihren Angehörigen seit drei Jahren zu einem festen Bestandteil seiner alltäglichen Politik gemacht hat, ist diese Reaktion der Angehörigen von Cherbourg ein schwerer Schlag. Nun nehmen es einfache Bürger mit einfachen Worten und grossem Durchhaltevermögen mit der Staatsraison auf.
Gegen den ehemaligen Präsidenten Chirac und dessen Generalsekretär im Elysee, De Villepin, haben sie jetzt Klage eingereicht wegen fahrlässiger Tötung und Gefährdung von Dritten. Sie sind überzeugt, man habe an höchster Stelle gewusst, dass es ein Risiko gebe, wenn man die Provisionszahlungen an Pakistan einstellt, wie Chirac dies 1995 angeordnet hatte.
Im Sommer schon hatten die Angehörigen auch gegen das ehemalige Wahlkampfkomitee von Edouard Balladur Klage wegen Korruption eingereicht. Die unmittelbare Antwort des zuständigen Staatsanwalts aber lautete: Das Ganze sei verjährt. Kommentar des Rechtsanwalts der Angehörigen: Der Staatsanwalt hat offensichtlich nur eine Sorge, nämlich Nicolas Sarkozy zu schützen.
Der Untersuchungsrichter hat es eilig
Renauld van Ruymbeke, der Untersuchungsrichter, arbeitet auf Hochtouren. Jetzt wird er auch Sarkozys Intimfeind, Ex- Premierminister Dominique de Villepin, vernehmen. Der war zu jener Zeit - 1995 - als Generalsekretär im Elysee Präsident Chiracs rechte Hand und als solcher über die Aussetzung der restlichen Provisionszahlungen im Zusammenhang mit dem U-Boot-Verkauf an Pakistan informiert. Er hat jetzt im Vorfeld öffentlich gesagt, man habe damals einen sehr starken Verdacht gehabt, dass Gelder aus den Kommissionen von Pakistan wieder nach Frankreich zurückgeflossen seien.
Sarkozy, so hört man, tobt und faucht. Sein Unmut gegen Untersuchungsrichter Van Ruymbeke dürfte keine Grenzen mehr kennen. Denn dieser Richter hatte bereits 2005 in den Augen des heutigen französischen Staatspräsidenten eine nicht wieder gut zu machende Ursünde begangen. Er hatte es in einer anderen Affäre damals doch tatsächlich gewagt, den Genfer Bankier Jacques Heyer nach Paris zu zitieren und zu vernehmen. Jacques Heyer gilt als der schweizerische Vertrauensmann der französischen Rechten und als diskreter Verwalter ihrer nicht ganz offiziellen Gelder. Er ist ein Mann, den Nicolas Sarkozy aus früheren Zeiten gut kennt und heute nicht mehr kennen will. Doch das ist eine andere Geschichte….