Die Solothurner Filmtage gerieten aus eigenem Verschulden in heftige Turbulenzen. Wegen des Rauschmisses der Direktorin, wegen interner Machtspiele und wegen verkrusteter Strukturen. Eine Statutenänderung sollte zum Befreiungsschlag werden.
Darüber befanden dieser Tage die Mitglieder des Trägervereins. Sie entschieden weitsichtig und klug. Jedenfalls gemäss offizieller Medienmitteilung.
Sie hält im Wesentlichen fest, die Mitgliederversammlung habe die «Unabhängigkeit der künstlerischen Leitung gegenüber der strategischen Führung» befürwortet, die «Zusammensetzung ihrer operativen und strategischen Organe» genehmigt, die Amtszeit der Gewählten auf zehn Jahre beschränkt und das «duale Führungsmodell, bestehend aus der künstlerischen Leitung und der administrativen Leitung» akzeptiert.
Der Schein trügt
Die offizielle Verlautbarung liest sich, als wären die Filmtage für eine erfolgreiche Zukunft nun wetterfest gerüstet. Der Schein trügt. Zunächst deshalb, weil das Pferd am Schwanz aufgezäumt wurde. Vor der Statutenänderung wäre es zwingend gewesen, das altehrwürdige Ziel der Filmtage den jetzigen Gegebenheiten anzupassen. Das einstige Alleinstellungsmerkmal, «das neue schweizerische Filmschaffen einer grösseren Öffentlichkeit» vorzustellen, hat längst den Glanz der Einzigartigkeit verloren.
Kinos, Fernsehen, Festivals und Internet zeigen einheimische Filme zur Genüge. Das ist ein Verdienst der Filmtage. Mit dem Ausruhen auf den Lorbeeren laufen sie Gefahr, die herausragende Rolle gänzlich zu verspielen.
Hornberger Schiessen
Eine Statutenrevision ohne eine aktuell formulierte Strategie ist ein Hornberger Schiessen. Es fehlt die Richtschnur, sich optimal strukturieren und organisieren zu können. Mit den geänderten Statuten sind die Filmtage näher bei der Idealisierung ihrer Vergangenheit als bei der raueren Zukunft, die auch technisch einen enormen Wandel bringt. Die Projektionen auf ortsgebundene Leinwände werden zu einer filmhistorischen Erinnerung. Smartphones, Laptops und Tablets sind die heutigen Leinwände. Mobil und ohne Zeitdiktat. Jede und jeder besitzt sein eigenes Kino.
Diesen Realitäten zum Trotz winkte die Mitgliederversammlung im Einklang mit dem Bundesamt für Kultur und mit Beratungsinstituten nostalgisch die Statuten durch. Die mit dem Vorstand stimmende Mehrheit erlebte strahlend Triumphe, während sich die Minderheit entsetzt im falschen Film wähnte. Die unterschiedliche Wahrnehmung ist leicht erklärbar.
Verschworene Gemeinschaft
Zur Mehrheit gehörten Einheimische, die als freiwillige Helferinnen und Helfer die Logistik der Filmtage sichern, seit Jahren und Jahrzehnten eine verschworene Gemeinschaft bilden mit dem vom Vorstand gepflegten Selbstbewusstsein, die Original-Filmtage zu verkörpern. Die gegen den Vorstand argumentierende Minderheit bestand zumeist aus Auswärtigen, dem Filmschaffen verbunden und sachlich interessiert am Gedeihen der Veranstaltung,
Die Minorität wagte u. a. die Bitte an den Vorstand, sich für den grobschlächtigen Hinauswurf im letzten Sommer von Direktorin Anita Hugi zu entschuldigen. Als Schlussstrich unter ein unrühmliches Kapitel. Präsident Thomas Geiser verwarf lachend die Arme und lehnte das Ansinnen strikte ab. Dafür erntete er von der Mehrheit einen langen und warmen Applaus. Ein beschämendes Nachtreten gegen die hochqualifizierte und mutig an der Versammlung teilnehmende Frau.
Diffamierende Unterstellung
Konstruktive Widerrede störte die auf kuschelige Eintracht getrimmte Versammlung und wurde von Vizepräsidentin Anita Panzer allen Ernstes mit der Bemerkung getadelt, die Kritiker zielten auf die Demontage der Filmtage.
Eine solche Diffamierung bar jeder Grundlage hebt die Diskussionskultur aus den Angeln und verrät eine beängstigende Bunkermentalität. Steigt der Druck im Kessel, zeugt es von Überforderung, das Manometer abzuschrauben.
Unabhängigkeit als hohles Wort
Die neuen Statuten bauen die Macht des Vorstandes aus. Er ist schlechthin für alles verantwortlich, von der strategischen Marschroute bis zum operativen Klein-Klein. Makro-Management und Mikro-Management als Gesamtauftrag und krasses Gegenteil einer modernen Führung. Mit diesen bewusst verankerten Kompetenzen wird die Beschwörung der künstlerischen Unabhängigkeit zum hohlen Wort.
Gestärkt wurde auch die Stellung der «Betriebsleitung Festival», d. h. der Teilzeit-Crew, die den technisch-organisatorischen Ablauf garantiert. Sie untersteht einem als «Delegierten» bezeichneten Vorstandsmitglied, das die geschützte Werkstatt betreut.
Das Herz als Nebenorgan
Gegen den Vorstand und die Betriebsleitung sind die künstlerische und administrative Leitung bei Meinungsverschiedenheiten chancenlos. Sie können sogar von der Teilnahme an Vorstandssitzungen ausgeschlossen werden.
Obwohl die Filme, die Rahmenveranstaltungen und das Festivalformat – ob vor Ort, online oder hybrid – das kreative Herz der Filmtage sind. Daran gemessen ist die faktische Herabstufung der künstlerischen Leitung zu einer Assistenzfunktion im besseren Fall ein Sachverhaltsirrtum und im schlechteren eine Verantwortungslosigkeit.
Ernüchterndes Fazit
Kulturveranstaltungen profilieren sich und gewinnen an Reputation durch offene, querdenkerische Diskussionen auf Augenhöhe mit intelligenten, risikofreudigen Partnern. Es braucht die Kontroverse als Treibsatz für die Weiterentwicklung. Liberale Streitkultur nennt sich dieser Prozess. Mit der verbotenen Redensart «Das haben wir schon immer so gemacht.» Die Mitgliederversammlung lieferte den Anschauungs-Unterricht, wie der Vorstand auf abweichende Meinungen, unkonventionelle Ideen und leidenschaftliche Voten reagiert: autoritär und hoch zu Ross neben der Spur.