Diese französische Präsidentschaftswahl ist in so vieler Hinsicht anders als alle anderen in den vergangenen sechs Jahrzehnten der französischen Fünften Republik.
Erstmals überhaupt hat in den Monaten vor einer Präsidentschaftswahl zum Beispiel das Thema Kultur definitiv gar keine Rolle mehr gespielt. Die Kandidaten haben das Thema, wenn überhaupt, ganz am Rande gestreift, mit Ausnahme von Emmanuel Macron. Der hat zwar auch nicht sonderlich viel zum Thema gesagt, sich bei seiner Erwähnung aber vor allem gründlich ins Fettnäpfchen gesetzt und dabei als Politiker einen perfekten Anfängerfehler begangen.
Vor Wochen liess er verlauten – ohne es im ersten Moment näher zu erläutern –, es gebe nicht eine französische Kultur. Soll im Grunde heissen: Frankreichs Kultur ist vielfältig und hat seit Jahrhunderten die unterschiedlichsten Quellen und Wurzeln, von denen viele aus dem Ausland kommen.
Ohne diese Erläuterung war der Satz aber nichts anderes als eine Steilvorlage für Macrons Konkurrenten bei den Konservativen und der extremen Rechten. Diese bezichtigten den Mitte-Links-Kandidaten seitdem fast täglich, er habe behauptet, es gebe keine französische Kultur.
Anders als bei früheren Präsidentschaftswahlen in Frankreich haben sich Intellektuelle und Künstler diesmal so gut wie gar nicht mehr öffentlichkeitswirksam zu Wort gemeldet, ja sich ungewohnt diskret verhalten oder sind im Wahlkampfgetöse einfach nicht durchgedrungen.
Auch Maxime Le Forestier nicht, eine der ganz grossen noch aktiven Ikonen des französischen Chansons. Dabei hatte sich der heute fast Siebzigjährige, der in der nach-achtundsechziger Zeit mit „San Francisco“ und dem berühmten Maison Bleue die Gefühle seiner Generation traf wie kaum ein anderer, immerhin und sozusagen im letzten Moment vor dem ersten Wahlgang noch zu Wort gemeldet – natürlich mit einem Chanson.
„La veille dame“ ist ein grosser Wurf, ein Chanson, das den Nerv trifft und die Stimmung im Land, besonders den Zustand Frankreichs in diesem Wahljahr 2017, mit wenigen Worten messerscharf wiedergibt.
Ein Frankreich, das einer alten Dame gleicht, die einst stolz war und revolutionär, mit blankem Busen unter der Trikolore für einer bessere Welt gekämpft hat, heute aber vor allem nichts mehr verändern will. Sie zittert, man könnte ihr den letzten Schmuck stehlen, ist verängstigt, pessimistisch und gründlich eingerostet, trauert dem vergangenen Ruhm nach, fürchtet die Fremden und das Fremde und alles, was neu ist – eben wie eine alte Dame.