Michel Monnin leitet zusammen mit seiner texanischen Frau und seinen Töchtern eine der vielen Galerien im Quartier Pétionville von Port au Prince. Als Sohn Schweizer Eltern, die 1947 aus Biel nach Haiti auswanderten, kam er mit sechs Jahren nach Haiti. Seit drei Generationen ist die Familie Monnin aktiv in der Kunstszene des Landes und fördert haitianische Künstler. www.galeriemonnin.com
Frage: Die Cholera konnte in Haiti bis jetzt noch nicht gestoppt werden, es sind bereits mehr als 1000 Menschen daran gestorben. Wie schützen Sie sich?
Monin: Wir tun all das, was einem zur Bekämpfung der Cholera empfohlen wird: Wir trinken nur sauberes Wasser, waschen uns gründlich die Hände, und versuchen, nur gekochtes Essen zu uns zu nehmen. Ich glaube, dass wir uns so ganz gut gegen die Cholera schützen können. Das Problem in Haiti ist, dass der Durchschnittsbürger keinen Zugang zu sauberem Wasser hat und zu ungebildet ist, um die Schutzmassnahmen konsequent umzusetzen
Keine echte Autorität
Es gibt Berichte, dass die Kriminalität in den letzen Wochen stark zugenommen hat, gerade in den Zeltlagern der Stadt. Können Sie das bestätigen?
Ja, das bemerke ich auch. Seit die UNO-Soldaten von der Bevölkerung beschuldigt werden, die Cholera nach Haiti eingeschleppt zu haben und es zu einigen Zusammenstössen mit Blauhelmen gekommen ist, ziehen sich die Soldaten in ihre Kasernen zurück. Sie vermeiden die Konfrontation, aber sie vernachlässigen dabei auch Ihre Funktion als Ordnungshüter. Die Polizei zeigt einfach weniger Präsenz.
Für mich beginnt das Problem schon beim Mandat dieser Truppen. Denn sie haben keine echte Autorität. Nach einer Katastrophe wie dem Erbeben im Januar hätte ich mir eine Truppe gewünscht, welche die Dinge konsequent in die Hand nimmt, sich durchsetzt. Aber UNO-Truppen haben meistens zahnlose Mandate und können sich nicht durchsetzen, wenn es hart auf hart kommt. Das kennt man aus Afrika.
Übrigens denke ich, dass die Regierung gar nicht so unglücklich damit ist, dass sich die Sicherheitslage verschlechtert. Je weniger Menschen sich am Wahltag auf die Strasse wagen, desto besser stehen ihre Chancen, den eigenen Kandidaten durchzubringen.
Wunsch nach anderer Führung
Die Regierung hält am Wahltermin vom 28. November fest. Sie argumentiert, dass die Legitimation durch die Parlaments- und Präsidialwahlen für den Wiederaufbau unerlässlich ist. Begrüssen die Menschen die Wahlen zu diesem Zeitpunkt?
Die haitianische Bevölkerung hat ihre gegenwärtige Regierung satt. Die Menschen wollen eine andere Führung; darauf können sich alle einigen. Aber fehlende Wählerkarten, die Schwierigkeit, die Wahllokale zu erreichen, und nicht zuletzt die Angst vor der Cholera werden viele davon abhalten, sich an den Wahlen zu beteiligen.
Gleichzeitig spürt die Regierung, dass sie wenig Unterstützung hat. Deswegen kommt der Regierungspartei das Durcheinander im Land sehr gelegen. Sie ist viel besser organisiert und hat mehr Geld als alle anderen Parteien und wird ihre Wählerschaft besser als die anderen mobilisieren können - zumindest bei den Präsidentschaftswahlen. Für die Parlamentswahlen kann man das nicht ganz so klar sagen. Da gibt es verschiedene Kandidaten, die in ihren Regionen starke Unterstützung bekommen, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit.
Für das Präsidentenamt kandidieren 19 Bewerber. Für die elf Sitze im Senat und 99 Sitze im Parlament gibt es über 900 Kandidaten, welche insgesammt über 60 Parteien vertreten. Wie kann der Wähler zwischen all diesen Kandidaten unterscheiden?
Die meisten dieser Parteien existieren nur auf dem Papier. Richtige Parteien gibt es in Haiti fast keine. Bei vielen handelt es sich um kleine Gruppen von befreundeten Politikern, mehr ist das nicht. Keiner der Kandidaten bietet ein durchdachtes Programm.
Interessanter ist, dass einige Aspiranten ihre Kandidatur in den letzten Tagen zu Gunsten von Mirlande Manigat, die momentan stärkste Kandidatin der Opposition, offiziell zurückgezogen haben. Falls es zu einer Stichwahl um das Präsidentenamt kommen sollte, glaube ich, dass sich alle Kandidaten zu Gunsten von Frau Manigat zurückziehen würden, um gegen die Regierungspartei eine geeinte Front zu bilden.
Nahrung und Schulbildung
Werden Sie sich an der Wahl beteiligen und haben Sie sich bereits für einen Kandidaten entschieden?
Natürlich werden wir uns an der Wahl beteiligen! In einem Land wie Haiti hat man zwar keine wirklich attraktive Auswahl an Kandidaten, aber man muss trotzdem seine Stimme abgeben, um sich nicht selber zu marginalisieren.
Ich werde für den Kandidaten stimmen der am ehesten einen Wandel herbeibringen könnte, obwohl das bei unseren Machstrukturen kaum möglich ist. Der US-haitianische Musiker Wyclef Jean wäre meiner Meinung der einzige, der sich gegen die aktuelle Regierung durchsetzen könnte. Denn obwohl Wyclef natürlich absolut unqualifiziert für das Amt des Präsidenten ist, hätte so ein Kandidat in Haiti eine Chance, weil die Menschen darin einen Retter, den Messias, sehen wollen.
Was versprechen sich die Haitianer von der neuen Regierung?
Sie versprechen sich alles, weil sie nichts haben! Die Leute wollen sich erstens ernähren können und als zweites ihre Kinder zur Schule schicken. Aber es sieht schlecht aus für diesen Traum, denn der Wiederaufbau produziert ausser zahllosen Berichten wenig Konkretes.
Starke Nachfrage nach Kunst
Vor dem Erdbeben im Januar kamen jedes Jahr tausende von Menschen auf der Suche nach Arbeit aus den Regionen in die Hauptstadt. Gleich danach flohen tausende aus der zerstörten Stadt aufs Land. Kommen diese Leute langsam wieder zurück nach Port au Prince?
Nein, jedenfalls nicht dauerhaft. Manche Leute kommen in der Hoffnung nach Port au Prince zurück, hier wieder Arbeit zu finden oder eine Entschädigung für ihre zerstörten Häuser zu erhalten. Aber das ist eine Illusion. Es gibt weder Arbeit noch Entschädigungen. Deswegen sitzen sie ein, zwei Monaten herum und gehen dann wieder zu ihren Verwandten zurück in die Provinz.
Sie leiten eine Kunstgalerie im Stadtteil Pétionville, die vom Erdbeben verschont blieb. Wurde Ihr Arbeit von den Ereignissen dieses Jahres dennoch beeinflusst?
Für meine Galerie war es kein schlechtes Jahr. Denn die Nachfrage nach Kunst aus Haiti hat zugenommen. Da gibt es die vielen Ausländer, die als Mitarbeiter der Hilfsorganisationen nach Haiti gekommen sind. Aber auch das Interesse im Ausland an haitianischen Künstlern hat spürbar zugenommen. Das Jahr 2010 bot Haiti auch eine einmalige Chance, denn um den hohen Preis der schrecklichen Ereignisse dieses Jahres hatten wir einen Moment lang die ungeteilte Aufmerksamkeit der Welt. Nur wird diese Chance durch den langsamen Wiederaufbau nun wieder vergeudet.