Korruption, Schwarzgeld, Interessenskonflikte und illegale Parteienfinanzierung bei Frankreichs Konservativen, bis hin zu einem möglichen Schweizer Schwarzgeldkonto von Ex- Präsident Sarkozy - das Buch «French Corruption» zeichnet ein düsteres Bild.
Fünf Jahre lang haben die beiden Investigativ-Journalisten der Tageszeitung «Le Monde», Gérard Davet und Fabrice Lhomme, für ihr Buch recherchiert, das vergangene Woche erschienen ist. Es ist ein Buch, das es in sich hat und ein gnadenloses Bild der jungen Politikergarde der französischen Konservativen in den 80-er und 90-er Jahren zeichnet. Füpnf Jahre lang haben die Autoren in unregelmässigen Abständen einen Kronzeugen immer und immer wieder getroffen, seine Aussagen überprüft, andere Quellen angezapft und nach anderen Beweisen gesucht.
Am Ende ist ein Buch herausgekommen, das sich nicht nur wie ein Kriminalroman liest, sondern auch ein gründlich unappetitliches Bild zeichnet von einem Milieu und einer Partei, die Frankreich von Mitte der 90-er Jahre bis 2012 regiert haben.
Erpressung
Gewiss: dass die französische Rechte seit Gründung der neogaullistischen RPR Partei durch Jacques Chirac 1977 in der Grossregion Paris in den 80-er und 90-er Jahren zahlreichen Bauunternehmen dutzende, wenn nicht hunderte Millionen Francs abgeknöpft hat, bevor diese Unternehmen im Gegenzug Abermillionen Quadratmeter Büro- und Wohnflächen in den teuren westlichen Vororten von Paris in die Höhe treiben durften - dies ist im Grunde nichts Neues. Jahre, ja Jahrzehnte lang haben sich die Gerichte seit 1995 mit diesen Affären befasst, wobei die darin verwickelten Politiker am Ende ziemlich ungeschoren davon kamen. Wegen Korruption verurteilt wurden letztendlich in erster Linie die Bauunternehmer, die ohne die abgeführten Millionensummen damals nie an einen der Millionen schweren Bauaufträge von privater und vor allem öffentlicher Hand gekommen wären.
Département Hauts-de-Seine – der Geldkoffer
Das Buch rollt all diese Ereignisse noch einmal auf, liefert darüber hinaus aber auch eine detaillierte Beschreibung der politischen Sitten in der wichtigsten Hochburg der französischen Konservativen – dem berühmten Département «Hauts-de-Seine», westlich von Paris, das gemeinhin als die Geldquelle und der Safe der bürgerlichen Partei gilt.
«Hauts-de-Seine» ist seit jeher das mit Abstand reichste Département Frankreichs, mit einem Bruttosozialprodukt von 90 Milliarden Euro, so gross wie das der gesamten Slowakei und einem Durchschnittseinkommen, das 40% über dem der Bewohner von Lyon liegt. In diesem Departement haben Frankreichs Superreiche ihr Pariser Domizil, dort liegt das Büro- und Geschäftsviertel «La Défense», das so genannte Pariser Manhattan, dort haben zahlreiche Grosskonzerne, unter anderem L'Oréal, Areva, Total oder die Grossbanken wie Société Générale ihren Firmensitz. Dieses Département und darin besonders die direkt an Paris grenzenden Städte wie Neuilly, Levallois-Perret, Asnières oder Puteaux wurden Anfang der 80-er Jahre von einer jungen, ehrgeizigen Generation von Chirac – Anhängern mit besonders langen Zähnen erobert. Unter ihnen: Nicolas Sarkozy, der 1983 in einer Art Handstreich mit gerade mal 28 Jahren ins Rathaus von Neuilly, der Stadt der Milliardäre, einzog. Sein Intimfreund, Patrick Balkany, wurde Bürgermeister der Nachbarstadt Levallois-Perret, wo in den zwei Jahrzehnten danach buchstäblich kein Stein auf dem anderen blieb, ganze Strassenzüge demoliert und Milliarden Kubikmeter Beton verbaut wurden. Zu der Gruppe der ehrgeizigen Jungpolitiker gehörte noch ein anderer, der einige Jahre älter war: Didier Schuller. Er sollte damals eine weitere Stadt des Departements Hauts-de-Seine mit hohem Immobilienpotential erobern und wie Levallois-Perret der Linken entreissen: Clichy la Garenne. Geschafft hat er es nie, im Département aber, in dem ein kaum vorstellbarer Bauboom ausbrach, spielte er weiter eine wichtige Rolle, besonders in den dunklen Kanälen der Geldbeschaffung für die Chirac-Partei.
Wie das Geld floss
Der heute 66-Jährige Schuller ist der Kronzeuge in «French Corruption». Fast 20 Jahre lang hat er – in der Öffentlichkeit und auch vor den Richtern - geschwiegen, seine ehemaligen Freunde gedeckt, sieben Jahre im goldenen Exil gelebt, in jener Zeit sein Vermögen verloren, keine politische Karriere gemacht und letztlich für alle anderen bezahlt - nun wollte er offensichtlich abrechnen und mit sich selbst ins Reine kommen.
Schuller, von 1986 bis 95 Direktor der Sozialwohnungsagentur des Départements Hauts-de-Seine und zugleich wichtigster Schwarzgeld-Kofferträger der RPR-Partei, legt heute offen, wie Dutzende Millionen an Kommissionen der französischen Baulöwen über die Schweiz und Liechtenstein am Ende in bar den Weg zur Partei nach Frankreich zurück fanden.
Schuller benutzte dazu die drei Schweizer Konten seiner eigenen Mutter, Erna Schuller-Rosenthal, eine Holocaust-Überlebende aus der deutschen Porzelan-Dynastie Rosenthal, die ihr verbliebenes Vermögen dort bereits in den 50-er Jahren bei der Credit Suisse in Zürich angelegt hatte. Vorgeschaltet waren aus Gründen der Diskretion die ebenfalls in Zürich ansässige Treuco Treuhand und ein gewisser Dr. Stüder, seit den 50-er Jahren der Vermögensverwalter von Schullers Mutter. Der Grossteil der Millionensummen aus den Kassen der französischen Bauunternehmen – darunter auch Europas grösstes, Bouygues, dessen Besitzer ein Intimfreund von Nicolas Sarkozy ist - blieben jedoch nicht auf den Schüllerschen Konten, sondern wanderten weiter zu einer Anstalt in Liechtenstein mit Namen LECAYA, dessen Inhaber kein anderer war als der Sarkozy-Intimus, Schuller-Freund und Bürgermeister von Levallois Perret, Patrick Balkany - eine laut tönende, protzende Person mit dicken Zigarren, Goldkettchen um den Hals und teuren Uhren am Arm, mit zwei Villen auf der Antilleninsel Saint-Martin und einer Residenz in Marrakech, der ausserdem auch noch ein Konto bei der ABN Amro Bank in Zürich besass, welches, laut Schüller, regelmässig mit zweistelligen Millionensummen provisioniert war. Die Anstalt in Liechtenstein war 1979, exakt im Jahr, als Balkany seine allerersten Schritte in der Politik tat, gegründet worden und wurde im Dezember 1994 wieder aufgelöst. Exakt zum Zeitpunkt, da die Justiz dem Korruptionssystem in Balkanys, Sarkozys und Schullers Departement Hauts de Seine gefährlich nahe rückte und der Untersuchungsrichter Eric Halphen die ersten Hausdurchsuchungen anordnete.
Ins Exil gedrängt
Weil Didier Schuller all dies, was er heute erzählt, damals nur allzu genau wusste und jedes Detail des komplizierten Räderwerks der Korruptionsmaschinerie kannte, bekam es die damals schon in Balladur- und Chirac-Anhänger gespaltene RPR Partei, wenige Monate vor der Präsidentschaftswahl 1995, gewaltig mit der Angst zu tun. Besonders der Clan um Jacques Chirac übte damals auf Didier Schuller, der politisch gesehen so gut wie kein Gewicht hatte, derartigen Druck aus, dass er sich letztlich dazu überreden liess, mit Lebensgefährtin und Kindern via Genf und London auf die Bahamas ins Exil zu gehen. Betreut wurde Schuller bei dieser überstürzten Flucht von keinem geringeren als dem Pariser Staranwalt, Francis Szpiner, von dem Mann, der ab 1995 jahrelang an der Seite von Elysée-Generalsekretär De Villepin zum so genannten «Schwarzen Kabinett» am Amtssitz des Staatspräsidenten gehören sollte, welches einzig und allein damit beschäftigt war, Präsident Chirac so weit wie möglich vor Ärger mit der französischen Justiz zu schützen.
Didier Schullers nur bedingt freiwilliger Auslandsaufenthalt sollte nach seinen eigenen Vorstellungen damals nur wenige Monate bis nach den Präsidentschaftswahlen 1995 dauern. Es wurden sieben Jahre daraus, in denen er von den Bahamas nach Santo Domingo wechselte, von Rechtsanwalt Szpiner und der Partei mit den nötigen Millionen und sogar mit sechs falschen, belgischen Pässen versorgt wurde. Eine Zeit, in der ihn seine Freunde immer wieder dazu drängten, sich doch bitte nicht so schnell wieder in Paris und im Département Hauts-de-Seine sehen zu lassen.
Als Schuller im Feburar 2002, nachdem sein Sohn den Aufenthaltsort seines Vaters publik gemacht hatte, wieder nach Paris zurückkehrte, war der ehemalige Kofferträger der RPR Partei, so erzählt er heute, fest entschlossen, bei der Präsidentschaftswahl zwischen den beiden Wahlgängen auszupacken und Jacques Chirac zu Fall zu bringen. Der Sozialist Lionel Jospin, der es im April 2002 nicht in die Stichwahl schaffte, stattdessen aber Jean-Marie Le Pen, haben damals Schullers Vorhaben zunichte gemacht.
Jacques Heyer, Genf
Während seiner langjährigen Abwesenheit musste der brave Parteisoldat Didier Schuller zusätzlich zu seinem nicht wirklich freiwilligen Exil, noch einen weiteren Schicksalsschlag verkraften.
Ende 1993, vor seiner Flucht, war im Räderwerk der Korruptionsmaschine der Chirac-Partei eine Panne aufgetreten. Der langjährige Schweizer Vertrauensmann Schullers und Chef der Züricher Treuhandfirma Treuco, Dr. Stüder, war verstorben und Schuller musste nach einer anderen Lösung suchen für seine eigenen Millionen und das Bargeld zur Finanzierung der RPR Partei.
Im Frühjahr 1994 hat ihm damals ausgerechnet Nicolas Sarkozy einen gewissen Jacques Heyer empfohlen, Vermögensverwalter mit Sitz in Genf und Inhaber der Firma Heyers Management SA. Nicolas Sarkozy kannte den Schweizer aus seiner Tätigkeit als Wirtschaftsanwalt seit 1987 – eine Tätigkeit, die Sarkozy noch bis 1993 ausüben sollte, obwohl er seit 1988 Abgeordneter im französischen Parlament war. Seine Tätigkeit bestand damals unter anderem darin, vermögende Franzosen dabei zu beraten, wie sie ihr Geld in die Schweiz bringen können. Einer von Sarkozys damaligen Kunden war Henri Lecomte, der Tennisstar.
Ruiniert
Didier Schuller hat 1994 Jacques Heyer, der damals im Bentley unterwegs war und in Champagner badete, wie knapp 200 andere, überwiegend französische Millionäre - darunter Altrocker Johny Halliday, Jean Paul Belmondo, Jean- Claude Killy oder eben der Tennisstar, Henri Lecomte - den Grossteil seines persönlichen Vermögens überlassen und auch die Weisswaschaktivitäten für die RPR Partei liefen ab da über Heyers Management SA. Drei Jahre später, 1997, musste Schuller aber in seinem unfreiwilligen Exil in Santo Domingo erfahren, dass er ebenso wie der vom Wirtschaftsanwalt Nicolas Sarkozy betreute Tennisstar, Henri Lecomte, keinen Centime mehr besass, weil Jacques Heyer mit windigen Anlagen in den USA und in Steuerparadiesen sein gesamtes Vermögen durchgebracht hatte. Heyer war zwar anschliessend, 2005, wegen Veruntreuung in Genf zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden, hat die Strafe aber nie abgesessen und ist seitdem in einer geschlossenen Villenanlage an der Côte d'Azur in der Nähe von Saint-Tropez untergetaucht, wo er gleich in zwei Clubs den Golfschläger schwingt und ein reichlich ungestörtes und diskretes Leben führt, jeden Kontakt mit der Presse tunlichst vermeidet.
Eine Name, den Sarkozy nicht hören will
Jacques Heyer ist ein Name, den Frankreichs Ex- Präsident, Nicolas Sarkozy, seit Jahren unter keinen Umständen mehr hören will, ein Name – so die Autoren von «French Corruption» - der für Frankreichs früheren Präsidenten radioaktiv sei.
Als der französische Untersuchungsrichter, Renauld van Ruymbeke, in den Jahren 2003 und 2005 Heyer gleich zwei Mal in einer anderen Affäre, in der es um Millionensummen von Bestechungsgeldern bei einem Waffengeschäft mit Taiwan ging, verhörte, weil er enge Beziehungen zwischen Heyer und dem künftigen französischen Staatspräsidenten vermutete, da betrachtete Nicolas Sarkozy dies offensichtlich als eine Art persönliche Kriegserklärung. Eingeweihte sagen seitdem, dies sei der eigentliche Grund gewesen, dass Sarkozy wenige Jahre später als Präsident im Rahmen einer Justizreform versucht habe, die Institution des Untersuchungsrichters schlicht und einfach abzuschaffen, was ihm letztlich aber nicht gelungen ist.
Sarkozy ist laut Quellen der Autoren von «French Connection» bei Heyer in Genf gesehen worden. Heyer hat Sarkozy in Paris noch aufgesucht, als der nach 1993 schon Budgetminister unter Premierminister Balladur war. Ein Zeuge erzählt, dass er Heyer ins Rathaus von Neuilly begleitet habe, weil der bei Sarkozy Bargeld abzuholen hatte. Und Didier Schuller erzählt nicht nur, wie er eines Tages dabei war, als Chirac vor 1995 im Pariser Rathaus Millionensummen an Bargeld, die Marseillaise pfeifend, in seinen Safe stopfte, sondern auch, wie sein Freund Balkany ihm einen mit 500 Francs Scheinen gefüllten Umschlag zeigte mit den Worten, der sei für Sarkozy. Frankreichs Ex- Präsident hat all diese und auch die noch folgenden Anschuldigungen über seinen Anwalt dementieren lassen.
Corum International Corp.
Denn «French Connection» enthält noch ein allerletztes, dunkles Kapitel, in dem Nicolas Sarkozy ebenfalls eine Rolle gespielt haben könnte. Sowohl der Genfer Richter, Marc Tappolet, der das Verfahren gegen Jacques Heyer leitete, als auch der französische Richter, Serge Portelli, der mit der Korruptionsaffäre rund um die Sozialwohnungsagentur im Département Hauts-de-Seine befasst war, sowie der frühere Verantwortliche der Antikorruptionsabteilung der Pariser Kriminalpolizei, Jean-Paul Philippe, bestätigten den Autoren, dass der Name Sarkozy im Lauf ihrer Untersuchungen allgegenwärtig war und er im Verdacht stand, hinter einer Firma in Panama zu stecken mit dem Namen „Corum International Corp“, welche ein Konto bei der Genfer Filiale der Cayman City Bank speiste, das von Jacques Heyer im Februar 1995 im Namen von Didier Schuller, aber ohne dessen Wissen und als Schuller bereits auf den Bahamas war, eröffnet wurde. Sein Namen : «Jungle»! «Corum International Corp» in Panama bestand seit1989, war jahrelang eingeschlafen und erst 1994 im Namen von Schuller, aber angeblich ebenfalls ohne dessen Wissen, wieder aktiviert worden. Der Genfer Untersuchungsrichter Marc Tappolet wird zitiert, wonach das Konto der Panama-Firma auch einem anderen Politiker, als Didier Schuller gedient haben könnte...
Die Autoren des Buchs, Gérard Davet und Fabrice Lhomme, haben keine formalen Beweise dafür, dass Ex-Präsident Nicoals Sarkozy damals wirklich hinter Corum International Corp. steckte und von dem Konto mit dem Namen «Jungle» in der Schweiz profitiert hat. Doch die Aussagen ihres Kronzeugen Didier Schuller und einer Reihe von anderen Akteuren in diesem heiklen Dossier liefern dafür zumindest eine ganze Reihe von Verdachtsmomenten.
Ob Nicolas Sarkozy sich nach der Veröffentlichung von «French Corruption» wirklich Sorgen machen muss, von der französischen Justiz belangt zu werden, scheint fraglich. Sein Intimfreund, Patrick Balkany, der nächstes Frühjahr noch einmal Bürgermeister von Levallois-Perret werden will und trotz allem heute immer noch Abgeordneter im französischen Parlament ist, dürfte mittelfristig einem Verfahren aber kaum entgehen können.
Gérard Davet / Fabrice Lhomme
«French Corruption»
Editions Stock, Oktober 2013