Es war ein Wahlversprechen des sozialistischen Präsidentschaftskandidaten François Hollande: eine Reichensteuer von 75 % einzuführen für Einkünfte, die über einer Million Euro jährlich liegen – unter dem Motto: Mehr Gerechtigkeit und gerechtere Verteilung der Lasten bei den zu bringenden Opfern. So soll das französische Haushaltsdefizit bis Ende 2013 auf 3 % beschränkt und bis 2017 ein strukturelles Defizit von nicht mehr als 0,5 % erreicht werden.
Unter Frankreichs Kapitalkräftigen, in der Finanzwelt und in der Arbeitgeberschaft begann es bereits vor dem Sommer kräftig zu rumoren. Die zumeist hirnlosen Fussballstars und ihre halbmafiösen Agenten schrien erschreckt auf. Auch die eine oder andere Grösse aus dem Showbusiness artikulierte Empörung - etwa Françoise Hardy, Paradebeispiel einer Kaviar-Linken. Auch eine Heerschar von Lobbyisten machte sich den Sommer über daran, die angekündigte Massnahme in den Details so weit wie möglich auszuhöhlen. Anfang September wollten die Medien bereits wissen, dass der Präsident bei der Reichensteuer einbrechen werde – doch sie sollten sich täuschen.
Der reichste Franzose will Belgier werden
François Hollande blieb hart. Dies fiel ihm letztendlich umso leichter, als der reichste aller Franzosen ihm dabei unfreiwillig und tollpatschig half.
Als der Präsident nach der Sommerpause, die ihm nicht gut bekommen war und nach der er sich den Vorwurf gefallen lassen musste, angesichts der Krise, der Fabrikschliessungen und der anstehenden Sozialpläne nicht reaktiv genug zu sein und die Franzosen über seinen Kurs im Unklaren zu lassen – als er sich also anschickte, sich per Fernsehinterview zur Hauptnachrichtenzeit an einem Sonntagabend an seine Mitbürger zu wenden, da liess Frankreichs, ja Europas reichster Mann, Bernard Arnault, just am Tag davor eine Bombe platzen.
Eine belgische Zeitung wusste davon zu berichten, dass der Chef des Luxusgüterkonzern Louis Vuitton-Moët Hennesy, kurz LVMH, hinter dem sich nicht weniger als 60 Luxusmarken, darunter Christian Dior, Kenzo, das Weingut Château-Yquem und ähnliche Perlen verbergen und der einen Jahresumsatz von über 23 Milliarden Euro präsentiert, einen Antrag gestellt hat, um die belgische Staatsbürgerschaft zu erwerben!
"Casse-toi, riche con"
Affront, Frechheit, moralisch verwerflich, schamlos, ein von Geldgier befallener Kleingeist – so die Reaktionen am Tresen und auf der Strasse. Und auch die Presse, zumindest die Tageszeitung „Libération“, wollte da nicht nachstehen.
„Casse-toi, riche con“ - titelte sie am Montag nach einem bewegten Wochenende – in Anspielung auf Nicolas Sarkozys berühmten Satz auf der Pariser Landwirtschaftsmesse vor einigen Jahren, als ihm ein Zaungast den Handschlag verweigerte und der damaligen Präsident mit dem Satz antwortete: „Dann hau doch ab, armer Trottel.“ Arnault also - ein „reicher Trottel“.
Er will also Belgier werden, der „reiche Trottel“. Belgier, über die die Franzosen sonst nur Witze machen, wie die Deutschen über die Ostfriesen, für die sich die Belgier aber mit einem wunderschönen Witz gerächt haben.
Frage: „Wie lautet der schönste Pleonasmus der französischen Sprache?“
Antwort: „Français moyen“ - durchschnittlicher oder mittelmässiger Franzose.
Die dümmste Arbeitgeberschaft?
Monsieur Arnault, der reichste Franzose, liegt, was das politische Fingerspitzengefühl angeht, sogar noch weit unter dem Durchschnitt. Sein Gefühl gleicht offensichtlich dem des berühmten Elefanten im Porzellanladen.
Nicht zufällig hat es in der Vergangenheit hierzulande schon oft und polemisch geheissen, Frankreich habe die dümmste Arbeitgeberschaft der Welt schlechthin – engstirnig, verbohrt, dem sozialen Dialog verschlossen, die Arbeitnehmer verachtend und von sozialer Verantwortung nichts wissen wollend – einst waren es die berühmten 200 Familien, die wie Autokraten die eigentliche Macht im Land in Händen hatten, heute sind es Leute wie der Chef von LVMH.
Anti-Patriot, Vaterlandsverräter
Und in der Tat hätte Bernard Arnault dümmer nicht handeln können. In Krisenzeiten, wenn es darum geht, den Gürtel enger zu schnallen, wenn fast täglich von allen Opfer gefordert werden, das Land 700‘000 Arbeitslose mehr verbucht als zu Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise, die Banken aber so tun, als hätten sie sich absolut nichts vorzuwerfen und ihren Topmanagern weiter unverschämte Boni bezahlen - ausgerechnet in einem solchen Moment signalisiert der reichste Mann des Landes: Ihr könnt mich gern haben, ich werde Belgier.
Für das Image der französischen Unternehmer ist es eine Katastrophe, wenn sich ihre Nummer 1 als Anti-Patriot, als perfekter Vaterlandsverräter präsentiert - nicht, weil er die 75 % Reichensteuer nicht bezahlen will, sondern weil er offensichtlich seinen Kindern die irgendwann anfallende französische Erbschaftssteuer ersparen will, die Frankreichs neuer Präsident wieder eingeführt hat.
"Held des französischen Kapitalismus"
Angesichts dessen war es nur schwer erträglich, einen Teil der konservativen Politiker und Vertreter des Arbeitgeberlagers hören zu müssen, die Bernard Arnault als den Helden des französischen Kapitalismus präsentierten, als einen, vor dessen Erfolg man sich um jeden Preis verneigen, angesichts dessen man in Ehrfurcht erstarren müsse.
Es klang, als habe sich der viertreichste Mann der Welt, der rund 80 % seines Umsatzes und seiner Gewinne ohnehin im Ausland macht, wie kein anderer um das Wohl des gesamten Landes Frankreich verdient gemacht und als sei es eine Anmassung, seine belgischen Staatsbürgerschaftspläne kritisieren zu wollen, anstatt die eigentlichen Schuldigen, die bösen Sozialisten, die mit dem Messer zwischen den Zähnen die armen Kapitalisten jagen und ihnen an die angerafften Milliarden wollen. Irgendjemand hat dann sogar auch noch das dümmliche Argument ins Feld geführt, Monsieur Arnault sei schliesslich im nordfranzösischen Roubaix geboren und habe von daher schon immer zu Belgien eine sehr nahe Beziehung gehabt.
40 Milliarden Euro Vermögen
Armer Monsieur Arnault! Er hat Glück. Denn viele im Land scheinen schlicht vergessen zu haben, dass der, dessen Vermögen heute auf rund 40 Milliarden Euro geschätzt wird, den Aufbau seines Imperiums zu Beginn der 80-er Jahre mit einer Reihe von eher unappetitlichen Firmenübernahmen begonnen hat.
Zunächst hatte der Hobby-Pianist Arnault bereits unter François Mitterrand zwischen 1981 und 1983 das Weite gesucht, war allerdings als Jungunternehmer in den USA bei seinen Geschäften erstmals kräftig auf die Nase gefallen. Frankreich hat seine Abwesenheit damals unbeschadet überlebt.
Nach seiner Rückkehr in die Heimat 1984 brachte Arnault es dann fertig, für die Übernahme der Boussac-Gruppe nach heutigem Wert rund 300 Millionen Euro Staatsgelder zu kassieren, mit der Auflage, 15‘000 Arbeitsplätze zu erhalten. Nach und nach und sehr schnell hat Monsieur Arnault aber – mit Ausnahme der goldenen Perle Christian Dior - die einzelnen Unternehmen der Gruppe veräussert – die Käufer fühlten sich an die staatlichen Auflagen nicht mehr gebunden und viele der Unternehmen der Boussac Gruppe waren nur wenige Jahre später von der Bildfläche verschwunden, die Angestellten arbeitslos.
Krieg zwischen Arnault und Hermes
In diesen wenigen Jahren war aber das Vermögen des Bernard Arnault, der 40 Millionen Euro in die Boussac-Gruppe gesteckt hatte, schon auf 1,2 Milliarden angewachsen. Anschliessend hatte er sich, ebenfalls nicht auf sehr feine Art, an die Spitze des LVMH-Konzerns geboxt. Und weil der Mann, dessen Jahressalär bei über 10 Millionen Euro liegt, die Jagd auf Unternehmen nicht lassen kann, versucht Arnault zur Zeit gerade, fast 30 Jahre nach seinen ersten Grosstaten, mit Winkelzügen und unverhohlener Aggressivität auch noch das Luxusunternehmen Hermes zu schlucken, bislang allerdings vergeblich.
Mittlerweile herrscht zwischen den beiden Unternehmen offener Krieg. Hermes hat Arnault im Sommer verklagt, Insiderwissen und Kursmanipulationen genutzt zu haben, um heimlich Anteile von Hermes aufzukaufen. Arnault konterte mit einer Klage wegen Erpressung, Verleumdung und unfairem Wettbewerb.
Politisch abgesichert
Frankreichs reichster Mann hat sich, um sein Imperium so weitgehend wie möglich vor Sturm und Wetter zu schützen, auch politisch in alle Richtungen abgesichert. Madame Bernadette Chirac, die Gattin des ehemaligen konservativen Staatspräsidenten, sitzt im Aufsichtsrat von LVMH neben dem ehemaligen sozialistischen Aussenminister Hubert Vedrine. Der für Kultur zuständige Bürgermeister der von den Sozialisten regierten französischen Hauptstadt, Christophe Girad, wird von LVMH bezahlt, ebenso wie der frühere juristische Berater von Präsident Sarkzoy, Patrick Ouart. Und ganz oben in der Hierarchie, als Nummer 2 von LVMH, findet man den ehemaligen Kabinettschef von Ex-Premier Balladur sowie den in zahlreiche Affären verwickelten Nicolas Bazire, seines Zeichens Trauzeuge bei der Hochzeit von Nicolas Sarkozy mit Carla Bruni. Bei Sarkozys vorhergehenden, zweiten Trauung, damals mit Cécilia, hiess der Trauzeuge … Bernard Arnault.
Angesichts dessen verstand es sich natürlich von selbst, dass der eingefleischte Patriot Arnault am 7. Mai 2007 zu den Auserlesenen zählte, die damals im Neureichen-Lokal «Le Fouquets» auf den Champs-Elysées an Nicolas Sarkozys skandalöser Wahlparty teilgenommen haben - die Crème de la Créme des französischen Börsenindex. Ein Dinner, das etwas von der Versammlung eines Familienclans hatte und so wirkte, als würden die Mächtigen der Wirtschaft und der Medien ihre politische Marionette offiziell inthronisieren, mit Bernard Arnault in der Rolle des Clan-Chefs.
"In Grönland die Eier abfrieren""
Und wie es sich in Frankreich für einen echten Wirtschaftskapitän gehört, mischt der LVMH-Chef natürlich auch in den Medien mit. Seit Mitte der 90-er Jahre hatte er sich über ein Jahrzehnt lang die täglich erscheinende Wirtschaftszeitung «La Tribune» gehalten, bis er sie 2007, nach Sarkozys Wahl, abstiess und sie damit de facto zum Tode verurteilte. Im selben Atemzug kaufte er sich die andere, mittlerweile einzige Wirtschaftstageszeitung Frankreichs, «Les Echos», für stolze 250 Millionen Euro. Diese Zeitung hat selbstredend über die jüngste „Affäre Arnault“ so gut wie gar nicht berichtet – in winzig kleinen Artikeln nicht mehr als Dienst nach Vorschrift gemacht.
Ein Mann mit dieser Vita und derartigen Verdiensten will auf seine alten Tage jetzt also Belgier werden. Schon gab es erste Demonstrationen in Belgien gegen diese „superreichen Parasiten“, die von der kritikwürdigen belgischen Steuergesetzgebung profitieren.
Sollte die sich mal ändern, dann könnten Leute wie Bernard Arnault ja immer noch nach Grönland gehen, „um sich dort die Eier abzufrieren“, wie Frankreichs Industrieminister Montebourg dieser Tage gesagt haben soll.