Als man in den 70-er Jahren erstmals nach Frankreich zog, war man unter anderem begeistert von den Chansons, die man hier zu hören bekam. Man hat mit ihnen und dank ihrer die Feinheiten der Sprache gelernt, weil man spürte, da war etwas unbekannt Freches. Das war feinste, scharfe Satire in der Poesie, und deswegen musste und wollte man die Texte wirklich genau verstehen.
Wenn sich etwa ein Brassens über die Polizei lustig macht oder dafür plädiert, am 11. November, dem Jahrestag, an dem der 1. Weltkrieg zu Ende ging, im Bett zu bleiben, und die im Gleichschritt Marschierenden zum Teufel wünscht; ein Brel die Bourgeois geisselt , - "Les bourgeois , c'est comme des cochons, plus ça devient vieux, plus ça devient ... " ; ein Leo Ferré mit "Poètes - vos papiers!" die Engstirnigkeit der Staatsmacht attackiert oder die Anarchisten hochleben lässt; ein Serge Gainsbourg die Nationalhymne verfremdet und sie im Reggae- Rhythmus präsentiert - man hatte den Eindruck, in Frankreich sind Dinge möglich, die anderswo kaum akzeptiert würden, die Chansons waren beispielhaft für einen gewissen Geist, der in diesem Land wehte.
Satire - nein danke
Doch wie hat sich das geändert, wie ist alles brav und verzagt geworden in diesem Land, in dem jetzt auch die letzten Respektlosigkeiten noch glatt gebügelt werden! So geschehen zum Beispiel im öffentlich- rechtlichen Rundfunksender, „France Inter“. Der hatte in den letzten zwei Jahren in seinem Morgenmagazin zu bester Sendezeit um 7.55 Uhr zwei Humoristen beschäftigt , die tagtäglich in einer vierminütigen, höchst aktuellen Glosse vor nichts und niemandem zurückschreckten. Die Hörer dankten es dem Sender. Die Einschaltziffern waren bestens.
Doch nachdem Präsident Sarkozy dafür gesorgt hatte, dass ein Vertrauter von Ehefrau Carla - obwohl dieser Herr vom Radiomachen nicht die geringste Ahnung hat – zum Direktor von „France Inter“ ernannt wurde, war das Schicksal der Satiriker besiegelt. Im Sommer wurde ihr Vertrag nicht verlängert, der Sendeplatz für Humor weiter nach hinten verlegt und harmlosere Humoristen wurden engagiert.
Einer von ihnen entpuppte sich dann aber doch als nicht ganz so harmlos, nahm die bisherige Justizministerin in ihrer Gegenwart vehement aufs Korn - zwei Stunden später war er per Telefonanruf fristlos entlassen.
Humor hat es schwer in Frankreich, zumal die Damen und Herren Politiker heutzutage unmittelbar Klage führen, allen voran der Staatspräsident selbst. Der erträgt es nicht einmal, dass Worte, die aus seinem eigenen Mund stammen, auf einem Transparent zu lesen sind . "Casse – toi, pauv’ con“ – „Hau ab , du armer Trottel" - hatte Nicolas Sarkozy einst zu einem Besucher der Pariser Landwirtschaftsmesse gesagt, weil der sich weigerte, ihm, dem Präsidenten, die Hand zu schütteln. Diese Worte des Präsidenten, die bei einer Demonstrantion von einem Teilnehmer auf den Präsidenten selbst gemünzt waren, hatte für den Teilnehmer, der das Transparent trug, einen Prozess zur Folge. Wie souverän war da doch Sarkozys Vorgänger Chirac. Als ihm einst ein Passant zurief : „Arschloch“, ging der Präsident auf ihn zu und antwortete: "Angenehm, ich heisse Chirac."
Eine kleine Inflation
Die ehemalige Justizministerin Rachida Dati war einst das Emblem dafür, dass in Frankreich – endlich - auch Bürger mit nordafrikanischer Herkunft Minister werden können. Allerdings wurde sie sehr schnell vor allem dafür berühmt, dass sie sich in Haute Couture Roben auf den Titelseiten von Hochglanzmagazinen ablichten liess. Als Ministerin erwies sie sich als so unfähig, dass sie, selbst in Zeiten eines Präsidenten Sarkozy, einfach nicht mehr zu halten war.
Ihr ist letzthin bei einem Fernsehinterview ein historischer Versprecher gelungen. Als die Ex-Ministerin so tat, als würde sie sich über die riesigen Profite des Finanzkapitals empören, sprach sie von erwarteten 15, ja 20 Prozent Rendite fast ohne jede .... und da sollte eigentlich das Wort „Inflation“ kommen, doch was ihr rausrutschte war: "Fellation", also Oralsex. Jetzt hat ein 40-Jähriger im südostfranzösischen Departement Drôme, dem eines Abends wohl ein wenig langweilig war, Rachida Dati eine Mail geschrieben. Er schickte sie an ihre Adresse im Europaparlament, wohin man sie letztes Jahr abgeschoben hatte. In der Mail hat er die einst von Präsident Sarkozy Protegierte gefragt, ob sie ihm nicht eine „kleine Inflation“ besorgen könnte.
Am nächsten Morgen um 6 Uhr durchsuchten Polizisten die Wohnung des Übeltäters , beschlagnahmten seinen Computer und nahmen den Mann mit auf die Wache, wo er sage und schreibe 48 Stunden in Polizeigewahrsam blieb und am Ende einen Prozess wegen Beleidigung am Hals hatte.
Ausufernder Polizeigewahrsam
Das ist ein weiteres Beispiel nicht nur für mangelnde Souveränität des derzeitigen politischen Personals in Frankreich, sondern auch für die völlig unverhältnismässige Anwendung des Polizeigewahrsams, der in den letzten drei Jahren in Frankreich zu einer Art Hobby geworden ist. Wegen nichts und wieder nichts - wegen kleinster Verkehrsdelikte oder wegen einer Bemerkung gegenüber einem Polizisten - fanden sich honorige Bürger, harmlose Grossväter und brave Mütter für Stunden auf der Polizeiwache wieder, kamen sogar in den Genuss von Handschellen und Leibesvisitationen. Drei Jahre hat es gebraucht, bis das französische Kassationsgericht diesem Unfug ein Ende bereitet und die Regierung dazu gezwungen hat, sobald wie möglich das Prozedere zu ändern.
Zwischenzeitlich war Frankreich auch vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof wegen „Verletzung des Rechts auf ein angemessenes Verfahren“ verurteilt worden. Der Polizeigewahrsam hatte einen wahrlich inflationären Charakter angenommen: Insgesamt 800 000 französische Bürger hatten ihn allein im Jahr 2009 über sich ergehen lassen müssen, so als sei Frankreich ein Land voller Verbrecher. Wer in Paris auf einer Strassenkreuzung, an der sich rund 80 Menschen tummeln, einmal in die Runde schaut, hat statistisch gesehen mindestens einen Zeitgenossen in Augenschein genommen, der im letzten Jahr einmal ein paar Stunden in Polizeigewahrsam verbracht hat!
Demonstranten unerwünscht
Auch das Grundrecht auf Demonstration hat es in Frankreich heutzutage ,ganz wie der Humor, reichlich schwer. Gewiss, man hat in den letzten zwei Monaten ständig und überall im Land demonstriert – gegen die Rentenreform. Doch als Chinas Präsident Anfang November zu einem Staatsbesuch im Land weilte und einige Menschenrechtsorganisationen zu Demos aufgerufen hatten, sah man plötzlich Bilder, wie man sie bisher aus osteuropäischen Ländern vor dem Fall des eisernen Vorhangs in Erinnerung hatte:
Zwei Dutzend Demonstranten hatten es bis an den Strassenrand geschafft und wollten einige Transparente entrollen, als der Konvoi des hohen Staatsgastes vorbeifuhr. Die Spruchbänder wurden ihnen von den Ordnungskräften, nach zum Teil lächerlichen Verfolgungsjagden, einzeln entrissen. Die Demonstranten wurden mit Stiefeln getreten, umständlich eingewickelt und unsichtbar gemacht. Andere Demonstranten hatte die Polizei erst gar nicht aus der Metro aussteigen lassen. Bei den Riesendemonstrationen der letzten Monate gegen die Rentenreform hatte der Staat, auch wenn dies offiziell dementiert wurde, ganz offensichtlich Zivilpolizisten als „Agents Provocateurs“ in die Reihen der Demonstranten geschickt, die mit Knüppeln durchaus auch die eine oder andere Fensterscheibe malträtierten ...
Umgang mit der Presse
Gleichzeitig hat Präsident Sarkozy jüngst sogar die Geheimdienste auf Teile der ihm nicht wohl gesonnenen Presse angesetzt – auf die Tageszeitung „ Le Monde“, die Wochenzeitung „ Le Point“ und das Internetportal „ Mediapart“. Dort hatten Journalisten besonders intensiv über die Steuer- und Parteispendenaffäre Bettancourt, sowie über die so genannte „ Karachi-Affäre“ recherchiert, bei der es um gigantische Provisionszahlungen und mögliche Wahlkampffinanzierung im Zusammenhang mit einem Waffengeschäft in Milliardenhöhe geht - beide Affären könnten für Präsident Sarkozy höchstpersönlich höchst unangenehm werden.
Die Geheimdienste hatten sich unter klarer Umgehung geltender Gesetze und Bestimmungen von den Handyanbietern die Anruflisten der Journalisten aushändigen lassen, um herauszufinden, wer ihre Informanten waren. Doch nicht nur das. Wie durch Zufall wurden innerhalb weniger Tage auch Computer und CDs der betroffenen Journalisten gestohlen. Das waren höchst professionelle Einbrüche ohne Spuren in Privatwohnungen oder Redaktionen, die vor allem ein Ziel hatten: diejenigen einzuschüchtern, die daran denken könnten, in den beiden genannten Affären der Presse noch weitergehende Informationen zukommen zu lassen.
Und auch in diesem Fall wird von politischer Seite wieder prompt prozessiert. Präsident Sarkozys rechte Hand, der Generalsekretär des Elysees, hat das Internetportal „Mediapart“ wegen Verleumdung verklagt, weil es behauptet hatte, er koordiniere die Bespitzelung der Journalisten durch die Geheimdienste.
Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ hat kürzlich ihre alljährliche Liste über den Zustand der Pressefreiheit in mehr als 100 Ländern dieser Welt veröffentlicht. Frankreich rangiert dort mittlerweile auf Rang 44, direkt hinter Neuguinea. Als die Liste 2002 ein erstes Mal erstellt worden war, lag man noch an 11. Stelle.