Wer trotz der früheren Veröffentlichungen von Daniel C. Kurtzer und Scott B. Lasansky sowie von Aaron David Miller noch glauben mochte, dass die Außenpolitik des US-Präsidenten seit seinem Amtsantritt im Januar 2009 strengen Interessen folge, wird durch diese Untersuchung erneut eines Besseren belehrt.
Zwar führen Martin S. Indyk – zweimaliger Botschafter seines Landes in Israel – sowie Kenneth G. Lieberthal und Michael O’Henlon, die mit Leitungs- und Forschungsaufgaben in der liberal-konservativen „Brookings Institution“ betraut sind, im Vorwort aus, dass Barack Obama in die Aussenpolitik besonders gegenüber der arabischen und muslimischen Welt mit einer „aktivistischen Vision seiner Rolle in der Geschichte“ eingestiegen sei, um das unter George W. Bush schwer beschädigte amerikanische Image zu korrigieren.
Welche Strategie?
Doch sehr früh sei sein Vorsatz gescheitert, „den Bogen der Geschichte in die Richtung von Gerechtigkeit und einer friedlicheren, stabilen globalen Ordnung zu drehen“, wie er Martin Luther King verstanden hatte. Seine Fehlschläge, so die Autoren, seien auf das Vertrauen zurückzuführen, Differenzen wie zu Zeiten als Senator durch den Dialog mit auswärtigen Staatsleuten überwinden zu können. Dass er auf eine „Mannschaft von Rivalen“ zurückgriff, angefangen beim republikanischen Verteidigungsminister Robert Gates und mit Hillary Clinton – die sich vergeblich um die Präsidentschaftsnominierung bemüht hatte – bis zu Richard Holbrooke, der das Dayton-Abkommen ausgehandelt hatte, und George Mitchell, der in Nordirland erfolgreich war, gehörte zu seinen strategisch klugen Schachzügen.
Schnell ging Obamas Bemühen fehl, widerstreitende Kräfte an einen Tisch zu holen. Stattdessen verschreckte er traditionelle Alliierte, so dass die Frage laut wurde, ob er über eine Strategie verfüge. Denn der Präsident begnügte sich mit Pragmatismus, um sich vor allem den dringenden innenpolitischen Prioritäten widmen zu können. Hier würde über sein politisches Ansehen entschieden, in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, bei der Bändigung der einheimischen Finanzmärkte und in der Reform des Gesundheitswesens.
Energien auf andere Schauplätze konzentriert
Deshalb gehörte entgegen den Zusagen vom Juni 2009 die Förderung von Demokratie und Menschenrechten in der arabischen und moslemischen Welt nicht zu seinen vorrangigen Zielen. Dass er damals in Kairo „den Schmerz der Entwurzelung“ der Palästinenser, ihre „täglichen Demütigungen“ seitens der israelischen Besatzung auf die Traumata der Shoah zurückführte, stieß auf ablehnende Ohren. Schließlich trugen die Palästinenser keine Mitverantwortung für die Verbrechen in Europa. Als der saudische König Abdullah ihm unmissverständlich klarmachte, er sei weder zu einem Treffen mit Benjamin Netanjahu noch mit Machmud Abbas bereit, versetzte er der diplomatischen Mission Obamas einen weiteren schweren Schlag.
Fortan richteten sich die Energien des Präsidenten nach dem Desaster von Bushs Irak-Abenteuer, dem er im Senat die Zustimmung vorenthalten hatte, auf die Rückführung der amerikanischen Kampfeinheiten und auf die Festlegung eines analogen Datums im Kriegsschauplatz Afghanistan. Ob dazu, wie die Autoren behaupten, die Tötung Osama Bin-Ladens am 02. Mai 2011 Amerika jenseits der Schwächung von „Al-Qaeda“ und der Spaltung der „Taliban“ sicherer gemacht habe, ist eine rein transatlantische Sichtweise.
Fehlendes Gespräch mit Israel-Lobby in USA
Bestätigt sehen konnte Obama seine Absage an das Prinzip vom demokratischen Wandel im Nahen Osten durch die Folgen der Parlamentswahlen in den palästinensischen Gebieten, die Anfang 2005 mit dem Sieg von Hamas endeten. Dieser Triumph gehörte zu den Vorfällen, unter deren Eindruck sich der Kurswechsel von der konkreten Ebene diplomatischer Initiativen zur politischen Theorie vollzog, nämlich auf die „universalen Menschenrechte“: Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Gleichberechtigung der Frauen, Geltung des Rechts und berechenbares Regieren. Im Bewusstsein seiner intellektuellen Brillanz, seines immensen Selbstvertrauens und seines Ehrgeizes, die Welt nach seinen Vorstellungen zu verbessern, überließ Obama die Tagesarbeit seinen Beratern.
Die grösste Kluft zwischen Versprechungen und deren Einlösung haben Indyk, Lieberthal und O’Henlon im Nahen Osten ausgemacht, obwohl der Präsident den Frieden zwischen Israelis und Palästinensern zu seinen obersten außenpolitischen Maximen erklärt hatte. Innenpolitisch verwahrte sich Obama gegen das Gewicht des „American Public Affairs Committee (AIPAC)“, das ihn auf den Kurs Netanjahus zwingen wollte, ohne dass er mit dessen Leitung das Gespräch über die Siedlungspolitik suchte.
Verzicht auf weiteren Druck
Als er die Siedlungen insgesamt als illegitim kritisierte – also von Grund auf ablehnte –, widersprach er der bisherigen Favorisierung eines israelisch-palästinensischen Gebietsaustauschs.
Im September 2010 lief das zehnmonatige Siedlungsmoratorium aus – es galt nicht für Ost-Jerusalem –, das mit neuerlichen Planungs- und Bautätigkeiten eine Fortsetzung fand. Dass der Präsident am 22. September vor der UN-Vollversammlung: „Wenn wir nächstes Jahr zurückkommen, können wir ein Abkommen haben, das uns zu einem neuen Mitglied in den Vereinten Nationen führt – zu einem unabhängigen, souveränen Staat Palästina, der in Frieden mit Israel lebt“, dürfte seinem Zorn über den israelischen Premier zuzuschreiben sein.
Nachdem Mitchell – wie vor ihm James Wolfensohn als Sonderbotschafter des Nahost-Quartetts – im April 2011 seinen Auftrag zurückgegeben hatte, wies Obama seine Mitarbeiter an, nicht weiter auf Verhandlungen zu drängen. Fünf Monate später lehnte Obama am selben Ort den palästinensischen Antrag zugunsten der Aufwertung als „Non-member Observer State“ ab. Netanjahus Bitte um einen Gesprächstermin kam er freilich nicht nach.
Widersprüchliche Brennpunkte: Kairo, Tripolis, Teheran
Dazwischen lag der Beginn des „Arabischen Frühlings“, der Washington völlig unvorbereitet traf und Ängste vor dem Wegfall des Stabilitätsankers Ägypten auslöste. Die Distanzierung von Hosni Mubarak erfolgte erst, als sein Regime den Demonstranten nur Gewalt entgegensetzte, und war von einer Vertrauenserklärung für das ägyptische Militär begleitet; demokratische Entwicklungen sind für demokratisch ausgewiesene Regierungen unberechenbar. Die Überdehnung des Mandats der Libyen-Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates zugunsten einer Flugverbotszone und des Schutzes der Zivilbevölkerung – der „responsibility to protect“ –, die auf einen „regime change“ hinauslief, begründete kurz darauf die internationalen Dissonanzen im Umgang mit dem Assad-Regime.
Nur die Eindämmung eines offenen Krieges gegen den Iran, auf den die israelische Regierung setzte, lässt sich positiv zur aussenpolitischen Bilanz der bisherigen Obama-Jahre rechnen. An seine Stelle trat der „cyber war“ mit Computer-Viren gegen das iranische Atomprogramm. Der russischen Außenpolitik, der an einem Atomwaffenarsenal Irans nicht gelegen sein kann, widmete Washington geringe Aufmerksamkeit. Wenn schon Interessenpolitik, dann hätte auch Moskaus Standbein in Syrien größere Berücksichtigung erfahren sollen.
Europäer auch nicht überzeugend
Obama wird man nach der Lektüre des Buches keine Außenpolitik mit stringenter Linienführung bescheinigen können. Zu seiner Verteidigung ließe sich allenfalls auf die Unschlüssigkeit der Europäer verweisen, die auch am 10. Dezember 2012 über Warnungen an die israelische Adresse, wenn auch unter ungewöhnlich starker Betonung der Zwei-Staaten-Lösung, nicht hinauskam. Will man israelischen Presseberichten Glauben schenken, so verstanden sich der deutsche Außenminister und sein tschechischer Amtskollege als Bremser einer härteren diplomatischen Gangart.
Zwei Wochen zuvor wollte den Europäern keine gemeinsame Erklärung zum palästinensischen UN-Antrag gelingen, obwohl den Regierungen diesseits und jenseits des Atlantiks klar sein sollte, dass von der grundlegenden Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern ein beruhigender Impulse in die arabische Nachbarschaft ausgehen würde.
Bis sich die USA und die Europäer auf ihre Verantwortung besinnen, werden sie im Nahen Osten nicht ernst genommen. Doch die eigene Glaubwürdigkeit scheint kein Wert zu sein, den es zu verteidigen gilt, wenn es um die Abwägung unterschiedlicher Interessen und um Loyalitäten geht. Wie die Innenpolitik in Washington auf auswärtige Entscheidungen einwirkt, so endet die Rolle des Friedensnobelpreisträgers Europa an seinen Außengrenzen. Daran ändert am Tag der internationalen Menschenrechte, dem 10. Dezember, die Auszeichnung in Oslo nichts.
Nur Zynismus und Enttäuschung produziert?
Die Brookings-Autoren bescheinigen Obama, dass er wie Bush zu Hause und im Ausland Zynismus und Enttäuschung aufgetürmt habe. In Israel vernachlässigte er die öffentliche Meinung und verzichtete auf seine Hebel zur Bändigung des „störrischen Netanjahu“. Es gelang ihm nicht einmal, beide Parteien an den Verhandlungstisch zurückzuholen. Die Verachtung des Präsidenten für den Premier habe sein Ansehen unter den Arabern nicht gemehrt, lautet das Resümee. Alle traditionellen Pfeiler Amerikas stünden im Nahen Osten auf wackligen Füßen.
Indyk, Martin S., Kenneth G. Lieberthal and Michael O’Henlon: Bending History. Barack Obama’s Foreign Policy. Brookings Institution Press: Washington, D.C., 2012, 342 S.
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