Der in den Entwicklungen des heutigen Nahen Ostens wohl erfahrenste und einsichtigste Journalist, der Irländer Patrick Cockburn, hat seine Berichte über Afghanistan, Irak, Jemen, Libyen, Syrien gekürzt, neu zusammengestellt und als mit dem Titel „Chaos and Caliphate“ Buch wiederveröffentlicht*.
„Chaos und Kalifat“ - Kurzformel für die aktuelle Lage
Er hat Tagebuch-Aufzeichnungen und neu verfasste Überbsichten des Geschehens über längere Fristen hinweg mit eingebracht. Es entstand so ein Buch, das von der Unmittelbarkeit des journalistischen Tagesberichtes ausgeht, jedoch überleitet zu einer Gesamtschau der Ereignisse in der islamischen Welt über die letzten zwanzig Jahre hinweg.
Dies ist eine Entwicklung, deren Ursachen und Beweggründe in der Aussenwelt bis heute unklar geblieben sind. Zu ihrer Klärung ist die Übersicht über einen längeren Zeitraum hinweg grundlegend. Deutlicheres und sichereres Wissen über die Ursachen und Beweggründe ist natürlich auch eine wichtige - vielleicht die entscheidende - Voraussetzung dafür, dass "Chaos und Kalifat", (Titel des Buches und die Kurzformel des Verfassers für die gegenwärtige Lage im Nahen Osten) überwunden werden kann.
Mit rein militärischen Mitteln ist dies nicht zu erreichen, wenngleich diese als erste Gegenmassnahme in einer Notlage unvermeidbar sein dürften. Solange es jedoch bei bloss militärischer Abwehr bleibt, ohne dass der politische und gesellschaftliche Nährboden verändert wird, aus dem "Chaos und Kalifat" aufkeimten, wird der Zerfallsprozess in der arabischen und in der weiteren islamischen Welt andauern, militärische Siege oder Niederlagen hin oder her.
Nährboden für die Jihadisten
Es geht um diesen Nährboden und seine komplexe Komposition. Zustande gebracht haben ihn in erster Linie die Machthaber der vergangenen Jahrzehnte, jedenfalls was den Irak und die von diesem Land ausgehenden Entwicklungen betrifft, das unterstreicht Cockburn: die USA, unkritisch unterstützt durch Grossbritannien und die Länder des europäischen Kontinents. Er schildert, wie schon im Vorfeld der Irak- Invasion von 2003 der über zwölf Jahre hinweg geführte Wirtschaftsboykott gegen den Irak Saddam Husseins, der im Zeichen der Uno durchgesetzt wurde, Wirtschaft und Gesellschaft des Landes zugrunde richtete, ohne die Gewaltherrschaft Saddam Hussein zu vermindern.
In diesen zwölf Jahren starben mehr Iraker, so versichert der Verfasser gestützt auf Statistik, durch den Boykott als in dem späteren Krieg und die ihm folgenden Wirren. Die USA und Grossbritannien waren die Hauptbetreiber hinter den Uno-Massnahmen. Opfer wurden die schwächsten Teile der irakischen Gesellschaft: Kleinkinder und alte Leute, die an Unterernährung zugrunde gingen. Hunger litt die grosse Masse der Bevölkerung, aber nicht Saddam und seine Vertrauten.
Zahlenmässig waren die Hungernden 21,5 Millionen der damaligen 22 Millionen Iraker (heute ist ihre Zahl trotz Boykott und Krieg auf 37 Millionen gewachsen). Eine Oberschicht von 500 000 lebte bequem, und der Diktator liess sich schlossartige Residenzen in allen Provinzen errichten. Doch die einst wohlausgebaute Infrastruktur des Iraks wurde zugrunde gerichtet. Elektrizitätswerke und Raffinerien konnten nicht wiederaufgebaut werden.
Elektrizität ist im Irak nicht nur für Beleuchtung und Kühlung unentbehrlich. Sie ist auch Voraussetzung dafür, dass die Wasserpumpen betrieben werden, ohne die es kein reines Trinkwasser gibt und sich daher Seuchen ausbreiten. Ohne die Pumpen gibt es auch keine Bewässerung, was zum Zusammenbruch der Landwirtschaft führt. Die Kindersterblichkeit wuchs um mehr als das Dreifache, von 36,5 Kindern pro Tausend, die in ihrem ersten Lebensjahr starben, auf 120 pro Tausend.
Fern von den Anliegen der Bevölkerung
Ein grosser Teil des Buches befasst sich mit dem Irak. Cockburn war dort Jahre hindurch Augenzeuge. Er beschreibt eindrücklich die Blindheit der amerikanischen Besetzungsmacht. Sie äusserte sich nicht nur in den - heute allgemein bekannten - grundsätzlichen Fehlentscheiden, die zu Beginn der Besetzung gefällt wurden: Auflösung der irakischen Armee und Staatspartei, die einer Auflösung des irakischen Staates gleichkam. Tolerierung der Plünderungen in den ersten Wochen der amerikanischen Besetzung.
Die Blindheit für die Realitäten des militärisch überrannten Landes beruhte letztlich auf der Arroganz einer Supermacht, die an ihre eigene Propaganda glaubte, obwohl sie wusste, dass es sich um Propaganda handelte. Dieses Kunststück gelang ihr dadurch, dass sie ihre Augen vor allen Realitäten verschloss. Sie kapselte sich ab in einer Grünen Zone, um "sicher" zu sein, dass die Realitäten sie nicht berührten.
So gelang es ihr, sich selbst und ihrer Bevölkerung auf dem fernen amerikanischen Kontinent, einzureden, der Erfolg habe sich eingestellt, die Demokratie blühe auf, die Iraker seien dankbar dafür, dass sie "befreit" worden seien, allen Umfragen zum Trotz, die jedes Jahr deutlicher zeigten, dass die Besetzungsmacht und ihr Tun von der grossen Mehrheit der irakischen Bevölkerung strikte abgelehnt wurde. Hauptanliegen war die Wiederwahl von George W. Bush, wie es dem Irak erging, war demgegenüber Nebensache.
Wichtiger als Nationalismus - die religiöse Solidarität
Der Versuch der Amerikaner, eine Scheindemokratie kolonialer Natur aufzuziehen und in deren Schatten das eroberte Land mit seinen Petroleumvorkommen auszubeuten, scheiterte nicht am Nationalismus der irakischen Bevölkerung. Dieser war unter dem Mühlstein der Tyrannei Saddams Hussein zermalmt worden, schon in der Zeit als Saddam von den Amerikanern als Freund und Klient eingestuft und gegenüber Iran gestützt wurde. Dies war in den Jahren 1980-8 der Fall.
Es war, wie Cockburn aufzeigt, die religiös begründete Macht des Grossayatollahs Sistani, welche die Amerikaner dazu zwang, gegen ihre ursprüngliche Absicht, echte - nicht bloss manipulierte- Wahlen durchzuführen und dadurch der schiitischen Mehrheit das Tor zur Macht über den Irak zu öffnen.
Mit der Folge, dass die unterlegenen arabischen Sunniten gleichzeitig zum Widerstand gegen die Amerikaner und gegen die neue schiitische Staatsmacht schritten. Zuerst mit dem Mittel des Boykotts der Wahlen, dann, als sich der Boykott als ein Fehler erwies, mit jenem des politischen Widerstandes. Als dieser fruchtlos blieb, mit Protesten, und als diese fehlschlugen, mit Waffengewalt.
Schiiten und Sunniten in einen Machtkampf getrieben
Der grausame Bürgerkrieg der Sunniten und der Schiiten, der zwei Jahre lang dauerte (2006 und 2007) hat eine Wunde geöffnet, die sich später auf den ganzen Nahen Osten ausdehnen sollte unter Einbeziehung Saudi Arabiens und - auf der Gegenseite - Irans. Die Amerikaner der Grünen Zone sahen diesem Bürgerkrieg tatenlos zu. Mit Tanks und mit Kriegsflugzeugen war nichts gegen ihn auszurichten. Dieser Krieg wurde hervorgerufen durch jihadistische sunnitische Kampfgruppen, wie es sie im Irak unter Saddam Hussein nie gegeben hatte. Sie kamen aus Afghanistan, wo sie ursprünglich mit amerikanischer Hilfe gegen die Sowjetbesatzung gekämpft hatten.
Die bekanneste dieser Gruppen afghanischen Ursprungs war jene, die unter dem Jordanier Abu Musab al-Zarqawi kämpfte. Sie fand im amerikanisch besetzten Irak einen Nährboden, der ihr in Afghanistan nach dem Abzug der Russen fehlte. Zwei Hauptelemente bildeten diesen Nährboden: die brotlos gewordenen Hunderttausende der von den Amerikanern entlassenen Soldaten, Offiziere und Staatsbeamten, meist Sunniten einerseits. Und anderseits die Befürchtungen und Ressentiments der gut fünf Millionen vom Staatsvolk zum Minderheitsvolk degradierten arabischen Sunniten.
Die ebenfalls rund fünf Millionen kurdischen Sunniten, benützten die amerikanische Besetzung, um ihren Wunsch nach Unabhängigkeit entscheidend zu fördern. Zu diesem Zweck arbeiteten sie mit den irakischen Schiiten zusammen gegen das bisherige Staatsvolk der irakischen sunnitischen Araber.
Die Schiiten waren für Wahlen im Irak
Der Plan der Schiiten war, ihre Mehrheit dafür einzusetzen, dass ihre Gemeinschaft zum führenden Staatsvolk werde. Al-Zarqawi und seine Anhänger suchten diesen Plan zu zerstören, indem sie durch Provokation der Sunniten des Land unregierbar machten. Geraume Zeit widerstanden die irakischen Schiiten der Versuchung, auf die blutigen Provokationen Zarkawis zu reagieren.
Diese bestanden in erster Linie aus gegen die schiitische Zivilbevölkerung gerichteten Bombenanschlägen. Sie gingen Hand in Hand mit Versuchen, die amerikanische Besetzungsmacht zu bekämpfen, zuerst hauptsächlich durch an den Durchgangsstrassen gelegte Minen, später auch durch Aufstandsversuche ganzer sunnitischer Ortschaften. Prominent wurde diese Taktik in der sunnitischen Stadt Falloudscha von 300 000 Bewohnern durchgesetzt.
Samarra als Auslöser für blutigen Bürgerkrieg
Die schiitischen Geistlichen ermahnten ihre Gemeinden, den Provokationen der sunnitischen Aktivisten zu widerstehen. Doch die Zerstörung eines der grossen Heiligtümer des Schiismus, der Moschee von Samarra, durch sunnitische Terroristen vom 22. Februar 2006 bewirkte einen Dammbruch. Von da an schlugen die schiitischen Aktivisten und Kämpfer auf die sunnitische Bevölkerung zurück, und immer mehr Sunniten taten, was sie vermochten, um sich an den Schiiten zu rächen.
Sunniten, die über die nötigen Mittel verfügten, flohen in Massen nach Jordanien und Syrien. Bagdad wurde damals aus einer gleichermassen aus beiden Religionsgruppen gemischten acht Millionenstadt zu einer überwiegend schiitischen. Die Amerikaner in ihrer Grünen Zone sahen zu, ohne ihrer Verantwortung als Besetzer des Landes nachzukommen und den Bürgerkrieg zu bekämpfen. Sie schlugen nur zurück, wenn ihre eigenen Truppen unter Beschuss gerieten.
Al-Zarqawi wurde im Juni 2006 das Opfer eines amerikanischen Luftangriffes, doch seine Kampfgruppe bestand fort. Ursprünglich nannte sie sich "al-Kaida im Irak" und anerkannte die Kaida-Führung, die von Afghanistan oder Pakistan aus wirkte. Die irakische Bewegung verlor Anhängerschaft, als die sunnitische Stammesbevölkerung der Wüstenprovinz Anbar sich von ihr abwandte und auf die Seite der Amerikaner trat ("Sahwa"). Doch "al-Kaida im Irak" war nach dem Abzug der Amerikaner in der Lage, von den weiteren Wirren in Syrien und im Irak zu profitieren.
Syrien infiziert den Irak - und der Irak Syrien
Im syrischen Nachbarland hatten sich die Sunniten gegen die von Alawiten getragene und mit dem schiitischen Iran verbündete Regierung Baschar al-Asads erhoben. Während im Irak der zur amerikanischen Zeit eingesetzte schiitische Ministerpräsident, Nuri al-Maleki, eine pro-schiitische Politik führte mit Begünstigung seiner schiitischen Gefolgsleute und Verbündeten und Diskriminierung und Verfolgung der irakischen Sunniten.
Schon im September 2014 äusserte Cockburn die Vermutung, dass die früheren Geheimdienste Saddam Husseins nun mit dem "islamistischen" Widerstand gemeinsame Sache machten. Die Bomben gegen Fahrzeuge auf den Strassen und gegen Menschenversammlungen in den Städten waren merklich listenreicher geworden. In den folgenden Jahren sollte sich herausstellen, dass Organisatoren aus den Geheimdienstkreisen des besiegten Diktators die Aufbau und Strukturierung von IS als Terrorstaat förderten und systematisierten - komplett mit eigenen Geheimdiensten zur strengen Kontrolle der eigenen Kommandanten und zivilen Machthaber und im expansiven Bereich aufbauend auf dem universalen Prinzip des "divide et impera".
IS-Organisatoren aus Saddams Geheimdiensten
Dieses wurde schon im Vorfeld der Inbesitznahme von Ortschaften oder Landstrichen angewandt. Geheime Späher gingen den Truppen voraus und meldeten ihren Vorgesetzten, wer unter der lokalen Bevölkerung gewinnbar sei, wer als nicht gewinnbarer Feind einzustufen, wer Führungspositionen und Prestige besass usw. Die erobernden Truppen waren mit Listen versehen, auf denen stand, wer sofort eliminiert werden müsse und wer als möglicher Verbündeter gewinnbar sei. Diese Klassifikationen beruhten auf den in jedem Ort vorgefundenen Macht. und Vermögensumständen, Verwandtschafts- und Stammesverhältnissen, Freundschaftsbanden und Feindschaften, die schon im Voraus ausgekundschaftet waren.
Angst vor grausamen Strafen, die ostentativ zur Schau gestellt wurden, bildeten in einer zweiten Phase den Kitt, der die neu beherrschten Gruppen und Territorien unter Kontrolle hielt. Es waren und bleiben diese Geheimdienstmethoden, die es den Jihadisten erlaubten, ihr eigenes Territorium zu erobern, zu halten und dessen gegen fünf Millionen verbliebene Bewohner rücksichtslos auszubeuten.
Zwei Varianten der Guerilla
Patrick Cockburn hat seine journalistische Karriere als Berichterstatter in Irland zu Zeiten der IRA-Rebellion gegen Grossbritannien begonnen. Diese Erfahrungen geben ihm einen Einblick in das Wesen von bewaffneten Volksaufständen in der heutigen Zeit, der offensichtlich den meisten Berufsmilitärs fehlt. Berufsmilitärs werden für Kriege geschult, in denen sich zwei Armeen gegenüberstehen. Doch solche Kriege sind möglicherweise veraltet und werden vielleicht kaum mehr vorkommen.
Was Cockburn über Guerilla Kriege zu sagen hat, dürfte immer mehr allgemein gültig werden. "Es gibt zwei Arten von Guerilla Krieg. Die erste versucht, die Guerilla Schritt für Schritt aufzubauen bis eine reguläre Armee zustande kommt. Das klassische Beispiel ist Mao Zedong in China. Der zweite Typus besteht aus unerwarteten Angriffen durch kleine Zahlen von Kämpfern mit dem Ziel, politischen Druck auf den Feind auszuüben, der unerträglich wird.
Dies waren die der Feldzüge der IRA in Irland 1919-21, des Irgun in Palästina in den 40er Jahren, der EOKA unter Grivas in Zypern in den 50ern und nochmals der IRA in Nordirland. Es ist dieser zweite Typus von Guerillakrieg, mit dem es die USA zu tun haben und von dem sie nicht richtig wissen, wie er zu kämpfen sei." (p.88 in Cockburns Buch).
"Acht Kriege" im Nahen Osten
Cockburn schreibt auch über Afghanistan, Syrien, Jemen, Libyen, Bahrain stets aus eigener Anschauung. Er kehrt zurück nach Afghanistan zehn Jahre nach der amerikanischen Invasion, und er schliesst mit einem Kapitel über "das Kalifat" des IS, in dem er die Entstehung und die Ausbreitung des IS analysiert.
Syrien sieht er von Seiten der Regierung aus, und er verfehlt nicht, auf die Untaten der Kampfgruppen hinzuweisen, von denen weniger die Rede zu sein pflegt als von jenen des Asad-Regimes. Die Wende zu Gunsten Asads, welche der Eingriff der Russen vom September 2015 bewirkte, kam nach Abschluss des Buches.
Das Zentrum der Ausführungen und Reportagen bildet der Irak, wo sich Cockburn jahrelang aufhielt. Ein abschliessendes Kapitel befasst sich mit den "acht Kriegen", die gegenwärtig den Mittleren Osten und Nordafrika heimsuchen: Afghanistan, Irak, Syrien, Yemen, Libyen, Somalia, Nigeria, der Kurdenkrieg der Türkei. Zwei weitere liessen sich noch hinzufügen: Sudan und Mali.
Kriminalisierung und Korruption bei Regierungen und Guerillas
Ein jeder dieser Kriege unterscheidet sich von den anderen, doch alle haben gemeinsam, dass die Regierungen gegen eine Guerilla zu kämpfen haben, oder dass die Regierungen sich in derartigen Kämpfen bereits aufgelöst haben. Zu den gemeinsamen Nennern gehört auch die Kriminalisierung und Korruption auf beiden Seiten der Kampfesfronten, bei den Regierungen und bei den Guerillas.
Cockburn verweist auf seine Erfahrungen im Krieg der Russen und der Tschetschenen, um eine weitere Gemeinsamkeit im Nahen Osten auszumachen. Im Kaukasus gewannen die Russen, natürlich einerseits durch ihre gewaltige Überlegenheit an Mannschaften und Waffen, jedoch auch dank einem weiteren Faktor: die Tschetschenen fanden sich isoliert, rings von Russen umgeben, ohne Hilfe durch Nachbarstaaten.
Eingriffe äusserer Mächte in islamische Bürgerkriege
Dies ist anders im Falle der Nahostguerillas und Aufstände. Sie können überall auf Grenzen zählen, über die hinweg sie Unterstützung erhalten und die ihnen Zufluchtsräume bieten. Pakistan spielte und spielt noch immer diese Rolle für die Taliban in Afghanistan. Iran und Syrien einerseits, die Golfstaaten und Saudi Arabien andererseits im Irak. Später intervenierten zwei Schichten in den syrischen Bürgerkrieg übereinander: die lokalen Mächte, Iran und Hizbullah, für Asad, jedoch Saudi Arabien, die Golfstaaten und die Türkei gegen ihn - und auf der Stufe darüber die Supermächte: Russland für Asad, die USA gegen ihn.
In Libyen verschaffte die Einmischung der europäischen Mächte und der USA den Feinden Ghadhafis den Sieg. Doch die späteren libyschen Kampfgruppen erhielten in ihrem Krieg gegeneinander Hilfe aus Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten für die Regierung von Tobruk. Hilfe von Qatar und aus der Türkei kam für die Gegenseite in Tripolis, während die Uno versuchte, eine dritte Macht ins Leben zu rufen, und die jihadistischen Islamisten Libyens sich vom IS aus Syrien unterstützen liessen.
In Somalia waren es die Amerikaner, später die Äthiopier, dann die Kenyaner, die von aussen eingriffen, um ihre Freunde zu unterstützen und ihre Feinde zu bekämpfen. Resultat war die Stärkung und die Radikalisierung der somalischen Islamisten. Allgemein formuliert: die Chancen der Guerilla und ihrer Gegner, den Krieg durchzustehen bis zur Erschöpfung des politischen Willens des Gegners werden entscheidend verbessert, wenn diese Guerilla Unterstützung von aussen erhält oder einen ihr freundlichen Grenzraum ausnützen kann.
Religion ersetzt Nationalismus als Klammer
Eine weitere Gemeinsamkeit fällt Cockburn auf: in all diesen Konflikten ist eine Abwertung der Zugkraft der nationalistischen Ideen erkennbar, kompensiert durch eine Aufwertung der religiösen Solidarität. Die Abwertung des Nationalismus lässt sich dadurch erklären, dass die jungen Nationen schon kurz nach der Unabhängigkeit in die Hände von Offizieren gerieten, die sich mehr und mehr um ihre eigene Machterhaltung kümmerten und zu diesem Zweck Günstlingsherrschaften und Polizeiregime einrichteten.
Die Superstaaten des Kalten Krieges halfen ihnen dabei, denn sie rangen gegeneinander um Einfluss in den "grauen Zonen". Die militärischen Einmannherrscher gaben vor, im Namen des Nationalismus zu handeln, doch mehr und mehr schritten sie zur Bereicherung ihrer selbst und ihrer Parteigänger unter offensichtlicher Verachtung ihrer eigenen Nation. Diese wurde durch Polizei- und Folterregime ruhig gehalten.
Wenn die nationale Solidarität auf diese Art diskreditiert wurde, blieb die Solidarität der Religionsgemeinschaften als der nächste gemeinsame Nenner, der relativ weite Kreise umfasste und über die primären und bloss lokalen Gemeinschaften von Famlie, Clan, Ortschaft hinausreichte. Wenn der nationale Zusammengehörigkeitsfaktor wegfiel, bot sich jener der Religionsgemeinschaften als der weitreichendste an, in dessen Zeichen grössere Gruppen zum gemeinsamen Handeln veranlasst werden konnten.
Die Funktion der Massaker
Die Solidarität unter Religionsgruppen kann ins Fanatische gesteigert werden durch Massaker zwischen den Angehören dieser Gruppen. Unter diesen Umständen wird die eigene Gemeinschaft der einzige Schutz gegen die Mordlust der anderen. Personen, die Macht anstreben, nützen dies aus. Sie können, indem sie Massaker an "Feindesgruppen" organisieren, zu Anführern ihrer eigenen Gruppe werden. Diese wird gezwungen, ihnen durch dick und dünn Folge zu leisten, wenn sie der Rache der Feindesgruppe entkommen will.
Keine Rezepte
Vorschläge und Rezepte, wie die Lage gerettet werden könne, bietet Cockburn nicht an. Er schliesst pessmistisch mit dem Satz: "Die Dämonen, die diese Zeiten des Chaos im Mittleren Osten entfesselt haben, sind eine Kraft geworden, die sich nicht mehr aufhalten lässt."
*Patrick Cockburn: CHAOS AND CALIPHATE - The Jihadi Struggle for the Middle East, OR Books, New York and London 2016