Zu Lebzeiten war der Bologneser Maler Guido Reni (1575–1642) weit über Italien hinaus ein Star der Barockkunst. Alle Welt bewunderte seine himmelwärts blickenden Heiligen. Wie lässt sein Werk sich heute sehen?
Früher machte ich, wie viele andere auch, in den Museen einen weiten Bogen um die Werke Guido Renis. Oder ich ging, wenn seinen Werken nicht zu entrinnen war, rasch vorbei und hin zu Kunstwerken, die mir mehr zusagten – weg von Himmelfahrts-Madonnen mit dem berühmten himmelnden Blick und geröteten Wangen, weg von büssenden Magdalenen mit verweinten Augen, offenem rotem Haar und Heiligenschein, weg von niedlich schlafenden blondgelockten Jesusknäblein, weg von all dem Pathos und den Verzückungen ekstatischer Heiliger – und, um bei der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu bleiben, hin zu «ernsthafter» Kunst der Zeitgenossen Guido Renis oder ein paar Jahre jüngerer Künstler wie Caravaggio, Quercino, Orazio und Artemisia Gentileschi oder, aus anderen Ländern, Rubens und Adam Elsheimer. Diese Künstlerinnen und Künstler kamen mir in stilistischer Hinsicht, aber auch mit ihrer ikonographischen Komplexität weit bedeutsamer vor.
Eingängig, leicht verständlich
Der vielbeschäftigte, oft nachgeahmte und kopierte Guido Reni war für mich wohl ein virtuoser Könner im Umgang mit oft dramatischen und zugleich eingängigen, im Kolorit perfekt austarierten Bildkompositionen. Damit bedient er mit Bravour die Erbauungsbedürfnisse frommer Seelen und ihrer oft weniger frommen Hirten. Aber ich sah ihn doch vor allem als Kunstfabrikanten mit Dutzenden Mitarbeitern, der alle Welt bis hin zu Kardinälen und Päpsten mit seinen Heiligenbildern belieferte, jedes Sujet gleich mehrfach in Öl auf Leinwand abhandelte und stets auf emotionale Wirkung bedacht war.
Guido Reni wird 1575 in Bologna geboren und absolviert in seiner Geburtsstadt eine Ausbildung beim Manieristen Denys Calvaert und in der Akademie der Carracci. 1601 zieht er nach Rom und führt Aufträge hoher kirchlicher Würdenträger, auch des Papstes Paul V. Borghese, aus. 1614 Rückkehr nach Bologna und Aufbau seines grossen Ateliers mit zweitweise mehreren Dutzend Mitarbeitern.1642 stirbt Guido Reni in Bologna.
Bestens akademisch ausgebildet und vernetzt bis in höchste kirchliche Kreise, erhielt er Auftrag um Auftrag vor allem, aber nicht nur für den kirchlichen Gebrauch. Seine Sakralmalerei entsprach ziemlich genau dem, was die offizielle katholische Kirche im Konzil von Trient (1545–1563) von der Kirchenkunst erwartete – nämlich, dass sie einfach und leicht verständlich sei und frei von jenen formal und inhaltlich komplexen Manierismen, die sich um die Mitte des 16. Jahrhundert über die Malerei Italiens, aber auch jene nördlicher Länder ausbreiteten. Die Kunst habe in erster Linie Gefühle anzusprechen und nicht den Verstand. Guido Reni erscheint als Inbegriff malerischer Katholizität und künstlerischer Gegenreformation.
«Guido Reni – der Göttliche»
Stimmt dieses Urteil? Und muss Guido Reni als Malerstar der katholischen Gegenreformation bei evangelisch-reformiert sozialisierten Menschen folgerichtig auf Ablehnung stossen? Das Städel Museum in Frankfurt, das 2014 ein Werk Renis, eine kleinformatige «Mariae Himmelfahrt» von 1598/99, erwarb, und ein zweites, «Christus an der Geisselsäule», seit langem besitzt, bietet dem Maler eine prominente Plattform und lädt dazu ein, die eigene Haltung gegenüber Reni vor den Originalen auf ihre Tauglichkeit hin zu prüfen.
«Guido Reni – der Göttliche» ist diese Schau betitelt, die Bastian Eclercy kuratierte. Nicht er, Sammlungsleiter am Städel für Barockmalerei, verpasste dem Maler den allzu euphorischen Beinamen. «Il divino» wurde Reni als unumstrittener Künstlerstar schon zu Lebzeiten genannt. Ähnliche Verehrung wurde zuvor höchstens Michelangelo und Raffael zuteil. Die Ausstellung, eine Zusammenarbeit mit dem Prado in Madrid, vereinigt rund 130 Werke, darunter Leihgaben aus prominenten Museen in aller Welt. Sie ermöglicht auch Vergleiche mit Vorbildern und Lehrern Guido Renis oder mit Zeitgenossen (darunter Parmigianino oder Annibale Carracci, in dessen Akademie er sich ausbildete) und lässt die Besucherinnen und Besucher interessante, aber nicht unproblematische Aspekte der italienischen Kunstgeschichte erleben. Ein opulenter Katalog begleitet das Unternehmen, das erstmals seit rund dreissig Jahren wieder «den ganzen Reni» zeigen will.
Perfekt gemacht, aber nicht erlebt
Der Gang durch die Ausstellungsräume bestätigt auf weite Strecken das Image Guido Renis als eines virtuosen Könners, der genau weiss, wie sich mit einfacher Konzentration auf das Wesentliche Emotionen schüren lassen. Merkwürdig: Gleichzeitig führt die Perfektion in Komposition und Kolorit oft zu einer kühlen, beinahe klassizistischen Distanz. Mit viel Können perfekt gemacht, jedoch nicht erlebt scheint diese Malerei zu sein. Das wird deutlich, wenn man an die ungefilterte Wirklichkeitsnähe der Werke des nur vier Jahre älteren, aber schon 1610 verstorbenen Caravaggio denkt.
Das spürt auch, wer sich vor Renis Malereien an jene von Rubens erinnert, dessen Lebensdaten sich fast punktgenau mit jenen Renis decken. Da ist ungleich mehr an Vitalität und Künstlerpersönlichkeit – und auch an engagierter Inbrunst – zu entdecken: Reni bildet Emotion ab, während Rubens sie in seine Malerei einfliessen lässt. Allein mit der immensen Produktion Renis ist das nicht zu erklären, denn auch Rubens war mit seiner grossen Werkstatt ein Vielmaler, doch niemals vergleichbar mit Reni: Von diesem sind allein 37 Fassungen des Lucretia-Themas und 23 Kleopatra-Bilder überliefert, in denen er den himmelwärts gerichteten Blick seiner Heiligen zum hundertfach wiederholten Markenzeichen werden liess. Und allein das Thema der büssenden Magdalena sollen er und sein Atelier rund sechzigmal gestaltet haben. Das kann ja nicht immer gut ausgehen.
Trotzdem Meisterwerke
Eine Qualität der Frankfurter Ausstellung besteht darin, dass sie mit diesen Stereotypen sparsam umgeht und dafür Renis «Meisterwerke» ins beste Licht rückt: «Susanna und die beiden Alten» von 1622 zum Beispiel, die dezente, aber doch eindringlich-intime Behandlung des Themas «Loth und seine Töchter» (1614) oder «Christus an der Geisselsäule» (um 1604), ein kraftvoller, beinahe heldischer Männerakt, der den Einfluss von Caravaggio deutlich spüren lässt. Oder «David mit dem Haupt des Goliath» (um 1605): Auch dieses Thema malte Reni in zwei praktisch identischen Fassungen. Wir sehen einen sich lässig auf einen Säulenstrunk abstützenden David, als sei es eine Figur des Praxiteles, obendrein mit keckem Federhut. Ein extremer Lichteinfall à la Caravaggio lässt die helle Haut des Jünglings leuchten.
Als eine Art Hauptstück der Ausstellung inszeniert Kurator Bastian Eclercy aber das wohl irritierendste monumentale Werk Renis, «Hippomenes und Atalante» (1615/18), das sich seit 1664 im Besitz von Philipp VI. von Spanien befand und heute zur Prado-Sammlung gehört. Der Künstler nahm die mehr oder weniger abstruse, in Ovids «Metamorphosen» überlieferte (Liebes-)Geschichte um ein Wettrennen zwischen Hippomenes und Atalante zum Anlass für eine höchst manierierte Komposition von sich verflechtenden Linien und räumlichen Staffelungen: Ein virtuoses und faszinierendes Spiel treibt Guido Reni hier mit den schlanken hellen Körper der Protagonisten, mit ihrer Schönheit, mit ihrer sich widersprechenden und gleichzeig ergänzenden gegensätzlichen Gestik und mit dem Geflatter der leichten Stoffe, welche die Beiden umspielen. Dass die Körper fahl aus der Dunkelheit leuchten, ist dem Zahn der Zeit zuzuschreiben: Das Bild soll irreversibel nachgedunkelt sein.
Ob es Guido Renis Bilder zu Mythologischem bei Betrachterinnen und Betrachtern aktuell vielleicht leichter haben als die emotional aufgeladenen Heiligenbilder, die heutigem religiösem Empfinden radikal zu widersprechen scheinen? Da liesse sich auch sein Werk «Bacchus und Ariadne» von 1614 anführen. Emilio Savonanzi, Renis Schüler, stand nach Aussagen von Zeitgenossen des Künstler Modell für den jugendlich-schönen Bacchus. Die sich melancholisch auf die gelbe Tuchunterlage hinbreitende Ariadne blickt hilfesuchend himmelwärts, als sei sie eine der Töchter der Niobe. Das lichte Blau des Meeres und des Himmels bildet den Hintergrund dieser perfekten Inszenierung.
Städel Museum Frankfurt, bis 5. März
Katalog mit zahlreichen Beiträgen herausgegeben von Bastian Eclercy, 328 Seiten, 39.90 Euro (Museumsausgabe), Buchhandelsausgabe bei Hatje Cantz