Frankreich zieht die Hälfte seiner 5000 Soldaten aus Mali und angrenzenden Ländern ab. Seit acht Jahren versuchten sie, den islamistischen Terror zu bekämpfen. Letztlich ohne entscheidenden Erfolg.
Nach all dieser Zeit und all den Anstrengungen, die Frankreich seit dem Jahr 2013 unternommen hat, beschloss Präsident Macron im Juni dieses Jahres und im Alleingang, ohne seine europäischen und afrikanischen Partner vorab zu informieren, die Anzahl der französischen Soldaten im Rahmen der so genannten «Operation Barkhane» vor Ort auf 2’500 zu reduzieren und die Verteilung der französischen Streitkräfte in der gesamten Region zu reorganisieren.
Panik im Norden Malis
Konkret heisst das vor allem, dass die französische Armee den Norden Malis und ihre drei wichtigsten Stützpunkte in dieser Region, unter anderem in Timbuktu, bis Ende des Jahres aufgeben wird.
Für die Zivilbevölkerung dort, die vor acht Jahren bereits das Gewaltsystem der Jihadisten zu ertragen hatte und die Ankunft der französischen Soldaten damals als Befreiung gefeiert hatte, eine echte Katastrophe.
80% der Region im Norden Malis werden bereits von Jihadistengruppen kontrolliert.
In ihren Ohren können die Sätze der französischen Verteidigungsministerin nur wie Hohn klingen, die vor wenigen Wochen sagte: «Wir ziehen nicht aus Mali ab, wir adaptieren nur unser militärisches Format. Der Kampf geht weiter.»
Für die Menschen im Norden Malis ein schwacher Trost. Sie alle wissen nur zu gut, dass ausserhalb der Städte Timbuktu, Goa, Kidal und Tessalit, wo Frankreichs Soldaten bisher präsent waren, 80% der Region im Norden Malis bereits oder erneut von Jihadistengruppen kontrolliert wird, und alle wissen auch, dass die trotz beachtlicher Hilfen nach wie vor desolate Armee Malis nicht in der Lage sein wird, die Bevölkerung vor den islamistischen Kämpfern zu schützen, sollten Frankreichs Truppen Anfang 2022 tatsächlich, wie geplant, die Region definitiv verlassen haben.
Zur Erinnerung
2013, nach dem von Ex-Präsident Sarkozy zu verantwortenden Libyen-Desaster, als der Westen zwar Ghadhafi und sein Regime eliminiert, sich danach aber schnellstens aus dem Staub gemacht hatte und all die Waffen des ehemaligen Machthabers im Wüstenstaat Libyen den verschiedensten Jihadistengruppen in der weiten Sahelzone überlassen hatte, waren die islamistischen Gotteskrieger vom Nordosten her in Mali eingefallen.
Fast über Nacht galt in der ganzen Region damals das Gesetz der Scharia.
Die Städte des Nordens, Kidal, Goa und vor allem das zum Unesco-Weltkulturerbe zählende Timbuktu, wurden damals im Handumdrehen von den Jihadisten eingenommen und wichtige Kulturgüter, wie etwa die Mausoleen in Timbuktu, im 14. Jahrhundert aus Tonerde gebaut, zerstört. (Mit Hilfe der Uno sind sie seitdem identisch wiederaufgebaut worden.) Fast über Nacht galt in der ganzen Region damals das Gesetz der Scharia. Doch damit nicht genug: Die neuen Herren begannen, sich von Timbuktu aus auf den Weg in Richtung Süden und der Hauptstadt Bamako zu begeben.
Frankreichs Präsident Hollande beschloss damals – von Malis Präsidenten zu Hilfe gerufen und zu einer Zeit, da der arabische Frühling in Syrien bereits von Assads Armee sowie von den vorrückenden internationalen Söldnertruppen des «Islamischen Staates» (IS) niedergeknüppelt wurde – das militärische Eingreifen Frankreichs in Mali, zunächst mit kaum nennenswerter und auch später eher halbherziger Unterstützung der europäischen Partner, um die Errichtung eines weiteren Kalifats des «Islamischen Staats» zu verhindern.
Präsident Hollande war im Norden Malis nach dem Eingreifen der französischen Truppen Anfang 2013 wie ein Held und Befreier gefeiert worden. In der Folge waren sogar Kinder auf seinen Namen getauft oder Hotels und Herbergen nach ihm benannt worden.
Vergebliche Mühe
Seitdem hat Frankreich in Mali mehr als acht Jahre lang getan, was es konnte, berappte zuletzt für die «Operation Barkhane» jährlich rund 800 Millionen Euro. Frankreich hat bewirkt, dass eine so genannte «G5-Sahel-Truppe» aufgebaut wurde, zusammengesetzt aus Soldaten Malis, Burkina Fasos, Mauretaniens, des Niger und des Tschad, die allerdings nach wie vor als schlecht ausgebildet und ausgerüstet gilt.
Paris hat dafür gesorgt, dass die europäischen Partner sich zumindest an einem Ausbildungsprogramm für die Streitkräfte in diesen Sahelstaaten engagierten.
Für dieses Programm und für die Uno-Mission MINUSMA waren zwischenzeitlich z. B. bis zu 1200 Soldaten der deutschen Bundeswehr in Mali und den umliegenden Ländern stationiert. Dies obwohl Deutschland sich bei derartigen Auslandseinsätzen im Allgemeinen gewaltig ziert. Doch gefruchtet haben diese Anstrengungen bislang denkbar wenig. Und man darf vorhersagen, dass auch die allerjüngste, die erneut von Frankreich betriebene Gründung einer europäischen Einsatztruppe daran nichts ändern wird. Man hat sie TABUKA getauft und sie soll sich aus 600 Spezialkräften europäischer Armeen zusammensetzen, die auf Terrorismusbekämpfung spezialisiert sind, wobei Frankreich die Hälfte davon stellt. Tschechien, Schweden und Estland sollen jeweils einige Dutzend Soldaten zugesagt haben, Belgien zwei und die Niederlande einen Verbindungsoffizier schicken. Sehr vielversprechend wirkt das nicht.
Politische Instabilität
Zu allem Übel putschte in der Hauptstadt Malis in dieser ohnehin verfahrenen Situation innerhalb von nur 14 Monaten prompt gleich zwei Mal ein General, zuletzt erst im Mai dieses Jahres. Der zweite putschende General liess sich im Mai von einer Militärjunta zum Präsidenten ausrufen, einigte sich mit demjenigen, der 14 Monate früher geputscht hatte und übergab ihm das Amt des Regierungschefs, besser gesagt des Juntachefs.
Damit ist die politische Instabilität Malis an einem Höhepunkt angelangt und seit über einem Jahr häufen sich gleichzeitig auch noch antifranzösische Kundgebungen, vor allem in der Hauptstadt Bamako. Der zweite Putsch im Mai dieses Jahres hatte dazu geführt, dass Frankreich umgehend seine militärische Kooperation mit Mali ausgesetzt hatte und dass Präsident Macron wenige Wochen später den mittelfristigen Abzug der Hälfte der französischen Streitkräfte ankündigte. Gleichzeitig wurde Mali umgehend auch aus der Afrikanischen Union und der afrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ausgeschlossen.
Zunehmende Spannungen
Seitdem werden die diplomatischen Spannungen zwischen Paris und Bamako fast wöchentlich grösser. Choguel Kokalla Maiga, der den ersten Militärputsch im August 2020 initiiert hatte und heute Premierminister des Landes ist, beschuldigte jüngst von der Tribüne der Uno-Vollversammlung in New York herab Frankreich, mit der angekündigten Halbierung seiner Militärpräsenz Mali im freien Flug fallen gelassen zu haben. Er tat dies fast auf den Tag genau, da der 53. französische Soldat seit Beginn der Operation «Barkhane» im Norden Malis von Heckenschützen getötet worden war. Frankreichs Präsident Macron nannte diese Äusserungen «von einem Etwas, das nicht einmal eine Regierung ist» eine wahrhaftige Schande und forderte die militärischen Machthaber in Bamako auf, sich endlich ihrer Verantwortung zu stellen und auf die Einsetzung einer Zivilregierung hinzuarbeiten.
Paris sitzt derzeit in Mali in einer echten Zwickmühle und darf sich von den neuen Machthabern in Bamako zurecht an der Nase herumgeführt fühlen.
Die Antwort aus Mali folgte auf dem Fuss. Der Premierminister des Landes liess in einem «Le Monde»-Interview dieser Tage sehr deutlich durchblicken, dass die Junta nicht mehr unbedingt daran denkt, an ihrem Versprechen festzuhalten, im Februar 2022 freie Wahlen abzuhalten.
Paris sitzt derzeit in Mali in einer echten Zwickmühle und darf sich von den neuen Machthabern in Bamako zurecht an der Nase herumgeführt fühlen.
Denn die herrschenden Generäle dort haben in den letzten Monaten sogar durchblicken lassen, dass sie sich durchaus Verhandlungen mit den Jihadisten im Norden des Landes vorstellen könnten und haben dies erst vor wenigen Tagen sogar noch einmal ausdrücklich bestätigt. Man werde versuchen, eine afrikanische Lösung zu finden, so ein hoher Verantwortlicher der Junta, der so tat, als wäre es kein Problem, dass die radikalislamistischen Gruppierungen den Abzug ausländischer Truppen aus Mali als Vorbedingung für Verhandlungen stellen.
Russische Söldner?
Doch es könnte für Paris und Präsident Macron noch dicker kommen. Denn angeblich haben die militärischen Machthaber in Bamako auch begonnen, mit der berüchtigten «Firma Wagner» aus Russland zu verhandeln. Dabei handelt es sich um Söldnertruppen, die schon seit Jahren in anderen afrikanischen Ländern wie etwa im Tschad oder in der Zentralafrikanischen Republik, aber auch in Libyen und Syrien ihr Unwesen treiben oder getrieben haben und nun möglicherweise in Mali für Sicherheit und Ordnung sorgen sollen. Wohl vor allem für die Sicherheit in der Hauptstadt Bamako und, so heisst es, vor allem für die des selbst ernannten neuen Präsidenten und Chefs der Militärjunta.
Die malischen Behörden räumten ein, dass Gespräche mit dem russischen Söldnerunternehmen geführt würden, dass aber noch nichts unterschrieben sei. Russland seinerseits bestreitet, dass es Verhandlungen über eine militärische Präsenz in Mali gäbe.
Was nun ?
Sollte die Militärjunta in Mali wirklich Verhandlungen mit den Jihadistren aufnehmen und gleichzeitig russische Söldner ins Land holen, wäre das für Frankreichs Präsidenten, aber auch seine europäischen Partner wie Deutschland, eine rote Linie, von der Macron zur Zeit noch hofft, dass sie nicht überschritten wird. Für den Fall dass, käme er um einen kompletten Truppenabzug nicht herum. „Radikaler Islamismus mit unseren Soldaten dort? Niemals“, sagte der Präsident schon vor Wochen in einem Interview mit der Wochenzeitung «Journal du Dimanche». Denn in Mali gäbe es durchaus die Versuchung, sich dem radikalen Islamismus anzunähern. „Wenn es in diese Richtung geht, werde ich die französischen Soldaten abziehen“, so Macron.
Bilanz
Die nun für beendet erklärte «Operation Barkhane», so hat es jüngst ein Experte umschrieben, hat seit acht Jahren zwar fast alle Kämpfe gewonnen und in den gegnerischen Reihen durchaus Schaden angerichtet, aber Barkhane kann den Krieg nicht gewinnen. Mit anderen Worten: Die französischen Truppen haben bislang eine echte Verwurzelung und flächendeckende Ausbreitung der Jihadistern in der Sahelzone zumindest eingedämmt, die Errichtung eines Kalifats in Mali verhindert und, so gut es geht, dafür gesorgt, dass sich in den umliegenden Ländern, wie in dem wichtigsten Land der Region, in der Elfenbeinküste, keine weiteren Metastasen bilden, wie es etwa im Norden Burkina Fasos seit gut drei Jahren bereits geschehen ist. Doch eine endgültige Befriedung scheint unmöglich.
Der grösste Auslandseinsatz französischer Truppen seit Jahrzehnten konnte den islamistischen Terrorgruppen in der Sahelzone letztlich keinen grundlegenden Schaden zufügen.
Die französischen Streitkräfte haben im Lauf der letzten acht Jahre tausende Kämpfer von Daesh oder Al-Kaida, wie es im militärischen Jargon heisst, «neutralisiert», ebenso wie zahlreiche Anführer der verschiedensten islamistischen Terrororganisationen, die in der Region agieren.
Zuletzt den Chef der Jihad-Miliz «Islamischer Staat in der grösseren Sahara» (ISGS), einer Organisation, der die meisten Anschläge in der Region zwischen Mali, dem Niger und Burkina Faso zugeschrieben werden.
Das wird dann als grosser Erfolg vermeldet und Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, twitterte mitten in der Nacht sogar höchstpersönlich, dass Adnan Abu Walid al-Sahrawi „neutralisiert“ worden sei.
De facto ändern derartige Erfolgsmeldungen mittelfristig aber so gut wie gar nichts an der Situation, die für Frankreich zu einem echten Dilemma geworden ist.
Und mit zunehmender Dauer wird immer deutlicher, dass der grösste Auslandseinsatz französischer Truppen seit Jahrzehnten den islamistischen Terrorgruppen in der Sahelzone letztlich keinen grundlegenden Schaden zufügen konnte und dass deren Reservoir an Kämpfern schier unendlich zu sein scheint. Erst im September z. B. wurden bei einem einzigen ihrer Angriffe im Norden von Burkina Faso 300 Zivilisten getötet. Schliesslich hatte auch Frankreichs Generalstabschef Lecointre kurz vor seinem Rücktritt im Sommer bei einer parlamentarischen Anhörung nichts anderes gesagt. «Im Sahel-Gebiet wird es nie einen definitiven Sieg gegen die Jihadisten geben können», so der 4-Sterne-General.
Am Ende doch ein Kalifat?
Angesichts all dessen muss man den Eindruck gewinnen, dass sich Frankreich in Mali und der Sahelzone – wenn auch weniger brutal – auf den Weg begibt, den die USA jüngst in Afghanistan gegangen sind. Die Zeiten der westlichen Interventionen gegen Jihadisten und Islamisten auf anderen Kontinenten, um Stabilität und halbwegs demokratische Lebensformen zu etablieren und zu garantieren, scheinen vorbei zu sein. Man könne nicht ewig anstelle souveräner Staaten für politische Stabilität sorgen wollen, betonte Frankreichs Präsident in einem Zeitungsinterview; er hatte dabei sicher auch die zahlreichen gescheiterten Interventionen der vergangenen Jahre, ja Jahrzehnte und den jüngsten Präzedenzfall Afghanistan im Auge.
Und schliesslich wird Emmanuel Macron bei Frankreichs weiterem Vorgehen in Mali auch den anstehenden Präsidentschaftswahlkampf im Blickfeld haben. Frankreichs Soldaten zur Gänze aus Mali abzuziehen und nach Hause zu holen, könnte ihm während des anstehenden Wahlkampfs durchaus von Nutzen sein. Denn die Zustimmung der Franzosen zu diesem Auslandseinsatz ist im Lauf der Jahre von 75 auf nicht mal mehr 50% gesunken.
Alles in allem erscheint es heute nicht mehr ganz unwahrscheinlich, dass Mali schon in den kommenden Monaten weitgehend eine Beute der Radikalislamisten werden könnte.