„Tout ça pour ça“, stöhnt es seit heute Morgen durch Frankreichs Redaktionsstuben und auch draussen im Land. Mit anderen Worten: „So viel Lärm um nichts“, hiess es am Vormittag, als der Elyseepalast per einfachem Kommuniqué verkündete, wie die umgebildete Regierung nun aussehen wird.
Zwei Wochen Zögern, Zweifel und viel Hysterie, um letztlich zu bestätigen, was nach dem spektakulären Rücktritt von Innenminister Gérard Collomb, der den Präsidenten gezwungen hatte, ihn zu entlassen, ohnehin klar war.
Innenminister
Angesichts von Frankreichs etwas merkwürdigem Regierungssystem mit den zwei Köpfen eines Premierministers und eines Präsidenten musste man einen Innenminister finden, der das absolute Vertrauen des Staatspräsidenten geniesst. Schliesslich laufen im Innenministerium alle – und vor allem die heiklen und nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Informationen zusammen.
Und dementsprechend hat Emmanuel Macron nun einen seiner Gefährten der allerersten Stunde in das wichtige Amt gehoben: Christophe Castaner, 52, ein früherer Sozialist aus Südfrankreich, ist für Frankreichs Präsidenten so etwas wie die personifizierte Loyalität, ein absolut treuer Diener. Als solcher war er zunächst Sprecher im Wahlkampf, danach Staatssekretär für die Beziehungen zum Parlament – ein strategisch sehr wichtiger Posten – und gleichzeitig auch Chef der neuen Regierungspartei „La République en Marche“. Ein hemdsärmliger Typ, der so gar nichts vom ehemaligen Elitestudenten hat, wie sie sonst in Präsident Macrons Umgebung massenhaft herumschwirren.
Zur Sicherheit und angesichts der Bedeutung der inneren Sicherheit hat man dem ehemaligen Bürgermeister des südfranzösischen Städtchens Fortcalquier und Regionalratsabgeordneten einen Staatssekretär zur Seite gestellt, der die Ordnungskräfte, ihre Strukturen und das Thema Sicherheit sozusagen auswendig kennt: den bisherigen Chef des Inlandgeheimdienstes.
Sowohl als auch
Ansonsten hat Macron am Ende dieser lähmend langen Periode des Suchens nach Ministrablen das Kabinett jetzt noch einmal vergrössert, von 35 auf 39 Minister und Staatssekretäre, und dabei versucht, eine gewisse politische Ausgewogenheit zu praktizieren, indem er zum Beispiel der Zentrumspartei „Modem“ deutlich mehr Gewicht und zwei Ministerien gegeben hat. Gleichzeitig brachte er das Kunststück fertig, doch noch einen ehemaligen Sozialisten ausfindig zu machen, der bereit war, in sein Kabinett zu rücken: der frühere sozialistische Fraktionsvorsitzende im Senat, einst Vertrauter von Präsident Hollande, Didier Guillaume. Der soll nun den Landwirtschaftsminister machen.
Und damit auch die Konservativen etwas bekommen, hat Frankreich seit heute einen neuen Kulturminister. Françoise Nyssen, die grossartige Verlegerin von „Actes Sud“, hatte als Kulturministerin all zu glücklos und ohne Charisma agiert, zudem noch eine Immobilienaffäre am Hals gehabt und darf wieder in ihre südfranzösische Stadt Arles zurück. An ihre Stelle rückt ein offensiv Liberal-Konservativer ohne Scheuklappen aus der Umgebung von Ex-Premierminister Juppé. Der 44-jährige Franck Riester, ein Querkopf, den die konservativen Republikaner vor Monaten aus ihrer Partei (LR) ausgeschlossen hatten und der sich gleichzeitig auch noch in Kulturangelegenheiten auskennt.
Das war es dann aber auch schon – mal abgesehen davon, dass man für das angeblich so wichtige Ministerium des ökologischen Umbaus ausgerechnet eine zusätzliche Staatssekretärin gewählt hat, die in den letzten Jahren die Cheflobbyistin des Giganten der französischen Nahrungsmittelindustrie DANONE gewesen war.
Frischer Wind?
Immer wieder hatte es geheissen, diese sich hinschleppende Regierungsumbildung solle nach sommerlichen Krisenmonaten frischen Wind in Macrons Politik bringen. Schaut man sich das Ergebnis an, denkt man eher an heisse Luft. Und kann eines nicht übersehen: Der Präsident hatte für diese Regierungsumbildung schlicht und einfach keine politischen Schwergewichte, denen er vertrauen konnte, mehr im Angebot.
Eigentlich kein Wunder. Schliesslich hatte seine erst zwei Jahre alte Bewegung „En Marche“ von Anfang an kaum Berufspolitiker in ihren Reihen. Um 2017 die Wahlen zu gewinnen, war das damals ein Plus, nach dem Motto: weg mit den alten Parteien. Wenn es aber darum geht, jetzt das politische Alltagsgeschäft zu erledigen und Krisen zu überwinden, wird es mit einem Haufen von Novizen schon etwas schwieriger.
Macron hat nach gut 15 Monaten an der Macht nicht mehr viel vom umschwärmten Sonnyboy und vom politischen Wunderkind, von dem ganz Europa fasziniert war. Dabei hat er noch das Glück, dass er dank des französischen Wahl- und Regierungssystems keine echte Opposition zu fürchten hat. Immerhin hatte Marine Le Pen in der Stichwahl 33 Prozent der Stimmen erzielt. Im Parlament hat sie aber gerade mal eine Handvoll Abgeordnete und ist kaum wahrnehmbar.
Europa
Die nächsten Sorgen für den überzeugten Europäer Macron stehen aber bereits ins Haus, und das sind ausgerechnet die Europawahlen im Mai nächsten Jahres. Zum einen steht Macron mit seinem Europaenthusiasmus, den er im September letzten Jahres an der Sorbonne Universität verbreitet hatte, inzwischen praktisch alleine da. Die Länder Osteuropas sind ihm feindlich gesonnen, die im Norden Europas, angefangen bei den Niederlanden, mehr als skeptisch, die deutsche Bundeskanzlerin ist inzwischen politisch schwer angeschlagen und die italienische Regierung mit ihrem Vizepremierminister Salvini nur noch eine permanente Provokation.
Und zum anderen hat Macron mit seiner jungen Partei auch grösste Schwierigkeiten, sich auf einen Europawahlkampf einzustellen und zu wissen, wohin diese Partei im europäischen Parlament künftig überhaupt gehören soll. Angesichts der derzeitigen Stimmung in Frankreich jedenfalls sind die Chancen gross, dass Macrons „La République en Marche“ (EM) in 7 Monaten hinter der Le-Pen-Partei „Rassemblement National“ (RN) landen wird.