«The Guardian» titelte kürzlich: «The end of farming?». Rem Koolhaas und sein Think-Tank sehen Serverfarmen statt Kuhweiden als die Landschaft der Zukunft (NZZ). Der unabhängige US-Thinktank RethinkX (rethinkx.com) mit Sitz in San Rafael, Calif. hat seinen neuesten RethinkX-Bericht publiziert, der sich mit den Folgen des technologiegetriebenen Wandels in der Zukunft befasst. Er analysierte und qualifizierte die Trends auf dem Lebensmittel- und Landwirtschaftsmarkt der USA 2020–2030 und titelte: Überdenken (Rethinking). Die Denkfabrik beliefert führende Entscheidungsträger weltweit mit ihren Analysen.
Die kommende Revolution
«For decades, the way we farm has been degrading land and destroying wildlife. Now there’s a revolution coming – but is it going to create more problems than it solves?» titelte «The Guardian», die britische Tageszeitung im Februar 2020. «Während Jahrzehnten hat die Art und Weise, wie wir Landwirtschaft betreiben, das Land entwürdigt und die Tierwelt zerstört. Jetzt ist eine Revolution bevorstehend – die Frage ist, ob diese mehr Probleme schaffen als lösen wird?»
Happige Einführung in den seitenlangen Bericht des Journalisten Christopher de Bellaigue (https://www.theguardian.com/environment/2020/feb/25/the-end-of-farming-rewilding-intensive-agriculture-food-safety). Er betrachtet die gegenwärtigen Diskussionen zur Landwirtschaft der Zukunft von allen Seiten: So verweist er auf die zunehmende Verwendung von hochentwickelten genetischen und chemischen Ernteverstärkern; Technologien, die in eine neue Richtung der Lebensmittel-Produktion führten, weg vom Bauernhof. Roboter und Drohnen würden den Einsatz von Menschen auf dem Land vermindern, während «senkrechtes farming» in fensterlosen Fabriken mittels LED-Licht entwickeltes Gemüse produziert werde.
Grossbritanniens Bauern machen 1,5% der Bevölkerung aus – sie verfügen jedoch über 71% der Land-Oberfläche. Dies habe ihnen die Macht gegeben, die öffentliche Meinung der Bevölkerung zu ihrer Heimat zu beeinflussen – grün, blühend, grosszügig gebend – ein Garten Eden, wohin die Städter in ihrer Freizeit fliehen könnten. Ist da der Vergleich mit der Schweiz gänzlich aus der Luft gegriffen? Zudem hätten die staatlichen Produktions-Subventionen zu Überproduktion geführt – wir erinnern uns der einheimischen Butterberge und Milchseen. Dass neuerdings die Landwirtschaft für 10% des Klimawandels verantwortliche gemacht wird, hätte zu zunehmender Skepsis der Bevölkerung gegenüber der Landwirtschaft geführt. – Dieter Helm, ein Oxford Ökonomist, der die Regierung in Sachen Landwirtschaft berät, fordert jetzt «die volle Aufdeckung des britischen Landwirtschafts-Desasters» («full scale of the disaster of British agriculture») und fügt an, dass «keine andere ökonomische Aktivität eine vergleichbare perverse Leistung oder so kleinen Wert für ihre wahren Kosten aufweise» («no other economic activity combines such a perverse set of incentives, or produces so little value for its true costs»).
Bellaigue macht noch auf einen anderen Umbruch in Grossbritanniens Landwirtschaft aufmerksam: Investoren würden grosse Landstriche aufkaufen, um sie von der landwirtschaftlichen Bearbeitung zu «erlösen» und in den ursprünglichen Zustand zurückzuführen – unberührte Natur.
Roboter statt Rindvieh
Rem Koolhaas und sein Think-Tank bezeichnen die heutige Form der Landwirtschaft als Auslaufmodelle (NZZ). Optimistisch verweisen sie darauf, dass «die Landwirtschaft dank intelligent eingesetzter Technologie auch Antworten liefern könne, so zum Beispiel mit Pixel-Farming, einer im niederländischen Wageningen entwickelten Technik, die uraltes Wissen zum synergetischen Nebeneinander verschiedenster Pflanzenarten robotisch optimieren könnte».
Auch sie richten ihre Beobachtungen zudem auf Indoor-Plantagen, «in denen fahrende Roboter unter rosa Kunstlicht das Wachstum von Kressen oder Tomaten überwachen». Es habe sich erwiesen, dass nicht Sonnenlicht, sondern ein Magenta-Farbspektrum das Wachstum der Pflanzen am meisten fördere.
Die NZZ-Journalistin fragt schliesslich, ob die Heidi-Figur in unserem Land in nicht allzu ferner Zukunft eine andere Leidenschaft finden müsse? Nicht mehr Rindvieh auf grünen Wiesen, sondern rosa belichtete Indoor-Plantagen würden die Essensversorgung der Weltbevölkerung sicherstellen und das planetare Landschaftsbild dominieren.
Überdenken!
Zurück zum eingangs erwähnten RethinkX-Bericht. Der Aufruf richtet sich an verantwortungsvolle, zukunftsfokussierte Menschen in Politik, Wirtschaft, Gewerkschaft und dem Bauernstand. Die prognostizierten Verwerfungen, Folgen, aber auch Chancen sind aufrüttelnd. Alarmierend ist die deutliche Warnung der beteiligten Wissenschaftler vor dem Kollaps der Massentierhaltung und explizit dem Ende der Viehhaltung. Die diskutierten Gesetzmässigkeiten sind global wirksam und nehmen keine Rücksicht auf die Landschaft (www.rethinkx.com – Food and Agricult neuesten RethinkX-Bericht ure Report, 17.9.2019).
Unabhängige Beobachter verweisen ausdrücklich darauf, diesen Prognosen mit Vorsicht zu begegnen. Die Arbeitsweise dieses Think-Tanks basiere auf visionärem Szenario-Denken, welches auf ihrer Ideologie, dass Technik alle Probleme der Zukunft lösen werde, fusse. Sie vermissen dabei analytisches Denken und somit sei dieser Bericht nicht mehr als ein Szenario zukünftiger Lebensmittel-Technik-Innovation.
Hier das Wichtigste in Kürze (Übersetzung aus dem Amerikanischen durch den Autor dieser Zeilen): «Wir stehen an der Schwelle der tiefsten, schnellsten und folgenschwersten Verwerfung in der Lebensmittel- und Landwirtschaftsproduktion seit der Domestizierung von Tieren und Pflanzen vor zehntausend Jahren. In erster Linie ist dies die Folge dramatischer Umwälzungen auf dem wirtschaftlich geprägten Protein-Sektor (Protein = vorwiegend aus Aminosäuren aufgebaute Eiweisskörper). Die Kosten industriell hergestellter Proteine werden bis 2035 zehnmal billiger sein als tierische Proteine. Diese «neuen» Proteine werden auch in Bezug auf ihre Qualität und Eigenschaften den tierischen überlegen sein: nahrhafter, gesünder, praktischer, besser mundend.
Die Auswirkungen dieser Umwälzungen auf die industrielle Tierhaltung werden tiefgreifend sein. Bis 2030 wird sich der Bestand an Kühen um die Hälfte reduziert haben und die Viehwirtschaft wird praktisch bankrott sein. Alle übrigen Tierhaltungen werden ein ähnliches Schicksal erleiden, während die Auswirkungen für Landwirte und landwirtschaftsnahe Betriebe dramatisch sein werden.
Diese Entwicklung ist das Resultat grosser und schneller Fortschritte in der Mikrobiologie, die es ermöglicht, grosse Erkenntnissprünge in biochemischen Verfahren zu realisieren, so dass inzwischen Mikroorganismen programmiert und praktisch jedes komplexe organische Molekül hergestellt werden können. Das Endprodukt wird «Food-as-Software» genannt.
Die unabhängige Beurteilung der Zukunft der Landwirtschaft durch drei verschiedene Autorenkreise ist happige Lektüre. Umso mehr lohnt es sich, darüber rechtzeitig nachzudenken.