Ein sozialistischer Präsident hat nach 4 ½ Jahren Amtszeit ausgespielt, musste sang- und klanglos abtreten und sich eingestehen, dass ein erneutes Antreten bei der kommenden Präsidentschaftswahl für ihn hätte unendlich peinlich werden können, standen die Chancen doch nicht schlecht, dass François Hollande nicht einmal die Vorwahlen der Sozialisten gewinnen würde.
Normal
Gegen Ende seiner turbulenten Amtszeit scheint Hollande plötzlich wieder der „normale Präsident“ geworden zu sein, als der er bei Amtsantritt vorgab, amtieren zu wollen. Ein normaler Präsident, der schlicht und einfach einsehen musste, dass ihm im eigenen Lager inzwischen die Unterstützung fehlt und es keinen Sinn mehr hat, es mit dem Präsidentensein noch einmal zu versuchen. Entsprechend sperrte Hollande sein Ego doch tatsächlich in den Keller und verzichtete – ganz normal – auf eine erneute Kandidatur. 82 Prozent der Franzosen fanden das gut – das beste Umfrageergebnis für den französischen Präsidenten seit 56 Monaten.
Prompt überschlug sich nach seinem Verzicht eine ganze Meute von Heuchlern aller politischen Couleur und attestierte dem Noch- Präsidenten eine gewisse Eleganz und Klasse für seine Art des Abgangs.
Auch sein ehemaliger Premierminister, Manuel Valls, der Hollande ziemlich ungeschminkt zum Rückzug gedrängt hatte, betätigte sich nur wenige Tage später bei der offiziellen Bekanntgabe seiner eigenen Präsidentschaftskandidatur als perfekter Stiefelwichser und überhäufte den nicht mehr kandidierenden Präsidenten mit Lorbeeren .
Eine Fussballmannschaft von Bewerbern
Staatspräsident Hollande, der einst über ein Jahrzehnt lang Generalsekretär der Sozialistischen Partei gewesen war, kann sich nun in aller Seelenruhe den Scherbenhaufen seiner Partei ansehen, die der Depression verfallen und in eine Art Dornröschenschlaf versunken ist. Die einst „grosse Volkspartei“ PS hat gerade noch 42‘000 zahlende Mitglieder, dafür aber Zehntausende Karteileichen.
Und die sozialistischen Vorwahlen zur Kür eines Präsidentschaftskandidaten verkommen langsam zu einem Gaudi. François Hollande könnte mittlerweile, würde er dabei mitmachen, mit den anderen Kandidaten eine komplette Fussballmannschaft auf die Beine stellen und sich ins gemeinsame sozialistische Hauen und Stechen stürzen.
Schmunzeln und weinen
Fast täglich taucht ein neuer Kandidat für diese Vorwahlen aus der Versenkung auf. An diesem Wochenende werden es dann insgesamt deren zehn sein. Vincent Peillon zum Beispiel, zu Beginn der Präsidentschaft Hollandes zwei Jahre lang Bildungsminister und seitdem von der Bildfläche verschwunden, will jetzt ebenfalls aufzeigen. Er unterrichtet seit 2014 an der Universität Neuchâtel Philosophie, hat sich ansonsten auf das Schreiben von Kriminalromanen verlegt und ist ganz nebenbei, sozusagen zur persönlichern Absicherung, auch noch Europa-Abgeordneter, lässt sich in Brüssel oder Strassburg aber so gut wie nie sehen.
Nach und nach wird es immer unwahrscheinlicher, dass die potentiellen Wähler diese Vorwahlen am 22. und 29. Januar überhaupt noch ernst nehmen. Vorwahlen seien schliesslich kein Parteikongress, witzelte es dieser Tage angesichts der Kandidatenflut. In der Tat darf derzeit viel geschmunzelt werden über Frankreichs Sozialisten und ihren Zustand, so mancher der noch verbliebenen Aktiven in der Partei weint angesichts der Endzeitstimmung aber auch bittere Tränen.
Rückblick auf 2006 und 2011
Bei den Vorwahlen zur Kür des sozialistischen Präsidentschaftskandidaten vor 10 Jahren waren es ganze drei Bewerber gewesen und Segolène Royal gewann damals gleich im ersten Durchgang mit über 60 Prozent der Stimmen. 2011 gab es dann sechs Kandidaten und von allen Seiten gerühmte, hochwertige Debatten – im zweiten Durchgang siegte François Hollande bei einer Wahlbeteiligung von 2,8 Millionen Bürgern mit 57 Prozent der Stimmen gegen Martine Aubry.
Die nach wie vor einflussreiche Aubry, Tochter des langjährigen EU- Kommissionspräsidenten Jacques Delors, hat sich seitdem in ihre nordfranzösische Festung Lille zurückgezogen und schmollt. Aus ihrem Rathaus zu Lille schiesst sie regelmässig mit Giftpfeilen gegen die eigenen Genossen und verkündet unmissverständlich, dass keiner der Kandidaten für die Vorwahlen ihr Wohlgefallen findet. Selbst will sie sich aber die Hände nicht schmutzig machen und drückt sich, wie einst ihr Vater, um jede eigene Kandidatur.
Schwierige Motivation
Vor fünf Jahren waren diese Vorwahlen der Sozialisten noch ein Weg gewesen, um der Linken in Frankreich die notwendige, zumindest vordergründige Geschlossenheit zu verleihen. Ihr respektabler Verlauf war mit ein Grund für den späteren Sieg von François Hollande bei den Präsidentschaftswahlen. Heute sieht es so aus, als würden diese Vorwahlen die Partei nur noch weiter zerreissen, als es ohnehin schon der Fall ist.
Zumal es ihnen diesmal schlicht an Glaubwürdigkeit mangelt, nicht nur wegen der inflationären Zahl von Kandidaten. Es bleiben aufgrund des langen Zögerns von Präsident Hollande, ob er nun noch einmal antreten wollte oder nicht, für die öffentlichen Konfrontationen der Persönlichkeiten und Programme gerade noch sechs Wochen Zeit, Weihnachtspause inbegriffen
Wer bringt es auf Platz drei?
Das Schlimmste bei diesen Vorwahlen ist aber die Tatsache, dass wer auch immer bei der Stichwahl am 29. Januar am Ende die Nase vorne haben wird, heute schon eines mit Sicherheit weiss: Er wird nichts daran ändern können, dass sich bei der eigentlichen Präsidentschaftswahl im entscheidenden zweiten Durchgang Anfang Mai im Rennen um den Elyséepalast der erzkonservative François Fillon und die ultrarechte Marine Le Pen gegenüberstehen werden . Wahrlich nicht sehr motivierend für einen enthusiastischen Vorwahlkampf.
Dabei darf sich der offizielle Präsidentschaftskandidat der Sozialisten sogar nicht einmal sicher sein, im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen an dritter Stelle zu landen. Sowohl der Volkstribun und Chef der Linkspartei, Jean Luc Melenchon, als auch der wirtschaftsliberale Ex-Banker und Ex-Wirtschaftsminister, Emmanuel Macron, könnten den sozialistischen Kandidaten sogar von Platz 3 verdrängen. Somit geht es bei diesen kommenden Präsidentschaftswahlen auch um die Vorherrschaft auf der Linken schlechthin.
Frankreichs Sozialisten hatten sie 1978 erstmals von der damals noch starken Kommunistischen Partei übernommen. Mittlerweile ist die 1971 von Mitterrand neu gegründete Sozialistische Partei aber derart angeschlagen und verkrustet, dass sie diese Vorherrschaft kommenden April nach knapp vier Jahrzehnten tatsächlich wieder verlieren könnte.