Es ist erbärmlich. Sie sind, mit einigen Ausnahmen, die offensichtlich den Sonnenstudios frönen, leichenblass. Die Ränder unter den Augen sind so breit wie Autoreifen, ihre Haut sieht aus wie Pergament, sie pfeifen aus dem letzten Loch, und der Präsident lässt sich bei jedem kleinsten Erscheinen vor der Kamera ohnehin erst mal schminken, so dass ein erfahrener Kameramann in Paris jüngst, auch angesichts der pechschwarz gefärbten Haare des Staatsoberhaupts, sogar den Vergleich mit Berlusconi gewagt hat.
Alarmbereitschaft der Regierung
Doch trotz alldem hat François Hollande jetzt, während das Land unter der Hitze stöhnt und die Hauptstadt Ozonalarm vermeldet – was im übrigen keinerlei praktische Konsequenzen hat – für seine Minister reichlich martialisch de facto ein Urlaubsverbot verhängt. Maximal zwei Wochen, besser nur eine und gefälligst nicht weiter als zwei Stunden von ihren Ministerien entfernt und selbstverständlich jederzeit abrufbereit! Schöne Ferien!
Hinterher wird, wie jedes Jahr, herauskommen, dass der eine oder andere geschummelt hat und trotz Verbot in exotischen Gefilden weilte. Gleichzeitig verweisen Musterschüler im Kabinett aber jetzt schon auf ihr nur eine Stunde von Paris entferntes Landhaus.
Gewiss, gewiss, fast fünfzig Prozent der Franzosen können sich in diesem Sommer keinen Urlaub leisten. Also – die Kommunikation lässt grüssen – tut man so, als würde man selbst auch keinen Urlaub nehmen und mit den Schlechtgestellten solidarisch sein.
Hitzetote – und der Minister im Polohemd beim TV-Interview
Natürlich ist auch das Trauma der Hitzewelle 2003 noch in allen Politikerköpfen, als in Frankreich angeblich 15’000 Menschen (niemand hat diese Zahl je wirklich belegen können) aufgrund der hohen Temperaturen gestorben sind. Der damalige Gesundheitsminister hatte die schlechte Idee gehabt, sich von seinem Ferienort am Mittelmeer im Polohemd in eine der Hauptnachrichtensendungen des Fernsehens zuschalten zu lassen und das Ganze auch noch eher herunterzuspielen. Wenige Wochen später war er dann nicht mehr Minister, was ihn allerdings nicht darin hinderte, ein Jahr danach – bitte nicht lachen – Präsident des französischen Roten Kreuzes zu werden.
Und schliesslich weiss man auch, dass sich Präsident Hollande im präsidialen Feriensitz an der Côte d'Azur, in der Festung Brégançon, unweit des noblen Familiensitzes einer gewissen Carla Bruni, letztes Jahr gründlich gelangweilt hat und Gefährtin Valérie Trierweiler angeblich sauer war, weil – wie nicht anders zu erwarten – die Paparazzi nichts Besseres zu tun hatten, als sie ihm Bikini abzulichten.
Und doch: Sind das wirklich ausreichende Gründe, um jetzt dem gesamten Kabinett quasi den Urlaub zu verbieten? Wäre es nicht vernünftiger, die Minister würden sich wirklich ausruhen? Vielleicht fiele ihnen ja dann auch das eine oder andere Kreative ein. Und wie wäre es, wenn François Hollande, der sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf François Mitterrand beruft, sich daran erinnern würde, dass es 1981 in Frankreich sogar ein Freizeitministerium gegeben hat? Wenn auch nur einige Monate lang, und – zugegeben – die halbe Welt hat darüber geschmunzelt.
Verbotsmanie à l’americaine
Doch es ist, als müsse in diesem Land inzwischen verboten werden, was nur verboten werden kann, und sei es der Urlaub für die Minister. Das Überwachen, das Ahnden und Abstrafen ist angesagt. Eine Reportage dieser Tage im Radio über eine neue Spezialkamera in einem Hubschrauber, um Verkehrssünder zu schnappen, klang so frenetisch wie der Live-Kommentar einer Zielankunft bei der Tour de France. Von wegen das Klischee vom Laisser faire. Selbst der sozialistische Innenminister verkörpert diese Entwicklung bis in die letzten Gesten. Wie ein Sarkozy stellt er sich vor den Kameras auf die Fussspitzen, und das Kinn bewegt er manchmal wie einer aus Italien in früheren Zeiten.
Auch der Sozial- und Gesundheitsministerin mit dem wunderschönen Vornamen Marisol ist jetzt, kurz vor ihrem kurzen, de facto verbotenen Urlaub, ebenfalls noch etwas eingefallen, was sie verbieten könnte. Nämlich das Rauchen am Strand, in Parks und vor den Schulen! Das angeblich antiamerikanische Frankreich will unbedingt amerikanische Verhältnisse schaffen.
Vielleicht wollte Ministerin Marisol Touraine aber auch nur kurz vor ihrem Nicht-Urlaub noch mal auf sich aufmerksam machen, bevor ihr im Herbst Ungemach droht – dann soll sie nämlich eine weitere Rentenreform durchs Parlament bringen, was alles andere als ein Zuckerschlecken werden dürfte.
Keine Aufregung, ausser beim Burkaverbot
Der 68-er Spruch, wonach es verboten ist zu verbieten, scheint im heutigen Frankreich jedenfalls Jahrhunderte zurückzuliegen. Man gefällt sich im Verbieten, wie kaum in einem anderen Land in Europa – selbst die elektronische Zigarette wollen sich die Autoritäten jetzt noch zur Brust nehmen. Und das Erstaunlichste dabei: Fast niemand im Land schreit auf, kaum irgendwo Proteste. Es sei denn, die Polizei will das Gesetz über das Burkaverbot im öffentlichen Raum anwenden, wie am Wochenende in der Trabantenstadt Trappes, westlich von Paris. Die Personenkontrolle einer voll verschleierten Frau lief aus dem Ruder, drei Nächte lang brannten Autos und Mülltonnen. Es ist heiss, und es ist Ramadan.
Fast ist man geneigt zu denken, dass General De Gaulle seine Franzosen letztlich wahrscheinlich besser gekannt hat als so mancher Politiker von heute. Angesichts der Manie des Verbietens und der Lethargie der Franzosen ihr gegenüber, scheint der General ein halbes Jahrhundert später Recht zu bekommen, mit seinem legendären Satz: «Les français sont des veaux» – auf deutsch vielleicht: ein Haufen muhender Kälber oder eine Herde von Schafen.