In Europa herrscht Kopfzerbrechen: Wie war es möglich, dass ein Donald J. Trump, der notorisch lügt, die Frauen gering schätzt, den Klimawandel im besten Fall für eine Glaubensfrage hält und aussenpolitisch mit dem Feuer spielt, Präsident werden kann?
Empfehlung der Tageszeitungen
Offensichtlich ist die Hälfte der Amerikaner bereit, einen solchen Präsidenten zu akzeptieren. Nur selten wird die Frage gestellt, ob sich Trumps Wähler dessen auch wirklich bewusst waren. Oder anders formuliert: Hat hier nicht auch der Journalismus versagt, der das Trump-Amerika hätte informieren und warnen sollen?
Neben Hillary Clinton gehören Amerikas führende Medien zu den grossen Verlierern der Präsidentschaftswahl. Clinton wurde von 229 Tageszeitungen und 131 Wochenzeitungen offiziell zur Wahl empfohlen. Nicht weil sie von Clinton begeistert waren, sondern weil sie keinen Rassisten, Frauenfeind und Xenophoben als Präsidenten haben wollten. Für Trump hatten sich nur neun Tageszeitungen und vier Wochenzeitungen ausgesprochen. Die meisten Journalisten hielten einen Präsidenten Trump noch am Wahltag für unmöglich. In der grossen Mehrzahl der Newsrooms hatte man offensichtlich nicht mitbekommen, was draussen passierte.
Trumps Wähler leben im „Flyover Country“
Jim Rutenberg, der Medienkolumnist der „New York Times“, geht mit seiner Zunft streng ins Gericht: „Die meisten Journalisten sind gegenüber der ländlichen Bevölkerung oder gegenüber Themen wie Armut, Religion, Arbeiterklasse voreingenommen.“ Es würde wenig nützen, so Rutenberg, jetzt scharenweise Reporter ins „Flyover Country“ zu schicken, wo Trumps Wählerschaft lebt. „Flyover Country“ ist in den USA ein stehender Begriff für die Landmasse zwischen den Küsten. Der Teil des Landes also, über den man immer nur hinwegfliegt und wo man selber noch nie war.
Die meisten klassischen Medien sind in New York, Washington und Los Angeles konzentriert. „Für einen Grossteil der amerikanischen Bevölkerung sind die Medien Repräsentanten eines elitären Systems, das mit Trumps Wahl eine krachende Niederlage erlebt hat“, meint Jill Abramson, eine frühere Chefredaktorin der „New York Times“.
Fakt ist: Eine Mehrzahl der Amerikaner bezieht ihre Informationen von lokalen, ausschliesslich privaten TV-Stationen. Sie berichten von morgens bis abends über Verkehrsunfälle, Verbrechen und das Wetter. Im Radio sind hetzerische Talkshows zu hören und im Internet sind in der Fülle von Informationen Fakten und Lügen nicht mehr zu trennen.
„Newswüsten“ breiten sich aus
Im „Flyover Country“ ist die Medienlandschaft ausgetrocknet. Grössere regionale und lokale Zeitungen sind verschwunden. Ganze Städte und Regionen haben sich in sogenannte „Newswüsten“ verwandelt. Wenn eine Stadt oder Region mehrheitlich von ethnischen Minderheiten oder armen Weissen bewohnt ist, werden sie für die Mainstreammedien uninteressant, weil sie auf das besser situierte Amerika ausgerichtet sind. Das heisst: Der Journalismus, der dazu da wäre, Fakten zu vermitteln und Zusammenhänge darzustellen, erreicht die Menschen im „Flyover Country“ nicht mehr.
„Wir wissen nicht mehr, was im übrigen Amerika vor sich geht,“ meint Alec McGillis von „Pro Publica“, einer von privaten Spenden finanzierten Gruppe von Enthüllungsjournalisten mit Sitz in New York. Die grossen, an der Ost- und Westküste situierten Medien haben Korrespondenten, die über die Provinz berichteten, aus Spargründen aufgegeben. Gleichzeitig sind die meisten amerikanischen Städte zu „one voice cities“ geworden: Die noch übrig gebliebene Zeitung, das lokale Radio und Fernsehen gehören einer einzigen Medienkettte, die ihren Sitz im fernen Chicago oder New York hat. Die Hoffnung, das Internet werde als demokratisches Medium zu mehr Vielfalt beitragen, hat sich als Illusion erwiesen. Internetportale mit alternativen Informationen sind zu schwach, um Gegensteuer zu geben. Die Medien sind kein Watchdog mehr.
Journalismus als Sprachrohr des Populismus
Auf dem Hintergrund der Trump-Wahl bietet der bekannte amerikanische Medienexperte Robert G. Picard eine vertiefte Analyse („Journalisten: Berichterstatter oder Sprachrohr des Populismus?“). Picard macht auf Schwachstellen im heutigen Journalismus aufmerksam, die Populisten sowie ihren Anhängern erlauben, die Medien aktiv zu manipulieren und demokratische Prozesse zu unterwandern. Der Populismus basiert laut Picard „auf den individuellen und kollektiven Gefühlen der Unsicherheit, Entfremdung, Frustration, Feindseligkeit und Wut.“ Trump habe diese Gefühle geschickt angesprochen.
Viele Medien seien in diese Falle gelaufen, weil sie sich zu stark auf die Personen und taktischen Manöver der Kandidaten eingelassen hätten. Die Medien stürzten sich auf das Unerwartete und Aussergewöhnliche. Die analytische Berichterstattung über Programme und politischen Ziele hingegen komme zu kurz, mit verhängnisvollen Konsequenzen, wie Picard meint: „Die stärkste populistische Unterstützung kommt von schlecht und falsch informierten Personen, die populistischen Anführern jedes Wort glauben.“ Der Journalismus mache sich zum Sprachrohr von Populisten, „wenn Geschichten voller Behauptungen stecken, die auf Fehlinformationen und Unwahrheiten beruhen, und diese von den Journalisten nicht hinterfragt oder durch Entgegnungen anderer Parteien nicht entkräftet werden.“
Journalisten werden überflüssig
Der Präsidentschaftswahlkampf 2016 könnte auch deshalb in die Geschichte eingehen, weil die Kandidaten kaum noch auf die klassischen Medien als Vermittler angewiesen waren. Sie benützten Twitter und Blogs, um ihre Botschaften (und Lügen) ungefiltert zu verbreiten. Trump zog dabei von den sozialen Netzwerken über Interviews bis zu Reden alle Register des digitalen Zeitalters.
Und noch eine Pointe mit historischem Hintergrund. Hillary Clinton hat eine knappe Mehrheit der Wählerstimmen bekommen und trotzdem verloren. Das hat folgenden Grund: Die Gründerväter der US-Demokratie haben das Elektorensystem eingeführt, weil sie Angst hatten vor dem, was sie als Masse oder Pöbel wahrnahmen. Mit diesem institutionellen Puffer wollten sie das Präsidentenamt vor dem Durchmarsch eines Demagogen schützen. Genau dieser Mechanismus hat nun dem Demagogen Trump zum Sieg verholfen.
Hoher Preis
Die gleichen Gründerväter der USA verstanden aber auch, dass die Demokratie nur dank dem Sauerstoff Information überleben kann. Sie sorgten dafür, dass Zeitungen mit stark reduzierten Posttaxen bis in die letzten Winkel der USA vertrieben werden konnten. Gerade in solchen Regionen existieren heute „Newswüsten“. Und als Folge der Pressekonzentration gehören die meisten Medien an der Börse kotierten Kapitalgesellschaften, für die Profitmaximierung wichtiger ist als Investitionen in die Qualität der Berichterstattung.
„Die US-Medien sind vollkommen unvorbereitet, um über eine Trump-Präsidentschaft kritisch zu berichten“, befürchtet Joshua Roberts (The Atlantic 11. November 2016). Er erinnert an frühere Medien-Debakel, als Leitmedien wie die „New York Times“ und die „Washington Post“ den Lügen der Bush Regierung aufgesessen waren und damit die Invasion des Iraks rechtfertigten. Trump und seine Kumpanen hätten bereits vor der Wahl ihre Fähigkeit gezeigt zu lügen – trotz anders lautenden Fakten. Bald werde ein Präsident Trump eine mächtige Bürokratie der Bundesregierung hinter sich haben, die ihm helfen werde, seine Lügen abzustützen und zu verbreiten. „Die amerikanische Bevölkerung, und wahrscheinlich auch die übrige Welt, werden dafür teuer bezahlen müssen“, glaubt Roberts.
Ein Warnsignal für Europa
Die amerikanische Medienlandschaft hat ihre Eigenheiten und ist nicht eins zu eins auf Europa übertragbar. Dennoch müssten die Wahl Trumps und die Rolle des Journalismus als Warnsignal dienen. Auch in Europa gelten Journalisten in der Bevölkerung als abgehoben und elitär. Auch bei uns gibt es „Flyover Countries“, die plötzlich einen Demagogen zum Präsidenten oder zur Präsidentin wählen könnten.
Auch in Europa sind Journalisten in Newsrooms gefangen, wo sie als Contentprovider am Fliessband Stories produzieren müssen. Ihnen fehlt die Zeit, um Fakten zu überprüfen und draussen mit den Menschen zu sprechen. Auch in Europa werden immer mehr Medien von Konzernen kontrolliert, die von Profitmaximierung getrieben sind und nicht mehr in den Journalismus investieren.