Der Mann schwitzt und ist rot angelaufen. Der Speck am Halsrücken von Gérard Larcher wölbt sich über den weissen Hemdkagen, vorne hängt das doppelte Kinn fast bis zum Krawattenknopf. Der streng gezogene Scheitel im leicht schütteren Haar hat ein wenig gelitten während dieser turbulenten Stunden im Senatspalast, in denen es für die Franzosen eigentlich um fast nichts geht, für Gerard Larcher und andere Senatoren aber um Posten, Prestige und um Macht, die sie im Grunde aber nicht haben. Draussen tobt das Land, jagt eine Krise die nächste, häufen sich die Sorgen, - der Senat scheint davon unberührt zu bleiben.
Viel Lärm um nichts
Es ist der Abend nach der Senatswahl im anachronistischen Prachtbau am Pariser Jardin du Luxembourg. Kaum ein Fleck an den Wänden, der nicht mit Gold verziert wäre, und ist es nicht Gold, dann sind es uralte Gobelins, die die Wände bestücken und den Lärm dämpfen, der hier, wo Frankreichs 2. Kammer tagt, um nichts gemacht wird.
Denn wie man es auch dreht und wendet: Dieser Senat hat im Grunde kaum etwas zu sagen, kann so gut wie nichts bewirken – im besten Fall ein Gesetzgebungsverfahren verzögern, mehr nicht. 400 Millionen Euro Budget hat er dafür im Jahr. Es ist so viel, dass er es nicht aufbrauchen kann. Folglich liegen seit Jahren und Jahrzehnten angehäufte 1,3 Milliarden auf der hohen Kante, die zu nichts dienen. Doch niemand empört sich wirklich über diesen Zustand.
Alles wieder im Lot
Nach dreijährigem Intermezzo stellen die Konservativen an diesem Sonntagabend wieder die Mehrheit im altehrwürdigen Hohen Haus, wie das zuvor seit Bestehen der Institution immer der Fall gewesen war. Eine linke Mehrheit im Senat, wie sie seit 2011 bestand, betrachteten ohnehin fast alle im Land als eine Art Panne, einen Ausrutscher, ja fast als etwas Unanständiges. An diesem Abend sind die Dinge nun endlich wieder im Lot und der 65 jährige Gérard Larcher schickt sich an, gegen zwei Mitkonkurrenten aus den eigenen konservativen Reihen Präsident des Senats zu werden.
Der Mann, der an den Schauspieler Philippe Noiret aus späten Jahren erinnert, trieft und glänzt, ringt um die Contenance, vor allem aber um die Kameras, von denen es, wie Menschen auch, einfach zu viele gibt an diesem Abend im altehrwürdigen Festsaal des Senats, wo sich der gewichtige, rundliche Larcher in Stellung bringt, um für sich selbst die Werbetrommel zu rühren.
„Demokratische Anormalität“
Die Hälfte der Senatoren ist an diesem Tag neu gewählt worden, bei einer indirekten Wahl, die im Land kaum jemanden interessierte. Sie war für viele vor allem wieder einmal Anlass dafür, lautstark zu fordern, diesen Senat doch endlich einfach abzuschaffen. De Gaulle hatte den Versuch schon vor 45 Jahren gemacht, Premierminister Jospin den Laden vor 15 Jahren offen eine „demokratische Anormalität“ genannt. Geändert hat das nichts. Auch an diesem Wahlabend kann ein angestaubtes Stück Frankreich weiterhin so tun, als wäre es für die Demokratie des Landes im Jahre 2014 wirklich unerlässlich.
Die 378 Senatoren weisen ein stolzes Durchschnittsalter von über 55 auf und nur knapp 20 Prozent Frauen haben sich in die gepflegten, heiligen Hallen verirrt, in denen es scheint, als sei die Zeit stehen geblieben.
Üppige Saläre
Gott sei Dank wissen die wenigsten Franzosen von den unsäglichen Privilegien, die nicht nur die Senatoren selbst geniessen, sondern auch alle Angestellten dieser Institution.
Wer kann zum Beispiel irgend jemandem draussen im Land, der um sein Mindesteinkommen von knapp über 1000 Euro bangt, erklären, warum der Elektriker, Gärtner oder Hausmeister im Senat - allesamt Posten, die meist unter der Hand, oft in den Familien weitergereicht und weitervermittelt werden - eine jährliche Heizkostenprämie von über 4.000 Euro bezieht, zusätzlich zu seinem ohnehin üppigen Salär? Dies ist nur eines von vielen Beispielen für die seit Jahrzehnten überkommenen Ständeprivilegien in der 2. Kammer des französischen Parlaments. Der Mindestlohn für Bedienstete in diesen heiligen Hallen ist mit 3.000 Euro fast drei Mal so hoch wie in der rauen Wirklichkeit draussen. Ein Chauffeur verdient im Senat nicht weniger als 4.000 Euro.
Das feiste Frankreich
Diesem Haus wird Gérard Larcher nun also vorstehen – möglicherweise sogar für 9 Jahre. Ein Mann, der das feiste, das so genannte ewige, unabänderliche Frankreich in Person ist. Hinter einer Mischung aus Gutmütigkeit und vermeintlicher Wurstigkeit versteckt sich aber der lauernde Fuchs, die sprungbereite Wildkatze. Auf den ersten Blick erscheint er als der gute Onkel, der jeden Sonntag zum Familienessen kommt. Würde er eine Soutane tragen, gäbe er den perfekten Landpfarrer aus früheren Zeiten ab. Und doch merkt man: Er kann im Grunde auch ganz anders.
Denn der ehemalige Tierarzt, der sich auf Pferde spezialisiert hatte, ist mit allen politischen Wassern gewaschen. 30 Jahre lang war er Bürgermeister der reichen und noblen Stadt Rambouillet mit dem königlichem Schloss und dem königlichem Wald, westlich von Paris,.
Regelmässig bekam Monsieur Larcher dort 70 Prozent der Stimmen, war einer, der seinen Mitbürgern eine gewisse Sicherheit vermittelte und ihnen vor allem die Gewissheit gab, dass sich in jedem Fall nichts ändern wird! In seiner grossväterlich–jovialen Art scheint er den Menschen noch heute zu sagen: Schlaft ruhig, ich kümmere mich schon um Euch.
Heile Welt mit Honoratioren
Was das Pflegen von Beziehungen angeht, ist er ein absoluter Profi, dabei die Umgänglichkeit in Person. Wie kaum ein anderer verkörpert Larcher ein Frankreich der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts, als eine gewisse Welt noch in Ordnung war, die Honoratioren Honoratioren sein durften und von niemandem in Frage gestellt wurden.
Larcher selbst jedenfalls scheint sich überhaupt keine Fragen zu stellen, nicht zu merken, wie sich die Welt um ihn herum verändert hat. Er strotzt vielmehr vor Selbstgewissheit und Selbstgenügsamkeit.
Seine schwülstige Unterlippe droht ständig nach unten zu fallen, die mächtige Nase trägt Spuren von abertausenden, nie enden wollenden Tafelrunden, bei denen Pasteten, Fleischberge, Wild und Käseplatten hemmungslos verzehrt, die besten Weinsorten kredenzt wurden und am Ende, wenn schon fast gar nichts mehr ging, wunderbare Marc de Gewurtz oder Jahrzehnte gelagerte Calvadosflacons dafür sorgten, dass für das Dessert doch noch ein wenig Platz geschaffen wurde.
Repräsentant der Vergangenheit
Regelmässig lässt sich dieser passionierte Jäger, der sich selbst wie ein Bär auf seinen Pfoten vorwärts zu bewegen scheint, im Vierrad getriebenen Jeep zu den entsprechenden Treibjagden chauffieren, wo er die Kontakte zu den entsprechend einflussreichen Männern aus Wirtschaft und Verwaltung in den verschiedenen, überwiegend ländlichen Departements knüpft, die im französischen Senat angesichts ihrer weiter sinkenden Bevölkerungszahlen chronisch überrepräsentiert sind. Nicht zufällig ist Larcher auch Präsident der staatlichen Jagddomäne von Chambord, rund um das berühmte Loire-Schloss. Ein idealer Ort, um diskret Kontakte zu knüpfen und hochrangige Gäste zufrieden zu stellen.
Ausgerechnet dieser Mann soll im Jahr 2014 das tatsächliche Frankreich, so, wie es heute nun einmal ist, repräsentieren ?
Repräsentiert er nicht das aussterbende, das bereits verflossene Frankreich ? Nach Verfassung und Protokoll ist Gerard Larcher jedoch sogar der 2. Mann im Staat. Fällt der Präsident – den derzeit so viele in Frankreich schlicht zum Rücktritt auffordern - aus, ist der Senatspräsident für eine Übergangszeit der erste Mann im Staat - bis zu den nächsten Wahlen. Und so lange herrscht er sogar über den berühmten roten Knopf, der Frankreichs Arsenal von Atombomben in Bewegung setzen kann.