Mit der Preisstabilität ist es vorbei. Das Gespenst der Inflation ist da. Wir sind alle davon betroffen. Die Rolle der Nationalbank ist umstritten.
Vor drei Monaten schrieb ich an dieser Stelle über die Rolle der Notenbanken, insbesondere der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Diese muss «sich gemäss Verfassung und Gesetz vom Gesamtinteresse des Landes leiten lassen, als vorrangiges Ziel die Preisstabilität gewährleisten und dabei die Konjunktur berücksichtigen». (www.snb.ch)
Jetzt sind sie da, die Anzeichen einer Inflation
Mit 2,9 Prozent Teuerung im Mai 2022 gegenüber dem entsprechenden Monat des Vorjahres ist es vorbei mit der Preisstabilität in der Schweiz. Auch wenn sich im Vergleich zum Euroraum (7,4 Prozent Teuerung) oder den USA (8,5 Prozent) dieser Wert noch sehr bescheiden ausmacht, von jetzt an steigt die Inflation auch in unserem Land. Natürlich profitieren wir im Moment noch vom starken Franken, der die ausländischen Preisaufschläge mindert. Doch lässt sich aus der Entwicklung des Produzenten- und Importpreisindex (6,1 Prozent Teuerung) folgern, dass die Zeiten der vernachlässigbaren Inflation vorbei sind.
Vielleicht sollten wir uns wieder einmal daran erinnern, was mit Inflation eigentlich gemeint ist: eine anhaltende, allgemeine Erhöhung des Preisniveaus und ein dadurch bewirkter Rückgang der Kaufkraft unseres Geldes. Wenn sich das Einkommen nicht im gleichen Rahmen erhöht, verlieren wir jeden Monat Geld. Zum Beispiel auf unseren Sparkonti.
Die Nebenwirkungen auf dem Beipackzettel
Bei den Medikamenten, die wir einnehmen, wird vor den Nebenwirkungen eindringlich gewarnt. Nicht so bei der «Gesundheitsstrategie» der SNB: Die seit Jahren praktizierte Tiefzinspolitik – insbesondere der Negativzins von 0,75 Prozent – hat gravierende Nebenwirkungen, deren wir uns langsam bewusst werden.
Wer keinen Zins auf sein Sparguthaben erhält, wird sich zweimal überlegen, ob er das akzeptieren will. Wenn sich Sparen nicht mehr lohnt, gibt man das Geld lieber aus. Oft für Unnötiges: ein neues Auto, neue «Möblierung» des Gartens oder Balkons, kurz, nicht überlebensnotwendige Anschaffungen. Die Folgen: Sparen war einmal. «Spare in der Zeit, so hast du in der Not» war eine Devise unserer Grosseltern.
Wer gar 0,75 Prozent Strafzins bezahlen müsste, sucht nach besseren Alternativen. Unübersehbar ist seit Jahren die Flut der Gebäudesanierungen und -renovationen, Millionen von Franken fliessen in diesen Sektor – auch dort, wo es sich noch gar nicht aufdrängt. Es sind vor allem Grosskonzerne, die ihre flüssigen Mittel auf diese Weise «investieren», um dem Strafzins zu entgehen. Die Folgen: Erhöhung der Mieten. Im sensiblen Wohnungsbau ist dieser Trend unerwünscht: Immer mehr Menschen beklagen sich über zu hohe, ja untragbare Mieten.
Die Reaktion der SNB
Anlässlich der Generalversammlung der Nationalbank nannte ihr Präsident Thomas Jordan zwei Gründe, warum sich die SNB immer noch nicht bewege. Einerseits sei der Inflationsdruck in der Schweiz noch «moderat». Andererseits sei er sicher, dass sich die Inflation auf absehbare Zeit wieder im Rahmen des SNB-Preisrahmens zurückbewegen, also wieder beruhigen werde. Schön wär’s.
Da die SNB – anders als in früheren Zeiten – seit Monaten eine gewisse Aufwertung des Frankens zulässt, ohne dagegen zu intervenieren, verringert sie tatsächlich den Druck auf die importierte Teuerung. Ob das auf längere Sicht funktionieren wird? Es gibt Ökonomen, die anderer Ansicht sind. Gemäss einer Analyse der Firma Wellershoff & Partners gilt die Faustregel, «… dass selbst eine massive Aufwertung um 10 Prozent die Inflation in den Folgejahren nur um zirka 0,5 Prozentpunkte reduzieren kann. Das ist besser als nichts, aber viel zu wenig, um einer sich verfestigenden Inflation zu begegnen». (»Neue Zürcher Zeitung»)
Bedrohte Kaufkraft
Coronavirus, grosszügige Rettungspakete der Regierungen zur Pandemiebekämpfung, Geldspritzen der Zentralbanken, Lieferengpässe und stark steigende Rohstoff- und Energiepreise, seit Februar 2022 der Ukrainekrieg – dies alles, verbunden mit einer weltweit steigenden Nachfrage als Folge der Coronabeschränkungen, befeuert die Teuerung. Diese dürfte in den kommenden Monaten weiter ansteigen.
Die Gefahr besteht durchaus, dass bei einer Abschwächung der Wirtschaftsleistung ein Stagflations-Szenario entstünde. Noch ist es nicht so weit, doch muss die Frage erlaubt sein, wie lange die SNB auf ihrer Tiefzinspolitik verharren wird. Bereits haben das FED (amerikanische Zentralbank) und die Bank of England ihre Leitzinsen erhöht und die EZB (Europäische Zentralbank) zögert und überlegt und wägt ab …
Auch die Politik ist gefordert
Fairerweise muss daran erinnert werden, dass sich die Zentralbanken (ohne die SNB) mit dem während Jahren gepflegten Aufkauf von Staatspapieren in eine unmögliche Situation hineinmanövriert haben. So haben einzelne europäische Nationen profitiert (als Beispiel: man erinnert sich an Italien und den damaligen EZB-Chef Draghi). Müssten jetzt die Leitzinsen drastisch erhöht werden, kämen diese Länder erneut in grosse Schwierigkeiten. Doch letztlich darf die Misswirtschaft der politischen Kaste in einigen europäischen Nationen nicht als Massnahmenkiller zulasten der übrigen Länder funktionieren.
Auch in der Schweiz ist die Politik gefordert. Bereits werden – angesichts gestiegener Benzin- und Heizölpreise – Forderungen einzelner Parteien laut, die nach «Kompensation» rufen. Mit anderen Worten, der Staat solle diese Preise künstlich verbilligen (Verzicht auf Steuern als Beispiel), damit Konsumenten geschont werden. Diese abstruse Idee ist das Dümmste, was als Reaktion denkbar ist. Sparen wäre die adäquate Antwort, um das private Budget zu schonen: weniger Auto fahren, Heiztemperatur herunterfahren, Warmwasser (Duschen!) sparen.
Auch der lauter werdende Ruf der Gewerkschaften nach sofortigen Lohnerhöhungen ist zwar wie erwartet, aber trotzdem falsch. Würden die Löhne jetzt sofort erhöht, müssten die Unternehmen ihre Verkaufspreise anheben und schon hätten wir die Voraussetzungen für die befürchtete Lohn-Preis-Spirale, also die Treiber der Inflation.
Wir alle beeinflussen die Inflation
Nach wie vor ist die Nachfrage nach Schweizer Industrieprodukten erfreulich hoch. Die Auftragsbücher sind prall gefüllt. Es mehren sich jedoch Anzeichen grösserer Lieferprobleme – nicht zuletzt als Folge des Ukrainekrieges. Sogar das Konjunkturbarometer der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH hat sich im April aufgehellt.
Dennoch hat sich die Stimmung der Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten neuerdings etwas eingetrübt. Es zeigt sich eine höhere Zurückhaltung bei grösseren Anschaffungen. Tendenziell würde ein Umsatzrückgang zu grösserer Marktaktivität der Anbieter führen, Aktionen und Preisreduktionen sollten das Geschäft wieder ankurbeln, was sich wiederum inflationsmindernd auswirken würde – was also auch positiv zu sehen wäre.
Würden etwa weniger Personenneuwagen gekauft – wäre das so schlimm? Würde weniger in die Ferien geflogen – für die CO2-Bilanz sogar ein Plus. Ginge der extrem hohe Waste-Anteil in der Schweiz zurück – wunderbar! All dies hätte inflationssenkenden Einfluss. Diese Liste liesse sich fortsetzen. Wir alle haben es in der Hand.