Als «Normalität» beschwichtigen die einen die Wahl von Bodo Ramelow als ersten Ministerpräsidenten der Partei «Die Linke» (also der einstigen DDR-Staatspartei SED) in einem deutschen Bundesland. Als «Zeitenwende» und Rückfall gar in längst überwunden geglaubte Honecker-Nostalgien malen hingegen keineswegs nur eingefleischte Polit-Pessimisten das dunkelrot/hellrot/grüne Regierungsbündnis in Thüringen wie ein Menetekel an die Wand. Irgendwo zwischen diesen beiden Extremen wird sich in Zukunft wohl die Realität abspielen. Und die wird mit Sicherheit spannend genug sein.
Mit einer Stimme Mehrheit
Dabei wird sich vermutlich nicht einmal als grösstes Problem erweisen, dass die neue Koalition im Erfurter Landtag lediglich über eine Stimme Mehrheit verfügt. So etwas kann, wie es in anderen Fällen die Vergangenheit schon mehrfach bewiesen hat, auch zusammenschweissen. Freilich nur, wenn es dem «Westimport» Ramelow tatsächlich gelingt, die gleich nach seiner Wahl verkündete Absicht umzusetzen, «versöhnen statt spalten» zu wollen. Mag sein, dass es kein Zufall war, der den neu gekürten Ministerpräsidenten dazu bewog, bei dieser Formulierung auf den hoch geachteten Sozialdemokraten (und einstigen Bundespräsidenten) Johannes Rau zurückzugreifen.
Denn Rotrotgrün ist ja nun wirklich keine politische Liebesheirat. Schliesslich ist der Pakt nicht als Ausdruck eines Füreinander zustande gekommen, sondern ausschliesslich als unumgängliches Vehikel eines «Gegenetwas» – nämlich des Ziels, die seit 25 Jahren in Erfurt regierende CDU abzulösen. Eine CDU freilich, die es ihren Gegnern auch wirklich leicht gemacht hat. Und zwar keineswegs erst mit ihren inneren Querelen in jüngster Zeit und der Führungsschwäche der bisherigen Regierungschefin Christine Lieberknecht. Vor einem Vierteljahrhundert hatte der erfahrene Bernhard Vogel die christdemokratische absolute Mehrheit errungen und mehrfach behauptet. Doch unter seinen Nachfolgern Dieter Althaus und der einstigen Pfarrerin Lieberknecht ging es unaufhaltsam bergab, auch wenn die CDU im September noch einmal stärkste Fraktion im Landtag wurde.
Nur noch knapp vor den Linken
Aber halt nur noch knapp vor den Linken – 34:28 Prozent der abgegebenen Stimmen bei einer allerdings dramatisch niedrigen Wahlbeteiligung. Der Ausgang der September-Wahl bedeutete somit für die mehrfach umgetauften SED-Nachfolger (SED, SED/PDS, PDS, Linke) einen riesigen Triumph. Immerhin waren es im Herbst 1989 neben den Demonstranten in Sachsen vor allem thüringische Oppositionelle, die den Sturz der seinerzeitigen Diktatoren vorantrieben. Mag sein, dass mittlerweile nachgewachsene Aktivisten frischen Wind in die alten Kader gebracht haben. Dass davon aber noch genügend in den Parteizellen und auch in der neuen Landtagsfraktion sitzen, wurde nicht zuletzt bei deren Haltung im Streit um das Thema «Unrechtsstaat DDR» erkennbar.
Mindestens ebenso dramatisch wie der Wiederaufstieg der Postkommunisten im wirtschaftlich durchaus prosperierenden Freistaat Thüringen ist freilich der damit einhergehende Abstieg der SPD. Angesichts der deprimierenden Tatsache, dass die sich ja immer noch gern als «Volkspartei» bezeichnenden Sozialdemokraten nur noch etwas mehr als 12 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen konnten, fällt es schon kaum mehr ins Gewicht, dass sie damit sogar weit abgeschlagen als Junior-Regierungspartner auftreten müssen. Das sind sie zwar auch schon in Baden-Württemberg mit den Grünen. Doch dieser Vorgang in einem ostdeutschen Bundesland wiegt ungleich schwerer. Schliesslich: Waren es denn nicht die Sozialdemokraten, die nach dem Krieg in der sowjetischen Besatzungszone unter Androhung von schwerster Haft und KZ zur Zwangsvereinigung mit der KPD gezwungen worden waren?
Grosse Dummheiten der CDU
Es müssen schon gewaltige Eseleien gewesen sein, die sich die Thüringer Christdemokraten in den vergangenen Jahren geleistet haben. Und zwar keineswegs allein gegenüber der SPD, die ja immerhin eine ganze Zeitlang Regierungspartner war. Sondern auch im Verhältnis zu den Grünen, die doch ebenfalls aus der Opposition zu DDR-Zeiten gekommen waren und nun trotzdem auch die Hürden zu den einstigen Peinigern übersprangen. Bodo Ramelow, der Gewerkschafter aus dem Westen, tut das Klügste, was er im Moment machen kann. Am Tag seines (und seiner Partei) bislang grössten Erfolgs, übt er sich in Demut und Zurückhaltung. Er braucht ja auch gar nicht den Nachweis der Läuterung zu erbringen; die DDR-Vergangenheit, die Zerstörung von Staat, Kommunen und Menschen können ihm nicht angelastet werden.
Nun ist es ja in der Geschichte und damit in der Politik oft so, dass dramatische Vorgänge einander beflügeln. Es ist nicht zufällig der kluge und eloquente Gregor Gysi, der die Signalwirkung des Erfurter Ereignisses hervorhebt (jener Gysi, übrigens, der im Dezember 1989 die Auflösung der SED mit dem Hinweis auf den damit verbundenen Verlust des gewaltigen Parteivermögens verhinderte. Bis heute ist noch immer unbekannt, wo der grösste Teil dieses Geldes geblieben ist). Sollte das thüringische Experiment gelingen, wird einerseits zwar vermutlich die dortige SPD noch weiter pulverisiert, doch auf Bundesebene werden die Kräfte auf dem linken Flügel automatisch stärker, die einem strategischen Bündnis der roten Farben das Wort reden. Und auf der anderen Seite? Wer hält bei den Schwarzen den Laden zusammen und verhindert das Ausfransen nach Rechts? Die mit Schafspelzen getarnten Wölfe wildern keineswegs nur in einem Lager.