Vor drei Tagen erschienen zwei Freunde in einem bretonischen Ferienhaus, rund 800 Kilometer von Biarritz entfernt, wo sie mitten im August ihre konfortable Zweitwohnung verlassen hatten. Sie sind regelrecht geflohen, weil sie sich die Einschränkungen im Alltag, die dieser G-7-Gipfel für die 25’000 Einwohner und zehntausende Feriengäste in Biarritz mit sich bringt, nicht antun wollten.
Strassensperren allüberall, 13’000 Ordnungskräfte und mehr als 20’000 Waffen in der Stadt, Bars, Restaurants und Geschäfte aller Art, die von vorneherein das Handtuch geworfen und die Rollläden heruntergelassen haben, wissend, dass sie das Ganze gut 20% ihres Umsatzes kostet.
Gut 5 Tage lang legt dieser G-7-Gipfel eine Stadt regelrecht lahm. Auch der Strand mit den von Surfern aus aller Welt geschätzten Atlantikwellen ist gesperrt, irgendwo sind auch noch Boden-Luft-Raketen installiert, vor der Küste dümpeln Kriegsschiffe und Dutzende dunkler Gestalten mit ausgebeulten Westentaschen, die in breitem Amerikanisch in ihre Mikrophone knurren, haben an manchen Stellen die französischen Sicherheitskräfte vertrieben, um für den Schutz ihres Präsidenten zu sorgen – Souveränität hin oder her. Ja selbst die Züge halten nicht mehr im Bahnhof der Stadt und die Rugbymannschaft muss ihr Spielfeld den Hubschraubern als Landeplatz überlassen. Die sehr selbstbewussten Basken in Biarritz und Umgebung goutieren diese Eingriffe der Pariser Zentralregierung in ihren sommerlichen Alltag nicht wirklich. Die Regionalzeitung karikierte die 7 Gipfelteilnehmer als Spieler des baskischen Nationalsports Pelota, bei dem Spieler mit einem geflochtenen Spitzkorb einen kleinen Lederball gegen die Wand dreschen – nur Donald Trump hält einen überdimensionalen Baseballschläger in der Hand.
Wertegemeinschaft?
Als Wertegemeinschaft der 7 wichtigsten Industrienationen, um weltweite Probleme gemeinsam zu lösen, war dieser jährlich stattfindende G-7-Gipfel einst im Jahr 1975 ins Leben gerufen worden. Mit den Herren Donald Trump und Boris Johnson im Boot ist von dieser Wertegemeinschaft nicht mehr viel zu spüren. Multilateralismus, Brexitchaos, Klimakrise, das Verhältnis zu Putins Russland oder zum Iran – in keinem Punkt ist man sich einig.
Dementsprechend hat der Gastgeber, Frankreichs Präsident Macron, schon vor Tagen angekündigt, es werde bei diesem Gipfel erstmals keine vorbereitete und vorformulierte gemeinsame Abschlusserklärung geben, die, so Macron, ohnehin niemand lese. Womit er recht hat. Wozu dann aber das Ganze und der ganze Aufwand?
Macron inszeniert sich
Gastgeber Emmanuel Macron sah sich am Samstagmittag, sechs Stunden vor der offiziellen Gipfeleröffnung, gar bemüssigt, seinen Landsleuten per Fernsehansprache vor dem Hintergrund einer tiefblauen Atlantikbucht auseinanderzusetzen, warum das Grossereignis am Wochenende doch zu etwas gut sein könnte.
Dieser Gipfel solle nützlich sein, betonte er gleich mehrmals. Klingt gut, heisst aber nichts. Macron präsentierte sich als der grosse Vermittler und zeigte sich zuversichtlich, etwa in der Irankrise doch noch Fortschritte zu erzielen und allen Teilnehmern klar zu machen, dass die derzeit von Trump losgetretenen Handelskriege letztlich allen Schaden bringen. Und Macron schloss seine 10-minütige Ansprache – so als müsse er sich bei Frankreichs Bürgern für diesen potenziell sinnlosen Gipfel entschuldigen – mit der Ankündigung, er werde sie permanent über den Fortgang der Gespräche unterrichten, ja am Montag sogar abschliessend informieren.
Zwist allüberall
Macron hatte sich bei diesem Gifpel, der eigentlich unter dem Thema „Bekämpfung der Ungleichheiten“ steht, kurzfristig entschlossen, das Thema der Waldbrände im Amazonasgebiet auf die Tagesordnung zu setzen, unter dem Motto: „Unser Haus brennt, diese Umweltkatastrophe geht uns alle an“. Von Brasiliens ultrarechtem und ungehobeltem Präsidenten Bolsonaro musste er sich dafür des „kolonialistischen Denkens“ bezichtigen lassen. Macron seinerseits kündigte daraufhin an, Frankreich werde das über 20 Jahre lang ausgehandelte Freihandelsabkommen Mercosur der EU mit mehreren südamerikanischen Staaten nicht unterzeichnen, da Bolsonaro seine Partner, was Umweltschutzverpflichtungen angehe, seit letztem Jahr schlicht belogen habe.
Dieser Schritt Macrons stiess wiederum in Berlin nicht auf grosse Begeisterung. Dort betonte man umgehend, man wolle an diesem Abkommen festhalten. Wenn sich aber sogar Frankreich und Deutschland uneinig zeigen, was soll man sich bitte von diesem Gipfel erwarten?
Zumal fast alle Teilnehmer politisch angeschlagen und geschwächt sind: ein kanadischer Premierminister auf dem absteigenden Ast, ein italienischer Ministerpräsident, der gerade zurückgetreten ist, eine Angela Merkel, die mehr oder weniger am Ende ihrer Macht steht, ein chaotischer Boris Johnson, der eigentlich nur den Brexit im Kopf hat, und dann ein durch schlechte Wirtschaftsprognosen schwer gereizter Donald Trump, der seine höchsten Mitarbeiter gefragt haben soll, ob er denn wirklich an diesem Gipfel teilnehmen müsse. Weit über 1000 Journalisten aus aller Welt und die Delegationen der anderen am Gipfel teilnehmenden Länder dürfen nun ein Wochenende lang darauf warten, wann Amerikas Präsident die nächste Ungeheuerlichkeit von sich gibt und mitzählen, wie viele nichtssagende oder unverschämte Tweets es denn am Ende sein werden – in diesen Tagen, wo in den USA erneut die Diskussion über Trumps geistige Zurechnungsfähigkeit aufgeflammt ist.
Spätestens Montagabend ist dann alles wieder vorbei, das altehrwürdige Biarritz wird mit der ihm eigenen Noblesse wieder seinem üblichen, gemässigten Trott nachgehen und Frankreichs Staatspräsident wird sich zur Rentrée wieder mit innenpolitischen Problemen herumschlagen müssen, bei denen ihm der Glanz des Gipfeltreffens, in dem er sich ganz offensichtlich staatsmännisch sonnen wollte, nicht sonderlich viel nützen wird.