Und selbst Teile von Radio und Fernsehen sind im Visier des Grosskapitals.
Frankreich rangiert, was die Pressefreiheit angeht, auf einer Liste mit 180 Ländern der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ 2015 nur noch auf Rang 38 - und das ist kein Zufall. 2004 nahm das Land noch Position 15 ein. Frankreichs Presselandschaft steht an einem geradezu historischen Umbruch, ein Zyklus, der rund 70 Jahre gedauert hat, geht ganz offensichtlich zu Ende. Wirklich unabhängige Medien kann man an einer Hand abzählen.
Macht des grossen Geldes
Der „Nationale Rat des Widerstandes“ hatte es ab 1943 geschafft, nicht nur die Aktionen der verschiedenen, oft verfeindeten französischen Widerstandsgruppen zu koordinieren, sondern noch vor Ende des Kriegs auch eine Art Grundsatzprogramm für den Wiederaufbau des Landes und für eine neue, bessere Gesellschaft auszuarbeiten und zu verabschieden. Darin hiess es unter anderem: „Die Pressefreiheit, ihre Ehre und Unabhängigkeit sind zu gewährleisten, gegenüber dem Staat, den Geldmächten und gegenüber Einflüssen aus dem Ausland.“
Die im Herbst 1944 neu gegründete Tageszeitung „Le Monde“ setzte diese Maxime damals beispielhaft um, mit einem Geschäftsmodell, in dem die Mehrheit des Kapitals danach Jahrzehnte lang bei den Redaktoren lag. Hubert Beuve-Meury, der legendäre Gründer von „Le Monde“ sagte es später so: „Ich wollte eine Zeitung machen, die niemandem etwas schuldet, nicht dem Staat, nicht der Macht des grossen Geldes und auch nicht anderen Mächten, etwa den Kirchen oder den Gewerkschaften. Wirklich eine Zeitung, die nicht die Spur einer Fessel am Fuss hat.“
Mobilfunk und Telekom
Heute gehört „Le Monde“ dem Milliardär und Chef des Mobilfunknetzes Free, Xavier Niel, dem ehemaligen Topmanager der Geschäftsbank Lazare, Matthieu Pigasse und dem steinreichen, ehemaligen Lebensgefährten von Yves Saint Laurent, Pierre Bergé. Das Trio hatte sich bei der Übernahme von „Le Monde“ auch noch die Wochenzeitungen „Télérama“ und „Courrier International“ unter den Nagel gerissen und jüngst auch noch das legendäre Wochenmagazin „Le Nouvel Observateur“ erworben, einst – als es noch „France Observateur“ hiess - die Speerspitze der Linken gegen den Algerienkrieg, gemeinsam mit der anderen grossen Wochenzeitung, „L'Express“, in der einst Schriftsteller wie François Mauriac, Albert Camus oder Jean-Paul Sartre, regelmässig oder sporadisch Texte veröffentlichten.
„L'Express“ ist heute in den Händen des neuen Haifisches in der französischen Kapitallandschaft, Patrick Drahi, ein franko-israelischer Geschäftsmann, der in Genf zu Hause ist und seine Holding „Altice“ in Amsterdam angesiedelt hat. Der Mann, der bis vor zwei Jahren als Chef des Internetanbieters „Numéricable“ in Frankreich der grossen Öffentlichkeit noch völlig unbekannt war, hat jüngst in einem Rundumschlag das französische Mobilfunkunternehmen SFR aufgekauft, kurz später die Nummer 7 und jüngst die Nummer 4 auf dem amerikanischen Kabelmarkt und ganz nebenbei auch noch für über 7 Milliarden die portugiesische Telekom.
Und wie sich Frankreichs Grossindustrielle um 1900 gerne Schauspielerinnen oder Tänzerinnen als Maitressen hielten, fischte sich Patrick Drahi neben „L'Express“ noch die einst von Jean-Paul Sartre und Serge July gegründete Tageszeitung „Libération“. Und weil das noch nicht reicht, hat der neue Top-Player im Telekomsektor auch noch knapp 50% des Kapitals des wichtigsten Info-Fernsehens „BFM-TV“ und der parallel dazu funktionierenden Radiostation „RMC“ erworben.
Luxusindustrie
Das dritte grosse Wochenmagazin Frankreichs, „Le Point“ gehört übrigens bereits seit Jahren schon dem Chirac-Freund und Chef von Printemps und Gucci und einer Handvoll anderer Luxusmarken, François Pinault. Da durfte natürlich dessen Konkurrent und Intimfeind, Frankreichs mittlerweile reichster Mann, Bernard Arnault (LVMH), Trauzeuge bei Nicolas Sarkozys zweiter Eheschliessung, nicht nachstehen. Unmittelbar nach Sarkozys Wahlsieg 2007 hatte er sich die Wirtschaftstageszeitung „Les Echos“ zugelegt und dafür gesorgt, dass die Konkurrentin „La Tribune“ ihren Betrieb einstellen musste. Nun, vor Sarkozys Versuch, 2017 noch einmal Präsident werden zu wollen, steht der Luxusgütermogul Arnault angeblich knapp davor, das Traditionsblatt „Le Parisien/Aujourd'hui“ aufzukaufen, die Tageszeitung der Unterschicht, die in praktisch jedem Bistrot ausliegt und von Hand zu Hand geht.
Rüstungsindustrie
Was der Luxus kann, können Jagdbomber und Waffen allemal. Serge Dassault, der mittlerweile fast 90-jährige Chef des Flugzeugimperiums mit der berühmten „Raffalle“ im Angebot, dem Kampfflugzeug, das zwei Jahrzehnte lang ausser der französischen Armee niemand haben wollte - Dassault hat sich vor über zehn Jahren das konservative Traditionsblatt „Le Figaro“ zugelegt und es streng auf Linie gebracht.
Ein anderer französischer Rüstungsindustrieller verfügt über eine noch breiter gefächerte Palette im Mediensektor: Arnaud Lagardère, von dem Sarkozy einmal sagte, er sei für ihn wie ein Bruder, besitzt die grosse Radiostation „Europe 1“, das Traditionsmagazin „Paris Match“ und die einflussreiche Wochenzeitung „Journal du Dimanche“.
Noch ein Freund
Ein Konzernboss hat in den letzten Wochen und Monaten aber richtiggehend den Vogel abgeschossen beim skrupellosen Zugreifen auf ein Medium. Vincent Bolloré heisst er. Er hat sich im letzten Jahrzehnt einen Mischkonzern zusammengekauft, macht in Elektroautos, hat die Hoheit über zahlreiche afrikanische Häfen, baut dort jetzt auch Eisenbahnstrecken und hat sich jüngst den Musik- und Medienkonzern Vivendi einverleibt. Zu Vivendi gehört das populäre Pay-TV Canal Plus. Und dort hat er aufgeräumt, brutal und rücksichtslos.
Die legendären "Guignols", die Muppet-Show, die seit zwei Jahrzehnten Frankreichs Politik und Gesellschaft ganz einzigartig durch den Kakao zog, ist vom 20 Uhr-Termin auf später verbannt, nur noch für Abonnenten zu sehen, und das Team, das die Sketche schrieb, wurde in die Wüste geschickt, genau so, wie die gesamte Hierarchie. Auch die Chefin des zweitwichtigsten französischen Info-TVs, "i-Télé", das zur Gruppe Canal Plus gehört, wurde entlassen. Ersetzt wurde sie durch einen Journalisten, der dem erzkatholischen Milieu nahe steht, das etwa gegen die Homoehe mobilisiert hatte. Und in nicht mal vier Wochen hat der smarte Boss bereits zwei Dokumentarfilme aus dem Programm nehmen lassen - sie beschäftigten sich mit irgendwelchen Geschäftsfreunden und entsprachen nicht seinen Interessen.
Dieser Mann gehörte am 6. Mai 2007 zu den illustren, streng ausgewählten, Milliarden schweren Gästen, die mit Nicolas Sarkozy im Nobelrestaurant "Fouquet's " auf den Champs-Elysées seinen Wahlsieg gefeiert hatten. Danach hat Vincent Bolloré dem frisch gewählten Präsidenten seinen Privatjet und seine Yacht zur Verfügung gestellt, damit er ein paar Tage im Mittelmeer herumtümpeln konnte.
Ach ja, man hätte es fast vergessen: Europas grösste Fernsehanstalt, TF 1, gehört selbstverständlich auch einem Sarkozy-Freund, dem Taufpaten seines Sohnes Louis, seines Zeichens einer der grössten Baulöwen Europas: Martin Bouygues. Mit anderen Worten: Inzwischen liegt Sarkdozy fast die gesamte Medienlandschaft des Landes regelrecht zu Füssen. Sie würde ihm helfen, 2017 an die Macht zurückzukehren.
Letzte Mohikaner
Was bleibt noch an wirklich unabhängigen Medien im Land der grossen Revolution und der Menschenrechte? Das öffentlich-rechtliche Fernsehen und „Radio France“, über deren Unabhängigkeit sich natürlich auch streiten lässt. Der absolut dominierende ökonomische Diskurs z.B. wird sowohl beim Radio „France Inter“, als auch bei der Fernsehstation „France 2“ seit Jahren schon ganz eindeutig von engagierten Vertretern des Wirtschaftsliberalismus geprägt.
Und in der Zeitungslandschaft bleiben nur noch drei Ausnahmen, die nicht am Gängelband irgendwelcher Mächte aus der Finanz oder der Industrie hängen. Zum einen die auflagenstärkste französische Tageszeitung „Ouest-France“, zum anderen die katholische Tageszeitung „La Croix“, die seit 1880 denselben Kapitaleigner hat und, bei einer Auflage von rund 100‘000, in den letzten Krisenjahren der Presse als einziges Blatt in Frankreich sogar Leser hinzugewinnen konnte.
Und schliesslich, natürlich, das Phänomen „Canard Enchainé“: Seit 1916 liegt das Kapital der grossformatigen, achtseitigen, nur schwarz- und rotfarbigen Wochenzeitung mit giftigen Karikaturen und bissigen Texten hauptsächlich in Händen der Redaktion, was jede Art von Übernahme unmöglich macht. Ohne eine Zeile Werbung während eines ganzen Jahrhunderts und bei einer momentanen Auflage von rund 450‘000 hat das am Mittwoch erscheinende satirische Wochenblatt Rücklagen von sage und schreibe 120 Millionen Euro angehäuft - eine satte Grundlage für die absolute Unabhängigkeit und Respektlosigkeit, mit der der „Canard“ Woche für Woche gegenüber politisch oder ökonomisch Mächtigen agiert, streng nach dem Motto, das seit jeher auf der Seite 8 ganz oben zu finden ist: „Pressefreiheit nutzt sich nur ab, wenn man sich ihrer nicht bedient“.