Die Entdeckung der Nuklear-Fachleute der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) liess in westlichen Metropolen, in Israel und bei der IAEA in Wien selbst die Alarmglocken scheppern: Sie meldeten in der vergangenen Woche den Fund einer kleinen Menge von auf 83,4 Grad angereichertem Uran in der iranischen Anlage von Fordo. Keine sieben Grad mehr und Iran würde über jene 90 Grad verfügen, die für die Konstruktion einer Atombombe erforderlich wären.
Die Reaktionen: Israels rechtsradikale Regierung drohte, lautstärker als bisher, mit Angriffen auf die iranischen Nuklearanlagen. Und die IAEA entschloss sich, sogleich ihren obersten Chef, Rafael Grossi, nach Teheran zu schicken.
Nach der Rückkehr nach Wien gab Grossi nicht nur Entwarnung – er schürte öffentlich sogar noch Hoffnungen, dass die IAEA mit dem Regime in Teheran wieder konstruktiv zusammenarbeiten könne. Man habe sich darauf geeinigt, die Zahl der Inspektionen zu verdichten, und die Iraner hätten sich auch bereit erklärt, Überwachungskameras in einigen Anlagen, die vor Monaten ausser Betrieb genommen worden waren, wieder zu installieren.
«Shame on you»
Kaum waren die Befunde des IAEA-Chefs öffentlich, erhob sich auf Twitter ein Sturm der Entrüstung. Wie nur könne die Agentur sich mit dem Schurkenregime verständigen, wurde gefragt – mit einem Regime, das die Frauen unterdrücke, allein in den letzten zwei Monaten 94 Menschen habe hinrichten und jetzt auch noch massenweise Schülerinnen habe vergiften lassen? «Shame on you» beinhalteten Dutzende Kommentare auf Twitter an die Adresse von Rafael Grossi.
Die westlichen Regierungen stecken seit dem Beginn der Protestwelle gegen das Regime (also seit September 2022) im Dilemma, wie sie sich gegenüber Teheran verhalten sollen. Alle bestellen in periodischen Abständen den jeweiligen Botschafter ein und protestieren gegen die Repression und die Todesurteile. Deutschland wies zwei iranische Diplomaten aus, was Teheran erwartungsgemäss mit Gleichem beantwortete. Die EU verhängte Sanktionen – wohl im Wissen, dass sie schon deshalb wirkungslos bleiben, weil Iran ja bereits so umfassend wie nur vorstellbar sanktioniert ist.
Unbedacht, mit Tschador
Die Schweiz liess es bisher bei Protesten bewenden – und geriet in internationalen Medien in ein schiefes Licht, weil die Botschafterin unseres Landes bei einem Besuch der Grabstätte der Fatimah (Schwester des 8. Imams, gestorben im 9. Jahrhundert) sich in Qom, unbedacht, mit Tschador ablichten liess.
In vielen westlichen Grossstädten demonstrieren weiterhin tausende, oft zehntausende, gegen das repressive Teheraner Regime und fordern den totalen Abbruch der Beziehungen. Und mitten in dieser aufgeladenen Stimmung reiste der oberste Chef der IAEA für zwei Tage nach Iran, unterhielt sich mit den dortigen Verantwortlichen, kehrte zurück und teilte der Welt mit: Wir sind auf bestem Weg zum Courant normal.
International übergeordnetes Interesse
Bei allem Verständnis für jene, die sich das Regime Irans je schneller desto besser in die Hölle wünschen – es gibt parallel dazu auch noch ein international übergeordnetes Interesse. Es lautet: Iran muss davon abgehalten werden, zur Atommacht zu werden. Sollte das nicht gelingen, droht erstens ein nukleares Wettrüsten in der mittelöstlichen Region (Saudi-Arabien beispielsweise ist da bereits in den Startlöchern) und zweitens ein breitflächiger Krieg, in dem Israel eine Führungsrolle übernehmen wird. Und der sich leicht auf weitere Länder ausdehnen kann.
Aber kann der Point of no Return in der Richtung einer iranischen Atombombe überhaupt noch vermieden werden? Iran hat bereits so viel Uran auf 60 Prozent angereichert, dass es nur noch wenige Monate benötigen würde, um genügend Material für eine oder mehrere Bomben zu produzieren. Allerdings, das zumindest beurteilen die Fachleute bei der IAEA so, würde das Land noch etwa ein Jahr benötigen, um auch einen Sprengkopf etc. zu entwickeln. Doch wo ein Wille ist (oder vorhanden wäre), da ist bekanntlich auch ein Weg.
National statt religiös
Das Regime in Teheran beteuert immer wieder, es strebe keine Atombombe an, eine solche Waffe wäre «unislamisch». Gemeint ist das wohl in dem Sinn, als gemäss koranischen Traditionen Kriege von Mann zu Mann geführt werden sollten und Nicht-Kombattanten (darunter verstand man damals Frauen, Kinder, alte Männer) verschont werden müssten.
Im religiösen Kontext mag das nachvollziehbar sein, nur liegt die Macht in Iran seit Jahren schon viel mehr bei den Revolutionswächtern, die ihre «Mission» eher als national denn als religiös begründen. Dass es in den Rängen der Revolutionswächter Kräfte gibt, die sich für Iran die Atombombe als ultimative Waffe wünschen, ist anzunehmen.
«Brutstätten» für die Atomtechnologie
Bis 2003 gab es ja auch, nachweislich, in Iran Entwicklungsarbeiten in Richtung der Bombe. Und in den letzten Jahren entdeckten zumindest israelische Geheimdienststellen immer wieder atomare Forschungsarbeiten, die in die Richtung einer A-Bomben-Produktion hinwiesen.
Mohsen Fachrizadeh war der prominenteste Atom-Wissenschaftler, den der israelische Geheimdienst (27.11.2020) in Teheran ermordete – Anschlägen des Mossad fielen in den letzten zehn Jahren mindestens weitere neun iranische Fachleute zum Opfer. Hinzu kamen zahlreiche Attacken auf Anlagen in Iran, die Israel als «Brutstätten» für die Atomtechnologie oder sonst als potentielle militärische Bedrohung betrachtete.
Intensivere Beziehungen zu China und Russland
All das konnte jedoch die iranischen Entwicklungsarbeiten im atomaren Bereich nicht brechen – so wenig, wie die von den USA unter Präsident Trump verhängten Sanktionen gegen Iran das Land oder mindestens dessen Makro-Ökonomie in die Knie zwingen konnten.
Irans Führung lernte, mit all dem zurecht zu kommen – auf dem Buckel der breiten Bevölkerung, kann man rückblickend feststellen, in effizienter Weise anderseits für die «Nomenklatura». Und je frostiger sich die Beziehungen zum Westen entwickelten, desto intensiver wurden sie mit China und Russland.
Brutale Repression
Beim Thema Atom anderseits spielt das Regime auf mindestens zwei Klaviaturen: Aus Protest gegen die Annullierung des Abkommens durch US-Präsident Trump (2018) verstösst Iran absichtsvoll und öffentlichkeitswirksam in periodischen Abständen gegen die im Vertrag von 2015 festgesetzten Limiten der Uran-Anreicherung (man einigte sich damals auf eine Anreicherung auf 3,67 Prozent) – jetzt hat das Land bereits, wie erwähnt, eine grössere Menge auf 60 Prozent angereichert. Jedes zusätzliche Prozent löst international Nervosität aus, und das ist, aus der Perspektive Teherans, ja auch beabsichtigt. Iran will die Rückkehr der einstigen Partnerstaaten, inklusive USA, an den Verhandlungstisch über die Wiederbelebung des Atomabkommens und damit zur Annullierung der Sanktionen erzwingen.
Gelungen ist das bisher nicht – und es wird auch nicht gelingen. So lange die brutale Repression der Bewegung für «Frau, Leben, Freiheit» nicht endet, wird sich keine westliche Regierung dazu durchringen, sich mit iranischen Politikern an einen Verhandlungstisch zu setzen und der Öffentlichkeit zu verkünden, man sei bereit zu Konzessionen. Die jetzt gegenüber dem IAEA-Direktor Grossi bekundete «Kooperationsbereitschaft» ist nichts als ein Detail – es ändert nichts an der grundlegenden Problematik.