Frankreichs Präsident Hollande hat sich, schon kurz nach seinem Amtsantritt, das Gedenken sozusagen auf den Leib geschrieben, kommt seitdem aus dem Gedenken kaum mehr heraus, besonders in den letzten zwei Jahren, so als könne man über das Gedenken an die Vergangenheit die unangenehme Gegenwart vergessen machen.
Zeremonien, Pathos, Beweihräucherungen: in Zeiten, da die Gegenwart unerquicklich und die Zukunft mehr als ungewiss ist, hat die Vergangenheit Hochkonjunktur. Der Erste Weltkrieg liefert hundertste Jahrestage noch und noch. Gut zwei Jahre dieses Zeitraums liegen in der Amtszeit von Präsident Hollande. Eine Art halbstaatliches Organisationskomitee der Jahrhundertgedenkfeiern – Mission du centenaire – wurde ins Leben gerufen, um das Gedenken über vier Jahre hinweg zu koordinieren.
Deutsch-Französisches Gedenken Verduns
Frankreichs Staatspräsident hat nun das Wochenende und den 29. Mai gewählt, um gemeinsam mit der deutschen Bundeskanzlerin der Schlacht von Verdun zu gedenken. Vor einem Jahrhundert haben sich dort innerhalb von zehn Monaten 700’000 deutsche und französische Soldaten gegenseitig niedergemetzelt – mehr als 2000 pro Tag.
Bei derartigen Gedenkveranstaltungen zwischen Deutschland und Frankreich erinnert man sich gerne daran, dass man seit einem halben Jahrhundert über das wertvolle Deutsch-Französische Jugendwerk verfügt und dass, weil Jugend schliesslich für Zukunft und Hoffnung steht, die Anwesenheit von Jugendlichen aus beiden Ländern bei solchen Gelegenheiten nützlich sein könnte – für die Veranstalter und im Idealfall auch für die Jugendlichen, nach dem Motto: Vielleicht bleibt ja etwas hängen. Und so wird man gleich 4000 junge Menschen aus Frankreich und Deutschland für die Tage rund um die Gedenkzeremonie nach Verdun karren.
Um ihnen das Ganze zu versüssen und Ihnen für ihre Anwesenheit zu danken, hatte man sich am Ende des Gedenktags in der Stadt Verdun und fernab von den Gedenkstätten ein Open-Air-Konzert ausgedacht mit Musikern, die bei einer Altersgruppe zwischen acht und achtzehn auch ankommen.
Der Rapper Black M, 31, mit bürgerlichem Namen Alpha Diallo, dessen Eltern einst aus Guinea nach Frankreich kamen, ist seit zwei Jahren bei den Pubertierenden in Frankreich der absolute Star, verkaufte seine Soloalben 500’000 Mal und mehr. Gibt er ein Konzert, kreischen schon mal 10’000 Jugendliche auf einmal. Sein Grossvater hatte im Zweiten Weltkrieg auf französischer Seite bei den «Tirailleurs Sénégalais», den senegalesischen Schützen, einer Einheit aus Frankreichs damaligen Kolonialgebieten, gekämpft.
Der Rapper des Anstosses
Diejenigen, die den jungen Leuten einen Gefallen tun wollten, hatten allerdings nicht so recht hingeschaut und übersehen, dass Black M früher in Gruppen gesungen und dort gelegentlich auch Texte interpretiert hat, zumindest bis vor sechs Jahren, welche homophobe, sexistische und antijüdische Begriffe enthalten und ausserdem das Wort «kuffar», die Bezeichnung für Ungläubige, wie sie heute von den Djihadisten verwendet wird.
Herausgefunden hat dies das rechtextreme Internetportal «fdsouche» – was so viel heisst wie echter, gallischer, weisshäutiger Franzose.
Und dann ging es los.
Marine Le Pen, die Front-National-Chefin, ihre Nichte, die Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen und noch eine Reihe von Granden der ultrarechten Partei lancierten ihre empörten Tweets. Black M in Verdun, das sei, als würde da jemand auf die Gedenkveranstaltung spucken, hiess es unter anderem. Dass das Konzert nicht Teil der offiziellen Gedenkfeiern ist, spielte da schon keine Rolle mehr.
Ein paar Stunden lang hat sich der Bürgermeister von Verdun gewehrt und Black M verteidigt als Sohn der Republik und als Beispiel der Vielfalt Frankreichs. Doch die Hetze der extremen Rechten und einiger Konservativer vom ganz rechten Rand ging weiter, das Rathaus wurde mit rassistischen, drohenden Anrufen und Mails überschwemmt, Todessdrohungen eingeschlossen, bis Monsieur le Maire resignierte, vorübergehend einen Burnout hatte und das Konzert absagte, mit der Begründung, die öffentliche Ordnung drohe gestört zu werden. Mit anderen Worten: Frankreichs Rechtsextreme könnten am Ende dieses Verdun-Gedenktags und beim Konzert Stunk machen.
Damit aber nicht genug. Nach dieser Absage wollte plötzlich niemand Black M eingeladen haben, keiner die Verantwortung dafür übernehmen, keiner wollte es gewesen sein. Ganz besonders mutig zeigte sich der Staatssekretär für Veteranen (so etwas gibt es in Frankreich), indem er betonte, weder der Staat noch die Regierung oder der Präsident hätten irgendeinen Sänger ausgewählt und eingeladen. Um dann, kaum war das Konzert abgesagt, auf das hohe Ross zu steigen und zu tönen, was da passiert sei, sei der Anfang des Totalitarismus, der Faschismus stehe vor der Tür.
Hollande kann auch Gedenkfeier nicht
Doch de facto haben alle anderen, besonders die aus Paris, den armen Bürgermeister von Verdun allein im Regen stehen lassen. Natürlich hat nicht er von sich alleine aus dieses Konzert annulliert. Natürlich hat der Elyséepalast zum Telefon gegriffen und ihn angehalten, das zu tun.
Einige Tage später, als klar wurde, welch desaströses Bild diese Konzertabsage ergibt, meldete sich Staatspräsident Hollande höchstpersönlich zu Wort. Wenn der Bürgermeister seine Entscheidung überdenke, sei der Staat bereit, beim Konzert für die Sicherheit zu sorgen. Der Bürgermeister aber hatte genug und liess den Präsidenten abblitzen. Die Nationale Front ist zufrieden und reibt sich die Hände. Der dunkelhäutige Rapper wird nicht in Verdun singen.
Nicht mal eine historische Gedenkveranstaltung will Staatspräsident Hollande mehr gelingen. Vor allem aber weiss Frankreichs extreme Rechte von nun an, welche Macht sie bereits hat. Es braucht nur einige Tweets – und die, die noch an der Macht sind, knicken ein und geben klein bei. Nur keinen Ärger, nur keine Wellen schlagen! So weit ist es in Frankreich.