Präsident Macron kann jubilieren: Die überwiegend von ihm und von den Konservativen «Les Républicains» ernannten neun Mitglieder des französischen Verfassungsrats haben sein höchst umstrittenes Rentenreformgesetz in allen wichtigen Punkten abgesegnet. Ein Kommentar.
Die Entscheidung des Verfassungsrates ist ein Pyrrhussieg für Präsident Macron. Alle, die sagen, er habe gewonnen, täuschen sich wahrscheinlich gewaltig. Die Ressentiments und Frustrationen bei Millionen Franzosen sitzen tief und werden sich anderweitig einen Ausdruck verschaffen.
Die Worte von Regierungsseite nach der Entscheidung des Verfassungsrates klingen aber so, als habe es in Frankreich seit drei Monaten überhaupt keine Proteste gegeben, und manche Äusserungen aus Regierungskreisen sind eine einzige Provokation für die Millionen Franzosen, die nun seit Monaten gegen dieses Reformvorhaben auf den Beinen sind.
Der blasse, geschundene Arbeitsminister, der die drei Monate dauernden Auseinandersetzungen physisch und psychisch kaum überstanden hat und aussieht, als habe seine letzte Stunde geschlagen, twitterte: «Ich schätze mich glücklich angesichts der Entscheidung des Verfassungsrates. Sie markiert das Ende des gesetzgeberischen und demokratischen Parcours dieses Gesetzes, nach monatelangen Konsultationen und Debatten im Parlament.»
Auch dies eine Provokation angesichts der Tatsache, dass es Konsultationen nur pro forma gab und keinerlei echte und ehrliche Verhandlungen und dass die Debatten im Parlament in ihrer Dauer extrem eingeschränkt wurden.
Premierministerin Borne sagte, es gäbe an diesem Abend weder Gewinner noch Verlierer. Das klingt schön und vermittelnd, doch leider stimmt es nicht und bleibt eine Aussage, die von den Gegnern nur mit Sarkasmus beantwortet werden kann.
Präsident und Regierung tun zur Stunde so, als könnten sie einfach wieder zur Tagesordnung übergehen, als wäre ein ganz normaler sozialer Dialog schon nächste Woche wieder möglich.
Höflich, aber bestimmt meinten die Gewerkschaften, es sei eine Frage des Takts und des Anstands, eine gewisse Zeit vergehen zu lassen, bevor man sinnvoll wieder miteinander reden könne.
Präsident Macron aber besass die Unverfrorenheit, gestern, zwei Stunden vor der Entscheidung des Verfassungsrats, die Gewerkschaften für nächsten Dienstag in den Elysée zu laden, nachdem er drei Monate lang nichts mit ihnen zu tun haben wollte und Forderungen der Arbeitnehmerverbände nach einem dringenden Treffen einfach vom Tisch gewischt hatte. Nun will er mit ihnen über das Thema Arbeit im Allgemeinen diskutieren – und natürlich nicht über die umstrittene Rentenreform.
Wie, bitteschön, sollen die Gewerkschaften und die Gegner dieser Reform dies anders empfinden als eine weitere Provokation? Niemand ist erstaunt, dass die Einheitsfront der acht Gewerkschaften diese Einladung des Präsidenten gestern postwendend abgelehnt hat.
Bezeichnend: Marine Le Pen und ihre Partei «Rassemblement National», die sich in den letzten drei Monaten zu der politischen und sozialen Krise rund um diese Rentenreform nur ganz selten geäussert hatten, strahlten gestern Abend regelrecht und Marine Le Pen sagte, um aus dieser Krise wieder herauszukommen, müsse man eben in vier Jahren, bei den nächsten Präsidentschaftswahlen, an den Urnen für eine klare Veränderung sorgen.
Laut der letzten Meinungsumfragen hat sie während dieser Krise kräftig, nämlich um rund sieben Prozent, zugelegt, und dies, ohne den kleinen Finger zu rühren.
All die Frustrierten, die nach dieser verunglückten Rentenreform ihre Wut hinunterschlucken müssen, versprechen für die politische Zukunft Frankreichs nichts Gutes.