Der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf ist in vollem Gange und dürfte bis zum 5. November noch intensiver und schmutziger werden. Joe Biden und Donald Trump, die beiden alten Männer, schenken sich nichts und schrecken vor nichts zurück.
«Amerika, du hast es besser als unser Kontinent, das alte», schrieb Goethe 1827, von Sehnsucht nach der Neuen Welt gepackt, in einem seiner Gedichte. Was er schrieb, mag seinerzeit gestimmt haben: «Dich stört nicht im Innern zu lebendiger Zeit unnützes Erinnern und vergeblicher Streit.» Doch heute stimmt es mit Sicherheit nicht mehr, denn die Nation, immer anfällig für Hype, Show und Superlative, befindet sich in einem Zustand der Dauererregung. Eine «breaking news» folgt der anderen und das Land verfolgt atemlos das Geschehen Tag für Tag.
Der Trubel begann Anfang letzter Woche mit dem Bericht eines Sonderermittlers des Justizministeriums, der Joe Bidens Umgang mit Geheimdokumenten nach Verlassen des Weissen Hauses unter Barack Obama untersucht hatte. Robert Hur konnte Biden zwar keine strafbare Handlung nachweisen, kam aber in einer Nebenbemerkung zum Schluss, der Präsident wirke «wie ein sympathischer, wohlmeinender älterer Herr mit einem schlechten Gedächtnis» – eine einsame Aussage aus dem fast 400-seitigen Bericht, welche die Medien begierig aufnahmen und auswalzten und so jene Kreise bestätigten, die Joe Biden mit seinen 81 Jahren für zu alt für das Präsidentenamt halten – ein Steilpass für die Republikaner, deren Präsidentschaftskandidat vier Jahre jünger ist.
Das Weisse Haus verurteilte den Bericht als Rosinenpickerei sowie als «unangemessen» und «politisch motiviert», doch der öffentliche Schaden war angerichtet. Dabei half auch nicht, dass sich Joe Biden bei einer umgehend anberaumten Pressekonferenz versprach, und bezüglich des Krieges in Gaza Abdel Fatah al-Sissi als Präsidenten Mexikos statt Ägyptens bezeichnete. Das alles vor dem Hintergrund, dass 77 Prozent aller Amerikanerinnen und Amerikaner finden, Joe Biden sei zu alt, um ein zweites Mal Präsident zu werden. Was von Donald Trump lediglich 51 Prozent der Befragten finden.
Am Wochenende gab Donald Trump Anlass, an seinem Geisteszustand zweifeln zu lassen. Bei einem Wahlkampfauftritt in Conway (South Carolina) erzählte der Ex-Präsident, dass er seinerzeit, als er noch im Weisen Haus war, den führenden Politikern der Nato-Länder mitgeteilt habe, er würde Russland «ermutigen», jenen Ländern, die ihre Schulden gegenüber dem Verteidigungsbündnis nicht beglichen hätten, «anzutun, was zum Teufel auch immer sie wollten». In der Tat hatte es zwischen den USA und den Ländern der Nato einen Disput über die Höhe ihrer Militärausgaben gegeben. Dabei ging es aber nicht um Schulden gegenüber der Nato, sondern um versprochene Ausgaben für die eigenen Armeen.
Donald Trump brüstete sich damit, er habe europäischen Spitzenpolitikern gesagt, sie müssten «endlich zahlen». Worauf der Präsident «eines grossen Landes» aufgestanden sei und ihn gefragte habe: «Nun, Sir, wenn wir nicht bezahlen und von Russland angegriffen werden, werden Sie uns beschützen?» Er habe geantwortet: «Nein. Ich würde sie nicht beschützen, sondern sie sogar dazu ermutigen, zu tun was zum Teufel auch immer sie wollen. Ihr müsst zahlen. Ihr müsst eure Rechnungen begleichen.» Das sagte derselbe Mann, der Untersuchungen zufolge als Bauunternehmer Hunderte Leute – Handwerker, Küchenpersonal und Anwälte – nicht bezahlt hat.
Donald Trump, diagnostizierte ein Kolumnist der «New York Times», sei nicht nur ein Ignorant in Sachen Nato und anderer Themen, er sei auch inkohärent. So erklärte Trump anlässlich eines Treffens der National Rifle Association (NRA) in Harrisburg (Pennsylvania): «Wir müssen im November gewinnen oder es wird kein Pennsylvania mehr geben. Sie werden den Namen ändern.» Wer das tun würde und wie der neue Name lautete, sagte er nicht.
Im vergangenen November hatte Trump vor Anhängern in Florida China und Nordkorea verwechselt und erklärt: «Kim Jong Un führt 1,4 Milliarden Leute an und es gibt keine Zweifel, wer der Boss ist. Und Sie wollen, dass ich sage, er sei kein intelligenter Mensch.» Auch verwechselte der Ex-Präsident bei Ausführungen über den Sturm auf das US-Capitol am 6. Januar 2021 seine Konkurrentin Nikki Haley mit Nancy Pelosi, der früheren Sprecherin des Repräsentantenhauses, der er die Schuld für das Versagen der Sicherheitskräfte an 6/1 in die Schuhe schob. «Im Gegensatz zur zwanghaften Berichterstattung über Bidens Alter wird vergleichsweise weniger über Trumps unübersehbare Mängel in dieser Schublade berichtet.» Der Ex-Präsident, so die «Times», profitiere von den geringen Erwartungen, die an ihn gestellt würden.
Der Trubel setzte sich am Sonntag fort mit der Super Bowl in Las Vegas (Nevada), dem Finalspiel um die Landesmeisterschaft im American Football. Die Underdogs aus Kansas City gewannen vor 65’000 Zuschauern im Allegiant Stadium und vor einem nationalen Fernsehpublikum von 124 Millionen gegen die favorisierten San Francisco 49ers in der Verlängerung mit 25:22 Punkten. So weit, so spannend.
Enttäuscht aber wurden, je nach politischem Lager, die Erwartungen oder Befürchtungen, Pop-Sängerin Taylor Swift, die mit einem Spieler der Chiefs liiert ist, würde während oder nach dem Spiel ihren Millionen Fans empfehlen, am 5. November Joe Biden zu wählen. Der Pop-Star hatte sich 2020 für ihn ausgesprochen.
Die Super Bowl war jene Veranstaltung, von der rechte Verschwörungstheoretiker behauptet hatten, sie sei vom «deep state» und mit Taylor Swift und deren Freund Travis Kelce als verdeckte Agenten inszeniert worden, um Donald Trumps Wahlchancen zu mindern. Trump hatte die Sängerin im Voraus gewarnt, das nicht zu tun: Er sei, prahlte er, dank eines von ihm unterzeichneten Gesetzes dafür verantwortlich, dass Taylor Swift so viel Geld verdiene: «Es darf nicht sein, dass sie Crooked Joe Biden, den schlechtesten und korruptesten Präsidenten in der Geschichte unseres Landes, zur Wahl empfiehlt und sich jenem Mann gegenüber illoyal verhält, der ihr so viel Geld gemacht hat.»
Der US-Präsident machte seinerseits vor dem Sportanlass Schlagzeilen, weil er ein Angebot des Senders CBS ausgeschlagen hatte, sich wie einige seiner Vorgänger vor dem Final interviewen zu lassen. Was selbst Demokraten angesichts des Millionenpublikums an den Bildschirmen als verpasste Gelegenheit einstuften, der Nation seine Fitness zu beweisen. Stattdessen setzte Bidens Wahlkampfteam auf einen kurzen, mässig amüsanten Videoclip, der kurz vor Spielbeginn auf dem chinesischen Portal TikTok ausgestrahlt wurde. Joe Biden, vermutete ein demokratischer Wahlstratege, habe wohl unbequemen Fragen zu Gaza und zur Grenze im Süden der USA aus dem Weg gehen wollen.
Anfang dieser Woche dann gab in den USA nach über acht Jahren Absenz die Rückkehr des populären Jon Stewart zur Fernsehsendung «The Daily Show» zu reden. Stewart warnte sein Publikum, er werde auch Witze machen, die diesem nicht gefallen würden, und er machte sich in der Folge sowohl über Joe Bidens als auch Donald Trumps Alter lustig. «Er ist objektiv gesehen ein alter Mann. Er ist keine Schildkröte», sagte Stewart über Biden und mokierte sich über dessen Auftritt auf dem Videoportal: «Wie kann einer auf TikTok auftreten und noch älter wirken?»
Vom angeblich fitteren Trump zeigte der Satiriker Ausschnitte aus Fernsehauftritten, in denen sich der Ex-Präsident an verschiedene Dinge nicht mehr erinnern konnte. Unter anderem daran, wie er jene Frau, die ihm vor einem New Yorker Gericht vorgeworfen hat, sie vergewaltigt zu haben, mit seiner zweiten Frau Marla verwechselte. «Joe Biden ist nicht Donald Trump», schloss Jon Stewart, «er ist nicht so viele Male angeklagt worden, er machte nicht so viele trügerische Geschäfte oder ist in keinem Zivilprozess wegen eines sexuellen Übergriffs verurteilt worden oder ist nicht dazu gezwungen worden, wegen übler Nachrede zu zahlen oder hat nicht zusehen müssen, wie seine Wohltätigkeitsorganisationen aufgelöst wurden oder hat nicht eine Menge Handwerker nicht bezahlt, die er anstellte – oder sollten wir gar von der Sache mit ‘Schnapp dir die Muschi’ reden?»
Am vergangenen Dienstag schliesslich gab es für Amerikas Demokraten wieder einmal gute Nachrichten: Bei einer Nachwahl auf Long Island (New York) für einen Sitz im Abgeordnetenhaus in Washington DC siegte der demokratische Kandidat Tom Suozzi in einem Bezirk, den der inzwischen als Betrüger und Lügner entlarvte Republikaner George Santos vor 15 Monaten noch mit acht Prozentpunkten Vorsprung gewonnen hatte.
Damit schrumpft die republikanische Mehrheit im Haus auf sechs Sitze, was ihnen angesichts ihres rechtsextremen Flügels ein vernünftiges Politisieren weiter erschweren dürfte. Noch ist es aber für die Demokraten zu früh, aus ihrem jüngsten Sitzgewinn einen Trend für die Wahlen im November ableiten zu wollen. Für die Republikaner hat es sich im Wahlkampf in New York jedenfalls nicht ausbezahlt, auf das Thema Einwanderung zu setzen. Was wiederum nicht heisst, dass die Demokraten daraus schliessen sollten, die Migration vernachlässigen zu können.
So verläuft denn in den USA das Wahljahr 2024 bereits sehr intensiv und es dürfte noch etliche Überraschungen oder unerwartete Wendungen geben, die den Wahlkampf in die eine oder andere Richtung lenken können. Und Amerikas Politik wird wohl dysfunktional bleiben, solange es vor allem den Republikanern weniger darum geht, tragbare Lösungen für das ganze Land zu finden, als eher dem politischen Gegner um jeden Preis zu schaden, d. h. zu verhindern, dass Joe Biden dieses Jahr noch Erfolge vorweisen kann, wie er das jüngst beinahe hätte tun können, hätten die Republikaner im Kongress nicht zynisch ein Gesetz zur Verbesserung der desolaten Lage an Amerikas Südgrenze versenkt, das sie lange Zeit selber gefordert hatten.
Der Umstand, dass neuerdings täglich zwei Mails des Wahlkampfteams von Joe Biden auf meinem Email-Konto landen, die zu Spenden aufrufen, erinnert daran, eine wie wichtige Rolle Geld im amerikanischen Wahlkampf nach wie vor spielt. In einem Mail heisst es, Spender würden im Durchschnitt 44,47 Dollar aufwerfen: «So, unser Freund, würden Sie heute 44,47 Dollar beisteuern? Wir werden deinen Beitrag sofort einsetzen, um uns gegen die Millionen von Dollar der GOP zur Wehr zu setzen und unsere Kampagne zum Sieg zu führen.»
Derweil will Donald Trump seine 41-jährige Schwiegertochter Lara als Co-Chefin der republikanischen Parteileitung (RNC) installieren, die jeweils die Vorwahlen organisiert und Geld aus der Parteikasse an die Kandidaten verteilt. Lara Trump hat bereits versprochen, «jeden einzelnen Penny» der Finanzen, über die der RNC verfügt, für die Wahl ihres Schwiegervaters auszugeben. «Lara ist eine äusserst begabte Kommunikatorin und engagiert sich für alles, wofür MAGA steht», sagte der über sie. Das sei, witzelte ein Komiker, in einem Satz mehr des Lobes, als der Ex-Präsident ein Leben lang seinem Sohn Eric, Laras Mann, habe zukommen lassen.