Die Sammlung des Museums Kolumba in Köln ist vielseitig und voller Kostbarkeiten. Die Jahresausstellung unter dem Motto «Ort & Subjekt» legt mancherlei Beziehungen frei.
Rechts das Erper Kreuz aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, so genannt wegen seines ursprünglichen Standorts in Erp, links die Pingsdorfer Madonna aus der Kirche von Pingsdorf bei Köln, um 1170. Kreuz und Madonna gehören zu den wichtigsten romanischen Bildwerken des Rheinlandes. Beide befinden sich im Kölner Museum Kolumba, und sie finden sich in der kürzlich eröffneten neuen Sammlungspräsentation des Hauses vereint mit einer eigenes für Köln geschaffenen grossen monochromen Malerei des Amerikaners Phil Sims (*1940) und mit der Tisch-Skulptur von Rudolf Bott (*1956). Es ist ein ruhiger Raum, der sakral wirkt, nicht nur wegen Madonna und Kreuz, sondern mehr noch wegen der harmonisch-meditativen Atmosphäre und wegen des sanft von oben einfallenden Tageslichts.
Hohe Ansprüche
Der 2007 eröffnete, mehrfach international ausgezeichnete Museumsbau stammt von Peter Zumthor. Es ist ein Museum der Konzentration und ohne Ablenkung durch Shop, Bar und allerlei «Events», aber mit in weichem Fluss angelegten Räumen und schönen Lichtverhältnissen – und mit einem wunderbar gestalteten Leseraum. Das vergleichsweise kleine und nicht allzu üppig dotierte Museum ist ganz auf die nachhaltige Begegnung mit der Kunst ausgerichtet. Es eignet sich nicht für einen kurzlebigen touristischen Besuch. Kolumba gehört dem Erzbistum Köln. Geführt wird das Museum von einem vierköpfigen Team – von Stefan Kraus, Ulrike Surmann, Marc Steinmann und der Schweizerin Barbara von Flüe – nicht als Propagandainstrument der katholischen Kirche. Vielmehr soll Kunst generell auf ihre Relevanz für (nicht nur, aber vor allem) christliche Spiritualität befragt werden. Das geschieht ohne festgeschriebene Ideologie, doch mit hohen Ansprüchen an die Museumsarbeit selber und ebenso ans Publikum, das sich ungewohnten Kombinationen ganz unterschiedlicher künstlerischer Wege und manch einem Brückenschlag hinweg über tausend Jahre ausgesetzt sieht. Das Bistum mischt sich auch nicht ein in die Aktivitäten des Museums. Dessen Crew ist, wie Barbara von Flüe sagt, in Freiheit tätig.
Die Sammlung
Der Raum mit Madonna, Kreuz und Malerei zeigt exemplarisch, wie das Museum mit seinen Schätzen umgeht. Einerseits verfügt Kolumba über herausragendes Kulturgut und andererseits wird dieses Kulturgut so präsentiert, dass sich in den einzelnen Räumen spannende Perspektiven und Blickwechsel ergeben. Der erwähnte Raum ist dafür ein Beispiel: Die Malerei Phil Sims, eines bedeutenden Vertreters amerikanischer Abstraktion, wirkt aus Distanz als dunkel-rostroter Farbraum. Je näher man hinzutritt, desto lebendiger schwingt er aus und wird so zum Resonanzraum für die romanischen Skulpturen. Das Tisch-Objekt von Rolf Bott ist mehr als eine «Unterlage» für die Madonna. Es wird durch Farbe und Form zum Element, das den Raum wesentlich konstituiert.
Die Kombination des Ausstellungsgutes in diesem Raum zeigt auch exemplarisch, was die Sammlung des Hauses auszeichnet: Neben wunderbaren und im Rheinland verankerten Bildwerken christlicher Tradition – darunter zahlreiches liturgisches Gerät, Monstranzen, Kelche, Reliquien, Handschriften, liturgische Bücher, Urkunden und andere Dokumente – ist die Sammlung auch reich an bildender Kunst der Gegenwart oft internationalen Formats. Gesammelt wird aber nicht entlang der Hitparade eines überhitzten Kunstmarktes. Eingang in die Bestände fanden und finden Kunstwerke, die im weitgefassten spirituellen Kontext eine Heimat finden. Einige Namen: Hans Josephssohn, Joseph Beuys, Alexej Jawlensky, Leiko Ikemura, Wolfgang Laib, Duan Michals, Richard Tuttle, Antonio Tàpies, Roni Horn. Zudem verfügt das Museum über den Nachlass des Amerikaners Paul Thek (1933–1988), der mit Zeichnung, Malerei, Objektkunst und Environment hier kultisch-rituellen, dort wiederum spielerisch-naiven Charakters manche Grenzen sprengte.
«making being here enough»
Die Museumsleitung präsentiert die Sammlung jedes Jahr neu und setzt jeweils andere Akzente. Das Motto der neuen Sammlungsausstellung «Ort & Subjekt» hängt mit einem kleinen Schriftbild der in Island lebenden Amerikanerin Roni Horn (*1955): «making being here enough» lesen wir. «Dafür sorgen, dass hier zu sein genügt» übersetzt das Museum den Text. Roni Horn ist denn in dieser Präsentation auch mit einem ganzen Raum ausführlich vertreten. Für sie ist das Leben in einer Landschaft, die stets in Bewegung ist und sich verändert, mit existenziellen Erfahrungen verbunden: Sie gewinne – so sagt sie selber – hier die klarste Sicht auf ihre eigene Identität. Verortete Kunst führt den Menschen zu seinem Selbst.
Die Bezüge der in der Ausstellung gezeigten Werke zu einem Ort, zu einer Stadt, einer Landschaft, zu einem Geistes- oder Sinnesraum sind ganz verschieden. Sie haben auch unterschiedliche Folgen auf die Rezeption der Kunst. «Ort & Subjekt» ist – im Unterschied zu vielen anderen thematischen Ausstellungen – auf Offenheit hin angelegt. Es gibt im Booklet zur Ausstellung wohl einführende Worte und präzise Erläuterungen zu den Künstlern und Werken, doch da ist nichts Doktrinäres, was das Denken der Besucherinnen und Besucher einengen oder die Kunstwerke in ihrer Freiheit und ihrer Tiefendimension beschränken würde. Es gibt keinen Versuch, jedes Objekt strikt auf das Ausstellungsthema «Ort & Subjekt» hin zu befragen. Das mag hin und wieder zu einer gewissen Austauschbarkeit führen, hat aber auch zur Folge, dass der Besuch des Museums zu einem vielseitigen und abwechslungsreichen Parcours durch viele Räume eigenen Charakters wird.
Räume meditativer Dichte
In manchen Teilen der Ausstellung zeigt sich ein einfacher und narrativer Bezug zum jeweiligen Ort – etwa wenn es um Wallfahrten und sie begleitende Kultobjekte oder um Beiträge zu bedeutenden Orten der Erinnerung wie Jerusalem, Rom oder auch Köln selber geht. Da breitet das Kuratoren-Team reiches Material wie Handschriften, frühe Buchdrucke, liturgische Gerätschaften in Silber und Gold oder Reliquien aus. Thema ist aber auch der «Nicht-Ort», die Utopie als Ort der Sehnsucht oder der Vision. Beispiel ist Paul Theks «Portable Ocean», ein mit Bauklötzen gefüllter Holzwagen, der einem Leitstern in unbekannte Gefilde folgt.
Ein Ort von besonderer poetischer Kraft ist Terry Fox‘ Klanginstallation «Site Pendulum»: Da pendelt eine an einer langen Klaviersaite befestigte Bleikugel um ein Wasserglas, bis sich Kugel und Glas sanft berühren, was einen berückenden Klang erzeugt. Eindrücklich ist auch die Arbeit von Peter Dreher (1932–2020): Der dem Zen-Buddhismus verpflichtete Künstler malte während vieler Jahre täglich im gleichen Format das gleiche Wasserglas. In den mehreren tausend Bildern zeigen sich Beständigkeit und Verankerung des Künstlers im gesicherten Selbst, aber ebenso – in den allmählichen leisen Veränderungen der realistischen Malweise – der stete Fluss der Zeit. Handfest wiederum ist des breit dokumentierte Projekt «Bibliothek im Eis» von Lutz Fritsch (*1955). Fritsch ist Bildhauer und Konzeptkünstler und rastlos reisender und tätiger Polarforscher, dessen Projekt den Mitarbeitern des Alfred-Wegener-Instituts in der Antarktis einen zur Bibliothek umgebauten Container mit Lektüre für die langen Polarnächte zur Verfügung stellte. Grün gestrichen, ist die «Bibliothek im Eis» ein farbiger Ort mit 1000 von Künstlern geschenkten Büchern im unendlichen Weiss der Antarktis
«Liebe deine Stadt»
Das Museum Kolumba sieht sich nicht in einem abgehobenen und luftleeren Raum. Das Haus steht mitten im Zentrum Kölns, nur ein paar Schritte vom Dom entfernt und in unmittelbarer Nähe zum Offenbachplatz mit Wilhelm Riphahns Oper, einer Architektur-Ikone der 1950er Jahre, deren Restaurierung sich, begleitet von immensen Kostenüberschreitungen und Skandalen, über Jahrzehnte hinzieht. In der Ausstellung «Ort & Subjekt» greift Merlin Bauer (*1974) in diesen unrühmlichen städtebaulichen Prozess und auch in andere ähnlich gelagerte Konflikte ein. Bauer nimmt mit seinem Projekt «Liebe deine Stadt» die Mitverantwortung der Bürger und ihre Interesse an der Stadtplanung ins Visier und führt weiter, was er vor ein paar Jahren als Auftrag der Firma RheinEnergie begann. Der grosse bunte Schriftzug «Liebe deine Stadt», montiert über einer Schnellstrassen-Schneise im Stadtzentrum, hat sich als Stadt-Ikone längst verselbständigt bis hin zum Tattoo auf dem Arm eines FC-Köln-Fans und zum Karneval-Motto, als handle es sich um geschicktes Stadt-Marketing. Vorübergehend findet sich der Schriftzug nun im Museum und sprengt mit seiner Dimension beinahe den Museumsraum. Merlin Bauer begleitet ihn in erfrischend ironischer Tonlage mit verschiedenen Installationen, einer Art Museum im Museum.
Das Museum führt Bauers Ironie perfekt weiter und zeigt gleich nebenan das Gemälde «Der Kölner Heiligenhimmel» von Johann Toussyn (ca, 1610–1646): Gut, dass die Drei Könige und andere Heilige ihre schützende Hand über Köln halten.
Bis 24. August 2023
www.kolumba.de