Von der Bankenwelt finanzierte Professoren, Lobbyisten und Parlamentsberater wollen das enorme Steuerreservoir von Derivaten und Devisen nicht erkennen. Tiefste Steuersätze sowie politische und strukturelle Stabilität unseres Landes werden eine massgebliche Verlagerung dieser Geschäfte ins Ausland verhindern.
Einige liberale Kreise sind noch immer der Auffassung, der Staat solle sich nicht in Angelegenheiten der Finanzwelt einmischen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass der Ruf nach dem Staat regelmässig genau dann zu hören ist, wenn die Bankenwelt aus den Fugen gerät. Das war der Fall bei der Finanzkrise 2008 sowie letztes Jahr beim Kollaps der Credit Suisse. Auslöser waren unter anderem Derivatgeschäfte.
Derivate sind komplizierte Finanzprodukte, die den Preis eines Basiswerts wie Kredite, Aktien, Zinsen und Devisen abbilden. Dank der Hebelwirkung der Derivate wurden die Risiken im Bankwesen drastisch erhöht.
Der Investmentguru Warren Buffett sagt, in Derivaten stecke die Sprengkraft einer finanziellen Atombombe.
Auslöser der Subprime-Krise 2008 und der Zusammenbruch der CS
Im Oktober 2008 brachen Teile des westlichen Bankensystems zusammen. Dirk Laabs beschreibt das eindrücklich in seinem Buch «Bad Bank, Aufstieg und Fall der Deutschen Bank».
Hilfesuchend wandten sich die schlingernden Banken an ihre Sitzstaaten und riefen nach Rettung. In der Schweiz war es die UBS, die staatliche Hilfe in Anspruch nahm. Die grösste Versicherungsgesellschaft der USA, AIG, fallierte wegen Credit Default Swaps (CDS), also Derivaten. AIG überlebte nur, weil sie vom amerikanischen Staat übernommen wurde.
Der Untergang der CS 2023 war unter anderem ebenfalls auf Derivate zurückzuführen.
Fazit: Derivate sind für Banken lukrativ, aber höchst gefährlich. Wanken systemrelevante Banken, rufen sie nach dem Staat.
EU und Finanztransaktionssteuer
Die EU-Kommission erkannte 2011 das Risiko von Derivaten. Sie plante eine Steuer auf Derivate, Aktien und andere Produkte, unter anderem, um das rasant wachsende Finanzcasino zurückzubinden.
Am 6. Mai 2014 gaben Minister der zehn teilnehmenden Mitgliedstaaten des EU-Rates für Wirtschaft und Finanzen eine gemeinsame Erklärung ab: Die schrittweise Einführung der Finanztransaktionssteuer bis Ende 2025 wurde beschlossen. Als Kanzlerkandidat sagte Olaf Scholz 2021, Deutschland müsse den Alleingang wagen.
Inzwischen ist das gross angekündigte gemeinsame EU-Projekt gescheitert. Nur Frankreich, Italien und Spanien haben eine stark abgespeckte Steuer auf Finanztransaktionen eingeführt.
Das Projekt war schlecht gemanagt, die zugrunde liegenden Ideen sind aber heute noch gültig.
Und die Schweiz?
Erst seit der angenommenen Volksabstimmung für eine 13. AHV und seit sich die Frage nach deren Finanzierung stellt, realisieren viele Schweizer, dass eine Finanztransaktionssteuer bereits seit 1973 existiert, nämlich die Umsatzabgabe. Sie ist im Bundesgesetz über die Stempelabgaben geregelt.
Die Umsatzabgabe enthält zahlreiche Ausnahmen. Sie sind kompliziert und unübersichtlich formuliert. Siehe Umsatzabgabe kurz erklärt | ESTV (admin.ch). Sie sind radikal zu kürzen.
Das Bankwesen des Jahres 1973 ist kaum vergleichbar mit gewissen casinoähnlichen Abläufen in der heutigen Finanzwelt, vor allem wegen der zahlreichen spekulativen Derivateblasen. Schon aus diesem Grund ist das Gesetz völlig neu und verständlich zu formulieren.
Der CS-Kollaps – ein Weckruf
Nach der Finanzkrise 2008 erliessen viele Staaten neue Regularien, um die «Too-Big-To-Fail»-Thematik zu entschärfen und Derivate in den Griff zu bekommen, so auch in der Schweiz.
Die Regeln zu den systemrelevanten Grossbanken haben bekanntlich im Fall CS versagt.
Am 19. Juni 2015, also sieben Jahre nach der Finanzkrise, erliess das Bundesparlament das neue Bundesgesetz über die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel.
In diesem Gesetz wurde ein Transaktionsregister für Derivate vorgeschrieben. Die in diesem Register genannten Zahlen sind nicht transparent und werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten.
Das Steuerpotential der Derivate wurde nicht analysiert, es war schlicht kein Thema.
Der Staat erkannte seine Chance nicht, das Staatsrisiko blieb, die Finanzindustrie freut sich.
Finanztransaktionssteuer in der Schweiz populär
Gemäss einer kürzlich durchgeführten Umfrage des TA nennen über 60 Prozent der Befragten die Finanztransaktionssteuer als eine der drei wichtigsten Finanzierungsquellen für die 13. AHV-Rente.
Das kommt für viele Befürworter des Casino-Finanzsystems überraschend. Der überbordende Finanzkapitalismus hat uns von einem Tag auf den anderen den Kollaps der CS beschert. Viele haben das plötzliche Verschwinden dieser altehrwürdigen Grossbank begreiflicherweise noch immer nicht verkraftet. Die Popularität der Steuer auf Finanztransaktionen ist zu einem schönen Teil auf den Kollaps der CS zurückzuführen.
Der weitsichtige Walliser Ständerat Beat Rieder hat bereits 2021 ein Postulat für die Einführung einer erweiterten Finanztransaktionssteuer zugunsten der AHV eingereicht. Das Postulat ist am 16. Juni 2022 vom Ständerat mit 21 gegen 20 Stimmen angenommen worden.
Seither wartet man gespannt auf den Bericht des Bundesrates zu diesem Postulat.
Devisen wie Wertschriften besteuern
Es ist kein Grund vorhanden, Devisenschäfte steuerlich anders zu behandeln als Börsengeschäfte.
Börsengeschäfte werden mit Courtage und anderen Gebühren zugunsten der Bank belastet. Gleichzeitig zieht die Bank die staatliche Umsatzabgabe ab und überweist diese Steuer dank eigener Software der Eidgenossenschaft.
Angesichts der enormen Volumina ist die Besteuerung der Devisen gerechtfertigt. Ein Steuersatz von 0,2 Promille pro Devisentransaktion, also 0,1 Promille für den Käufer und 0,1 Promille für den Verkäufer, ist schmerzlos. In der speziellen Devisensprache ist dies ein Pip, also 1/10’000stel der Transaktion.
Pro Handelstag beträgt gemäss Statistik der SNB der durchschnittliche Devisenumsatz inklusive Zinsderivate USD 350 Milliarden, somit USD 87'500 Milliarden jährlich.
Selbst bei einer Verlagerung von 40 Prozent ins Ausland verbleiben dem Staat pro Jahr viele Milliarden Steuereinnahmen.
Nicht nur bei Devisen, auch bei Derivaten schlummert ein Steuerpotential.
Steuerreservoir bei Derivaten
Wöchentlich publiziert SIX Trade Repository Report Derivatezahlen, die sich zwischen CHF 4 Millionen Milliarden und CHF 45 Millionen Milliarden (also 45 x 10 hoch 15) bewegen.
Das ist ein riesiges Steuerpotential und eine enorme Chance für den Bund.
Für die Woche vom 3. März 2024 publizierte SIX Trade Repository allein für Aktien-Derivate die astronomische Summe von CHF 22’148’248’049’436’500, also CHF 22 Millionen Milliarden
Richtige Bemessungsgrundlage ist der Nominalbetrag zum Zeitpunkt des Derivatekontraktes. Das ermöglicht die klare und einfache Anwendung der Finanztransaktionssteuer auf Derivatkontrakte.
Risiken für die Schweiz
Die im Transaktionsregister publizierten Daten sind die Spitze des Derivate-Eisbergs. Wie sich diese Zahlen zusammensetzen, ob es sich zum Beispiel um viele kleine oder nur wenige grosse Transaktionen handelt, ist unbekannt. Sollten einzelne Derivatkontrakte mit extrem hohen Nominalwerten in den publizierten Daten versteckt sein, könnten diese ein existentielles Risiko für die Schweiz darstellen.
Das Bruttosozialprodukt der Schweiz beträgt CHF 781 Milliarden. Die Summe der Aktienderivate ist 28’000 Mal grösser.
Die Statistik über die Finanzgeschäfte muss dringend auf Vordermann gebracht werden. Damit ist der Bund in der Lage, die Risiken für unser Land und das ungenutzte Steuerreservoir zu erkennen.
Verlagerung ins Ausland?
Die Finanzwelt, von der Finanzwirtschaft finanzierte Ökonomen und Professoren sowie Avenir Suisse sind der Auffassung, die meisten Geschäfte würden bei Erweiterung der Finanztransaktionssteuer sofort abwandern und schliesslich würde die Rechnung vom «dummen» Durchschnittsschweizer bezahlt. Ein Totschlagargument!
Eine seltsame Behauptung führt der Thinktank Avenir Suisse ins Feld. Er sagt, Finanztransaktionen brächten keine Wertschöpfung, ergo sollten sie nicht besteuert werden. Wenn keine Wertschöpfung vorliegt, sollten solch sinnlose Transaktionen erst recht besteuert werden.
Innovation und dynamischer Aufbruch
Finanztransaktionssteuern werden dem Bund wichtige zusätzliche Einnahmen bringen. Sollten diese angesichts des enormen Potentials höher ausfallen als erwartet, sind Steuersenkungen bei Einkommens- und Gewinnsteuer nicht unerwünscht. Denn diese sind die wirklichen Hemmnisse für Innovation und Aufbruch, was auch liberale und staatskritische Kräfte erkennen.
Die überbordende Finanzwelt ist heute um ein Vielfaches grösser als die Realwirtschaft. Letztere gilt es zu fördern. Ein dynamischer Aufbruch ist nötig. Pleiten wie die CS kann sich die Schweiz nicht mehr leisten.
Das JA in der Volksabstimmung vom 3. März 2024 zur 13. AHV-Rente ist der Weckruf einer Bevölkerung mit gesundem Menschenverstand.