Gisbert Kuhn, der langjährige Mitarbeiter von «Journal 21» in Bonn, ist zu Beginn dieser Woche im Alter von 84 Jahren überraschend gestorben. Er war jahrzehntelang als Journalist für die «Augsburger Allgemeine» und andere Zeitungen in der Hauptstadt der alten Bundesrepublik und in Brüssel tätig. «Journal 21» verliert mit ihm einen profunden Kenner und Kommentator der deutschen Politik.
In seinem letzten Mail vom 17. Januar teilte mir Gisbert Kuhn mit, weshalb er in den vergangenen Wochen nur wenige Berichte über das Geschehen in Deutschland geschickt hatte: Er war stark beschäftigt mit der Pflege seiner schwerkranken Frau Vreni, einer gebürtigen Zürcherin. Nun sei sie aber in einem nahen Pflegeheim besser versorgt. Gewiss, so schrieb Gisbert, werde er bald wieder für das «Journal 21» «zur Feder greifen. Vielleicht im Zusammenhang mit der Bundestagswahl».
Vom Vertriebenen zum Korrespondenten
Diese Aussicht wird nicht in Erfüllung gehen. Ein paar Tage später teilte uns Gisberts Sohn Thomas mit, dass sein Vater am vergangenen Sonntagabend völlig unerwartet zusammengebrochen und verstorben sei. «Ihr verliert einen langjährigen Weggefährten, Freund und begeisterten Mitstreiter für guten, hochwertigen Journalismus», schrieb sein Sohn weiter. Das Journal sei Gisbert all die vergangenen Jahre «eine publizistische Heimat und ein Ort gewesen, bei dem er sich angebunden fühlte».
Gisbert Kuhn wurde 1941 in der sudetischen Stadt Falkenau im Egerland geboren, das seit 1945 wieder zur Republik Tschechien gehört. Seine Familie siedelte nach dem Krieg nach Deutschland aus. Gisbert hat im Gespräch und gelegentlich auch in Artikeln öfter an die schwierigen und materiell bescheidenen Lebensverhältnisse einer sogenannten Vertriebenenfamilie in den ersten Nachkriegsjahren erinnert. Er besuchte das Gymnasium in Hessen und begann seine journalistische Laufbahn in Mainz bei der «Mainzer Allgemeinen Zeitung.
Dort lernte er die Volontärin Vreni aus der Schweiz kennen. Die beiden wurden ein Paar fürs Leben. Von 1965 bis 1991 arbeitete er als Korrespondent in der damaligen westdeutschen Hauptstadt Bonn, zuerst für süddeutsche Zeitungen, dann für die «Augsburger Allgemeine» und verschiedene andere Medien. Zeitweise war er auch für den Zürcher «Tagesanzeiger» tätig. Dann wechselte er für acht Jahre als Journalist nach Brüssel. Seit 2004 lebte er wieder als freier Journalist in Bonn am Rhein.
Der Traum von der deutschen Wiedervereinigung
Gisbert Kuhn habe ich als NZZ-Korrespondent im Jahr 1979 Jahre kennengelernt. Zusammen erlebten wir die damals politisch turbulenten Jahre der sogenannten Nachrüstungsdebatte um die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenwaffen in Europa, den Sturz von Bundeskanzler Helmut Schmidt, den Bruch der langjährigen SPD/FDP Koalition und die Wahl Helmut Kohls zum neuen Bundeskanzler. Gisbert war damals für mich ein stets anregender, gut vernetzter Gesprächspartner, dem sein ausgeprägter Sinn für Humor auch in aufgeregten Momenten des Medienbetriebs nie abhandengekommen ist.
Die Möglichkeit einer Wiedervereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstatten galt damals in Bonn als ein weit entfernter Traum. Niemand glaubte daran, dass dieser Traum schon Ende der 1980er Jahre in Erfüllung gehen würde.
Als wir beide schon im sogenannten Ruhestand lebten, fragte ich Gisbert an, ob er für «Journal 21» über deutsche Themen berichten könnte. Er sagte spontan zu und seit 2013 lieferte er aus Bonn mit einiger Regelmässigkeit informative, gut und lebendig formulierte Artikel über die politische Szenerie und ihre Entwicklungen im wiedervereinigten Deutschland. Man merkte es seinen Texten gelegentlich an, dass sie erheblich von den Erlebnissen und Erfahrungen während Kuhns journalistischer Aktivzeit in der westdeutschen Hauptstadt Bonn beeinflusst waren. In seinen Kommentaren äusserte er öfters Verwunderung und Besorgnis über den Mangel an historischen Perspektiven in vielen aktuellen Befindlichkeitsbeschreibungen und über den Aufstieg rechtsnationaler Parteien wie der AfD. So etwa im Beitrag «Wohlstandsverwöhnt und angstgepeinigt» vom 29. Juli von 2024. https://www.journal21.ch/artikel/wohlstandsverwoehnt-und-angstgepeinigt
Doch von Pessimismus überwältigen liess sich Gisbert Kuhn auch im hohen Alter nicht. In seinem letzten Artikel vom 19. Dezember 2024 erinnerte er sich mit spürbarem Gusto an populäre Bonner Kneipen wie «Rheinlust», «Schuman-Klause» oder "Provinz" in denen einst neben gewöhnlichen Abgeordneten und Journalisten auch bekannte Politiker wie Gustav Heinemann oder Willy Brandt verkehrten und wo bedeutende Politkarrieren geschmiedet worden seien.