Bei der Neuauflage von 2015 handelt es sich tatsächlich um eine literarische Wiederentdeckung des 1947 in Ost-Berlin erschienenen Romans, und der Akzent darf tatsächlich auf dem Ausdruck „literarisch“ liegen. Literarisch nicht in dem Sinne, dass sich dieser Roman mit den Meisterwerken der Weltliteratur messen könnte. Vielmehr handelt es sich um einen in Worte gefassten Film, wie der Literaturkritiker Fritz J. Raddatz im Nachwort schreibt.
Intensiver als ein Film
Heinz Rein erzählt so, dass dabei Bilder von grösster Intensität entstehen. Man sieht, man hört, man spürt, man riecht. Was der Bombenkrieg unmittelbar bedeutete, wird von Heinz Rein in unüberbietbarer Expressivität dargestellt. Deswegen ist das Buch im Grunde stärker und intensiver, als es der beste Film sein könnte.
Und man staunt darüber, dass ein Buch die wenigen bisher bekannten und überzeugenden Darstellungen der Bombennächte überbieten kann. Dazu gehören die Schilderung der Bombardierung Hamburgs von Hans Erich Nossack, „Der Untergang“, das literarische Meisterwerk „Schlachthof 5“ über die Zerstörung Dresdens von Kurt Vonnegut, nicht zu vergessen Gert Ledigs Roman "Vergeltung", das mehrbändige „Echolot“ von Walter Kempowski – jetzt gerade als vorzügliches Hörbuch erschienen – und, last but not least, die eindringlichen Berichte von Jörg Friedrich in „Der Brand“.
Vertierung des Menschen
So konzentriert und plastisch wie bei Heinz Rein findet man kaum Schilderungen von den Nächten in den Luftschutzbunkern, während ringsumher die Bombern niedergehen und die Menschen in Todesangst an den Rand des Wahnsinns geraten. Immer wieder aufs Neue schildert er die Trümmerlandschaften, die zerstörten Strassen und Verkehrsmittel, die Vertierung der Menschen, die keine Perspektive ausser der auf das rudimentäre tägliche Überleben haben.
In dem Roman sind zudem Geschichten versammelt, von denen man einige nie wieder vergessen wird. Da gibt es „Die Geschichte des Strassenbahnschaffners Max Eckert“, der nach Hause kommt und Frau und Tochter vermisst. Zunächst ist er noch nicht sonderlich beunruhigt, denn er weiss, dass sie in einem anderen Stadtteil bei einem Arzt sind.... Die Geschichte endet damit, dass er mit blossen Händen in Trümmern nach den Leichen der beiden sucht und am Ende im Wahnsinn sein Leben verliert.
Langatmige Dialoge
Dieser Roman hat eine Rahmenhandlung, und darin zeigen sich seine Schwächen. Die Handlung besteht darin, dass es eine Widerstandsgruppe gibt, zu der zufällig der junge Soldat Joachim Lassehn, der desertiert ist, stösst. Ausführlich werden einzelne Mitglieder der Gruppe geschildert und deren Lebenswege nachgezeichnet.
Die Gruppe besteht aus mehr oder weniger dogmatischen Marxisten, aber auch aus Sozialdemokraten. Unvermeidlich kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen und Diskussionen. Rein versucht, diese Diskussionen in Dialogform nachzuzeichnen, und das ist elend langatmig. Zudem werden Dinge erklärt und Sätze gesprochen, die ganz sicher in den jeweils geschilderten Situationen nicht erklärt oder gesprochen würden. Das Ganze wirkt wie Schulfunk.
Die künftige Meinungsdiktatur
Und ganz unfreiwillig offenbart Heinz Rein etwas, das er damals selbst noch nicht ahnen konnte: Warum die spätere DDR in ihrem Mief erstickte und scheitern musste. Denn die tapferen und bewundernswerten Mitglieder der Widerstandsgruppe sind von ihrem Weg in den Sozialismus derartig überzeugt, dass man schon an ihren Diskussionen die späteren Mechanismen der Meinungsdiktatur erkennen kann.
Man spürt, wo das Herz von Heinz Rein schlägt. Der ehemalige Bankangestellte und Sportjournalist, Jahrgang 1906, wurde von den Nazis zeitweise mit Schreibverbot belegt und kam in Gestapo-Haft. Natürlich ging er nach Kriegsende in die DDR, aber die Ernüchterung folgte rasch. In den frühen 50er Jahren kam es zum Bruch mit der SED, und Rein zog nach Baden Baden, wo er 1991 verstarb. - Es ist nicht ohne Ironie, dass auch die Neuausgabe seines Romans die Widmung „Für Erich Weinert“ enthält.
"Gib Uri"
Als hätte Heinz Rein schon selbst gespürt, dass die Zukunft nicht ganz so hell erglänzen würde, wie seine Widerständler sie sich erhofft haben, kommt es am Ende zu folgender Szene: Einer der Protagonisten, Wiegand, tritt endlich einem der sehnsüchtig erwarteten russischen Soldaten entgegen. „«Towaritsch», sagt er mit bewegter Stimme und hebt die Hände hoch. Der russische Soldat blickt ihn ruhig an, dann verzieht er die Lippen zu einem verächtlichen Lächeln und antwortet: «Nix Towaritsch. Gib Uri. Dawai!»“
Der Roman hat fast 750 Seiten, und man liest sie fast so atemlos, wie sie unmittelbar nach Kriegsende wohl in wenigen Wochen wie unter manischen Zwang geschrieben worden sind. Neben der unglaublich genauen und präzisen Schilderung des Grauens und des Nazi-Terrors tritt eines am Ende des Romans besonders hervor: der Fanatismus des sogenannten Endkampfes. Die Russen sind schon in der Stadt, alles ist verloren, und jeder wäre gut beraten, seine Haut zu retten. Hitler und Goebbels verbreiten ihre Parolen bis zuletzt – Rein montiert seitenweise Verlautbarungen in seinen Roman. Und fanatische SS-Schergen, aber auch ganz gewöhnliche Blockwarte oder Wehrmachtsangehörige ermorden mit grösster Selbstverständlichkeit diejenigen, die den Kampf beenden wollen. Was ist der Mensch, der solches tut?
Heinz Rein, „Finale Berlin“, Roman. Mit einem Nachwort von Fritz. J. Raddatz, Verlag Schöffling & Co., Frankfurt/Main 2015, 760 Seiten