Zusätzlich zur Krisensituation im Herbst hatte Nicolas Sarkozy durch die seit 5 Monaten angekündigte, sich quälend hinziehende Regierungsumbildung selbst noch zusätzlich für Instabilität gesorgt - auch in seinem eigenen politischen Lager und viele seiner Parteifreunde gründlich vergrault. Am Ende musste er mit Francois Fillon sogar einen Premierminister wieder ernennen, den er eigentlich nicht mehr haben wollte und die Führung seiner UMP Partei einem überlassen, den er wahrlich nicht ins Herz geschlossen hat: Jean-François Coppé, ein hungrigrer Newcomer mit langen Zähnen, der unumwunden zu verstehen gibt, dass er Nicolas Sarkozy beerben will - spätestens 2017.
Und dann sind da auch noch die Bettencourt- und die Karachi-Affäre ,die Sarkozy gefährlich nahe rücken und das seit Monaten andauernde Umfragetief von nur 24 bis 30 Prozent Zustimmung . Noch schwerer angeschlagen kann ein französischer Präsident eigentlich kaum sein.
Der versöhnliche Schein war trügerisch
Doch Frankreichs Sozialisten nützt dies denkbar wenig. Gewiss - Meinungsforschungsinstitute, die so tun, als wäre bereits 2012 und Präsidentschaftswahlkampf, schmeicheln ihnen: Ob Parteichefin Martine Aubry oder der im fernen Washington weilende Präsident des Internationalen Währungsfonds ( IWF) , Dominique Strauss- Kahn, als Kandidatin oder Kandidat -beide würden sie Nicolas Sarkozy schlagen, die eine etwas knapper, der andere sehr deutlich – zuletzt sogar mit 59 gegen 41 Prozent. Doch jeder im Land weiss: 17 Monate vor dem Wahltermin wollen derartige Meinungsumfragen überhaupt nichts heissen.
Monatelang schien es immerhin so, als hätten sich die Wellen innerhalb der lange hoffnungslos gespaltenen Sozialistischen Partei Frankreichs ein wenig geglättet, als wäre Wadenbeissen und Messerstechen untereinander nicht mehr die Hauptbeschäftigung in den Führungsetagen des angestaubten Parteisitzes der PS neben dem Pariser Orsay Museum. Der katastrophale Parteitag von Reims vor zwei Jahren , auf dem man keine gemeinsame Linie finden konnte, ohne Perspektive und ohne Chef da stand , schien ebenso der Vergangenheit anzugehören, wie die noch katastrophalere Wahl der Parteichefin durch die Miitglieder der PS Ende November 2008.
Daraus war Martine Aubry mit gerade mal 42 Stimmen Vorsprung als Siegerin über Segolene Royal hervorgegangen. Hinterher hatten sich die gegnerischen Lager tagelang des Wahlbetrugs bezichtigt und standen sogar knapp davor, die Gerichte zu bemühen. Seitdem war der gegenseitige Hass mancher Protagonisten zumindest an der Oberfläche nicht mehr sichtbar, die Egos der einen und anderen waren ein wenig zurechtgestutzt worden.
Und doch: die Partei, die sich auf das Erbe eines Jean Jaurès, Léon Blum und François Mitterrand beruft, war auch so schon immer noch weit entfernt von einem Zustand, angesichts dessen man hätte sagen können: Nicolas Sarkozy muss sich ernsthafte Sorgen machen, im Mai 2012 wieder gewählt zu werden.
Segolène Royal kann es nicht lassen
Zu allem Überfluss hat jetzt aber auch noch Ségolène Royal, die sozialistische Präsidentschaftskandidatin 2007, erneut zugeschlagen . Da hatte die Partei zumindest einen Zeitplan mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen im Mai 2012 erarbeitet und beschlossen, sich bis zum Frühjahr 2011 vor allem um Inhalte zu kümmern, anschliessend sollte die Periode der offenen Vorwahlen beginnen. Vorwahlen, bei denen - ähnlich wie es die Linke in Italien vorexerziert hatte - nicht nur PS Mitglieder sondern Sympathisanten der Linken im weitesten Sinn an die Urnen gehen sollen. Im Juni 2011 sollte die Kandidatenliste geschlossen werden, Ende Oktober dann die Vorwahl stattfinden, um den sozialistischen Kandidaten oder die Kandidatin zu küren.
Segolène Royal hat dieses Szenario nun von einem Tag auf den anderen über den Haufen geworfen und urplötzlich ihre Kandidatur für die Vorwahlen angekündigt. Die Jeanne d’Arc der Sozialisten, die madonnenhaft, wie mit einem Heiligenschein daherwandelt im Licht der Fernsehkameras, die sie geradezu magnetisch anzieht, um mit monoton singender Stimme dieselben Parolen wie vor vier Jahren zu verkünden, sie hat ihrer Partei, von der sie sich so weit wie möglich fern hält, erneut einen heftigen Tritt ans Schienbein versetzt und vielleicht der gesamten französischen Linken einen Bärendienst erwiesen.
Bleibt es beim Vorwahltermin Ende Oktober 2011, wird die PS erneut ein ganzes Jahr lang diesen sinnlosen, unproduktiven Sport betreiben, sich über Personalfragen in den Medien zu zerfetzen, Themen und Inhalte werden weitgehend auf der Strecke bleiben. Madame Royal tut auch heute noch so, als habe sie vor dreieinhalb Jahren gegen Nicolas Sarkozy nicht glasklar verloren. Diese Niederlage hat sie schlicht nie eingestanden. Bis heute unvergessen sind die Bilder, als Segolène Royal in der Nacht - nachdem Nicolas Sarkozy im Nobelrestaurant " Le Fouquets " seine inzwischen berühmte Siegesfeier mit den Vetretern des Grosskapitals abgehalten hatte - sich auf dem Dach des Parteisitzes der PS feiern und filmen liess, als hätte sie und nicht ihr Gegner die Wahl gewonnen und sie kein einziges Wort fand, um ihre Niederlage einzugestehen.
Das Trauma der Sozialisten
Es ist, als hätten Frankreichs Sozialisten das Trauma des 21. April 2002, acht Jahre danach, immer noch nicht verdaut. Damals landete Lionel Jospin bei der Präsidentschaftswahl im 1. Durchgang mit gerade mal 16 Prozent hinter dem rechtsextremen Jean Marie Le Pen und kam nicht in die Stichwahl gegen Jacques Chirac. Jospin war nach einer niemandem verständlichen Auflösung des Parlaments durch Jacques Chirac 1997 und den von den Sozialisten gewonnenen Parlamentswahlen 5 Jahre lang Premierminister in der „ Cohabitation“ mit dem konservativen Präsidenten gewesen und hatte eine Regierung, die man damals nicht unbegründet als Dream Team bezeichnete: Dominique Strauss Kahn, ein anerkannter Wirtschaftsspezialist, war Finanzminister, Jean-Pierre Chevènement ein souveräner Innenminister, Elizabeth Guigou eine exzellente Justizministerin. Martine Aubry als Arbeits- und Sozialministerin galt als jemand, der seine Dossiers kannte, wie kaum ein anderer. Und Lionel Jospin war ein Regierungschef, der, vor allem im Vergleich zu heutigen Zeiten und Skandalen , auch moralisch unantastbar blieb, Aufrichtigkeit und relative Bescheidenheit glaubhaft verkörpern konnte. Er hatte 2002, nach 5 Jahren Amtszeit mit seinem Kabinet eine Bilanz vorzuweisen, die sich durchaus sehen lassen konnte.
Und doch hat Jospin die Präsidentschaftswahl haushoch verloren. Die sozialistische Partei aber hat sich danach nie wirklich die Frage gestellt, wie es zu dieser katastrophalen Niederlage kommen konnte und bis heute so gut wie keine Selbstkritik geübt. Nur ein Beispiel: Niemals wurde öffentlich diskutiert, ob die 35 Stunden Woche nicht ein Grund für die Wahlschlappe war. Die Regierung Jospin hatte sie durchgeboxt und als grossen sozialen Fortschritt verkauft. Sie hatte aber letztlich zur Folge, dass die so genannten kleinen Leute immer weniger Geld in der Tasche hatten, die Arbeitszeitverkürzungen für viele so organisiert waren, dass sie im Alltag keine zusätzliche Lebensqualität brachten und plötzlich, 2002, die rechtsextreme Nationale Front zur ersten Arbeiterpartei Frankreichs geworden war: 30 Prozent der Arbeiter und 38 Prozent der Arbeitslosen hatten für Le Pen gestimmt. Dies hätte der PS zu denken geben müsse, wäre eine Analyse wert gewesen, doch nichts geschah.
Inhalte - eine Fehlanzeige
Acht Jahre sind seit damals vergangen - doch Frankreichs Sozialisten haben immer noch nicht wirklich begonnen, ihre Hausaufgaben zu machen. Dementsprechend sind sie auch Ende 2010 immer noch nicht in der Lage, zu grossen gesellschaftlichen Themen und Problemen eine einigermassen kohärente Position zu vertreten. Hätte es noch eine Beweises dafür bedurft, die Debatten über die Rentenreform haben ihn geliefert.
Seit eineinhalb Jahren war klar gewesen , dass das Rentenreformgesetz ins Parlament kommen wird, doch die Sozialistische Partei war weder in der Lage, eine einheitliche Position zu vertreten , noch – was für eine Partei, die 2012 den Präsidenten oder die Präsidentin stellen will , unerlässlich schien - ein eigenes Reformprojekt vorzulegen. Die PS hat kaum mehr getan, als wie ein Trittbrettfahrer auf der Welle des Protestes mit zu schwimmen. Parteichefin Aubry selbst hatte vor Monaten noch geäussert, man komme an einer Erhöhung des Renteneintrittsalters nicht vorbei.
Doch als die Proteste begonnen hatten, klang das plötzlich ganz anders: „Wenn wir an die Macht kommen, werden wir die Rente mit 60 wieder einführen.“ Geglaubt hat ihr dies kaum jemand. Im Mai 2012, bei den nächsten Präsidentschaftswahlen, wird es zehn Jahre her sein, dass Frankreichs Sozialisten ihr Führungsproblem nicht gelöst haben und auch nicht in der Lage sind, zwei oder drei zugkräftige Themen auf ihr Banner zu schreiben, die sie auch glaubhaft vertreten könnten. Themen, die etwa für die demokratische Erneuerung des Landes unerlässlich wären und die man sich von einer linken Partei in Frankreich geradezu erwarten muss.
Mögliche Themen - zum Beipiel Ämterhäufung
Da wäre zum Beispiel das längst überfällige Signal, endlich Schluss zu machen mit der französischen Besonderheit der Ämterhäufung, die unter anderem für den Nachwuchs des politischen Personals im Land eine Katastrophe ist - wenn ein und dieselbe Person Abgeordneter in der Nationalversammlung, Bürgermeister einer mittelgrossen Stadt und vielleicht auch noch Präsident des Departementsrates ist , bleibt für hoffnungsvollen politischen Nachwuchs einfach kein Platz . Ganz zu schweigen davon, dass es gegenüber den Bürgern nicht sonderlich glaubwürdig ist, vorzugeben, man könne 3 Jobs gleichzeitig machen. Wie jetzt Alain Juppé, der Verteidigungsminister wurde und gleichzeitig Bürgermeister von Bordeaux, einer der wichtigsten französischen Städte bleibt. Oder der Staatssekretär für Gebietskörperschaften, der weiterhin Präsident der Region Elsass und Abgeordneter im Senat ist.
Oder Verfassungsreform
Da wäre auch die Frage einer tiefgehenden Reform der französischen Verfassung , die vor über einem halben Jahrhundert auf einen Mann und auf eine besondere historische Situation zugeschnitten war: De Gaulle war zurückgekommen und es herrschte Krieg in Algerien. Die Allmacht eines französischen Präsidenten, der sich 5 Jahre vor niemandem zu verantworten hat und der nicht wie in den USA mit einem mächtigen Senat konfrontiert ist oder ein Impeachementverfahren zu fürchten hat, ist in einer modernen Demokratie schlicht nicht mehr tragbar.
Ganz zu schweigen von dem eigentlich skandalösen Artikel 16 der Verfassung , der dem Präsidenten in Krisensituationen quasi diktatorische Vollmachten verleiht. Doch Frankreichs Sozialisten scheinen es auch 3 Jahrzehnte später immer noch mit Francois Mitterrad zu halten. Der hatte die Verfassung der 5. Republik einst, Anfang der sechziger Jahre, als permanenten Staatsstreich bezeichnet, sich 20 Jahre später aber, als er 1981 selbst an die Macht kam, ins gemachte Bett gelegt und sich dort sichtlich wohl gefühlt.
Oder die Frage von Koalitionen
Und schliesslich, wenn Frankreichs Sozialisten, die im besten Fall fûr 25 Prozent der Stimmen gut sind, wirklich die Macht wollen, kommen sie nicht daran vorbei, die Frage von Koalitionen zu klären. Sie könnten erklären: wenn ein Sozialist oder eine Sozialistin Präsident wird, werden wir bei den anschliessenden Parlamentswahlen mit den Grünen oder mit der Zentrumspartei eine Mehrheit bilden, Vertreter dieser Parteien werden im Kabinett sitzen und auf der Basis eines Grundkonsens werden werden wir dieses oder jenes grosse Projekt gemeinsam angehen. Der Grüne , Daniel Cohn–Bendit hatte dies vor einigen Monaten vehement gefordert, doch er wirkte wie ein einsamer Rufer in der Wüste und die PS stellte sich taub.
Kein Wille zur Macht?
Die Partei wirkt heute gründlich verrostet, kopflos und so, als würde sie im besten Fall noch darauf hoffen, dass Dominique Strauss Kahn, mit wirtschaftlichem Sachverstand und internationalem Flair am Ende das Wunder schon vollbringen und als Retter auftreten wird. Aber manchmal, ja sogar eher häufig , überwiegt der Eindruck, Frankreichs Sozialisten seien mit ihrer derzeitigen Situation im Grunde ganz zufrieden und sie wollten die wirkliche Macht, die auf nationaler Ebene, den Elyseepalast und das Hôtel Matignon in Paris, eigentlich gar nicht erobern.
Sie beherrschen die Rathäuser in zwei Dritteln der mittleren und grossen Städte des Landes, mehr als die Hälfte der 95 Departements und, mit Ausnahme des Elsass, sämtliche Regionen. Frankreichs Sozialisten am Ende des Jahres 2010? Provinzbarone und Baronessen, die sich in dieser Rolle recht wohl fühlen. Segolène Royal, als Präsidentin der Region Poitou-Charentes , ist dafür ein Beispiel. Und man ist versucht, Ihr zuzurufen: Lass’ es dabei, gib’ Ruhe und raub’ mit dieser verfrühten Ankündigung, für die Präsidentschaftskandidatur konkurrieren zu wollen, der sozialistischen Partei auf nationaler Ebene nicht die letzten Chancen.
Doch es ist wohl sinnlos und schon zu spät. Bei Frankreichs Sozialisten scheint, mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2012, die Verlierermaschine, wie man hierzulande sagt , „la machine à perdre“, bereits auf Hochtouren zu laufen.