Ganz Frankreich nannte ihn nur Johnny und wo er auftrat, strömten Zehntausende. Keine und keiner über 30 in diesem Land, die nicht einen der Songs des französischen Elvis Presley summen könnten. Besonders unter der Generation der heute 60- und 70-jährigen Franzosen, die sich daran erinnern, wie einst ganze Schulhöfe Johnnys neueste Hits gesungen haben.
Publikumsmagnet
110 Millionen Platten hat der Mann mit seiner oft grölenden Stimme verkauft, 180 Tourneen hinter sich gebracht, das Olympia, die legendäre Pariser Music-Hall, im Lauf der Jahre fast 300 Mal gefüllt und das „Stade de France“ vor den Toren von Paris mit einem Fassungsvermögen von über 80’000 gleich fünf Mal. Zu seinem 50. Geburtstag hatte Johnny – mit bürgerlichem Namen Jean – Philippe Smet und väterlicherseits Belgier – vor dem Pariser Eiffelturm ein Gratiskonzert gegeben, bei dem sich auf dem Marsfeld über eine halbe Million Menschen drängten.
Entsprechend gross war die Betroffenheit vieler Franzosen schon am frühen Morgen auf dem Weg zur Arbeit. „Wir haben einen ganz Grossen verloren“, meinte ein Mann am Pariser Bahnhof Saint Lazare, der, wie sein Idol, eine schwarze Lederjacke trägt. „Ich bin ihm immer gefolgt, hab’ viele seiner Konzerte erlebt, wir haben ja fast dasselbe Alter, für mich ist das ein echter Schlag. Ich hab’ so viele gute Erinnerungen, mir schnürt es den Hals zu.“ Eine 45-jährige Passantin verdrückte eine Träne und meinte: „Ich bin 1962 geboren, mit Johnny regelrecht gross geworden. Mein Cousin ist kürzlich auch an Lungenkrebs gestorben und jetzt Johnny. Es ist für mich, als sei mit ihm ein Mitglied der Familie gegangen.“
Ein Stück Johnny
Reaktionen und Beileidsbekundungen aus der halben Welt haben sich seit der Nachricht von seinem Tod regelrecht überschlagen – selbst EU-Kommissionspräsident Juncker gab eine Erklärung ab. Am weitesten hinausgewagt hat sich der ehemalige sozialistische Präsidentschaftskandidat Hamon mit dem Satz: „Frankreich ohne Johnny, das ist als habe man Paris den Eiffelturm weggenommen.“ Selbstverständlich liess Staatspräsident Macron – in Anspielung an eines der berühmtesten Chansons von Hallyday „On a tous quelque chose en nous de Tennessee“ – noch in der Nacht verkünden: „Tous les Français ont quelque chose de Johnny“, also: in jedem Franzosen stecke ein Stück Johnny. Niemand werde seinen Namen, sein Gesicht und seine Stimme je vergessen und Johnny Hallyday habe einen Teil von Amerika ins französische Kulturgut transportiert.
Wenig später waren auch Macrons Vorgänger Hollande und Sarkozy mit ihren Statements zur Stelle, keiner durfte fehlen beim Trauern um das nationale Monument. Keine Fernseh- und keine Radiostation im Land, die an diesem Tag nicht ihr gesamtes Programm umgeschmissen hätte und stundenlang über sein Leben und Ableben berichtete.
Mehrere Generationen
Die über 90-jährige Sängerin Line Renaud, die Johnnys Karriere angestossen hatte, seine künstlerische Patin war, als sie ihn 1960 mit gerade mal 17 in einer Fernsehsendung auftreten liess, sprach von einer unglaublich starken Bindung zwischen Hallyday und der ganzen französischen Nation, über alle Generationen hinweg, wie es das in Frankreich sonst nie gegeben habe.
Gewiss, die Pariser Intelligentsia sollte stets ein wenig die Nase rümpfen über diesen Underdog, der sich nur sehr holprig ausdrückte, es mit der Syntax nicht so genau nahm und sich peinlichste Versprecher leistete. Doch seine Songs, deren Melodien vom Rock über Blues, Country bis zum Hip-Hop reichten, gingen den meisten Franzosen schlicht unter die Haut, machten ihn zu einem festen Bestandteil, zu einer Ikone Frankreichs.
Gigant der Bühne
Auf der Bühne, vor oft aufwendigsten Kulissen und mit vielen Spezialeffekten, war Hallyday, meist als Rocker gekleidet, ein unvergleichlicher Schwerarbeiter, der sich nichts schenkte, ja ein Gigant, der es verstand, sein Publikum in seinen Bann zu ziehen und mitzureissen, wie kaum ein anderer, bis hin zur absoluten physischen Erschöpfung. „In Frankreich kommt keiner an ihn heran“, soll Rolling Stones-Chef Mick Jagger einst über ihn gesagt haben.
Freiheit und Revolte
Johnny Hallyday, der vier mal verheiratet war, unter anderem mit der Schauspielerin Nathalie Baye, verkörperte für die Franzosen quer durch alle sozialen Schichten so etwas wie Freiheit und Revolte, auch wenn er politisch immer dezidiert die Rechte unterstützt hatte. Sowohl Chirac als auch Sarkozy sprang er vor den Präsidentschaftswahlen mit seiner Popularität zur Seite.
Viele bewunderten in ihm auch den Jungen aus ärmlichen Verhältnissen, der von seinem Vater schon als Baby verlassen worden war und es trotzdem zu etwas gebracht hatte. Er erinnerte in dieser Hinsicht ein wenig an Gérard Depardieu. Die grössten Songwriter schrieben Johnny, der bereits im Alter von 18 ein Star war, schon bald die Texte – Jean-Jacques Goldmann, Michel Berger, ja selbst Charles Aznavour. Und auch der Film öffnete ihm die Arme, Regisseure wie Godard, Costa-Gavras oder Lelouch haben mit ihm gearbeitet.
Bis zum Ende
Johnnys zahlreiche Affären, sein Drogen- und Alkoholkonsum, seine Steuerschulden und seine zeitweilige Steuerflucht in die Schweiz, ja selbst Anschuldigungen wegen Vergewaltigung haben der Popularität bei seinen Fans nie wirklich Abbruch tun können.
Er war noch letzten Juli im südfranzösischen Carcassonne, gegen den Rat der Ärzte, vor Zehntausenden unter freiem Himmel auf der Bühne gestanden, mit seinen alten Gefährten und Jugendfreunden, Eddy Mitchel und Jacques Dutronc, alle über 70. Es sollte das einzige Konzert bleiben einer geplanten Tournee der drei unter dem Titel „Les vieilles canailles“ – die alten Schurken.