Wie überall, muss auch in Frankreich das Staatsoberhaupt eine Neujahrsansprache halten. Für Präsident François Hollande war es die erste. Und sie war so platt, wie Jacques Brels plattes Land - Belgien -, in das sich Nationalschauspieler Depardieu vor dem französischen Fiskus geflüchtet hatte, bevor er am Wochenende dann erst mal Russe wurde.
Hollande konnte einem leid tun. Er wirkte vor dem Pult im Elyséepalast wie einer, dem nichts Besseres eingefallen war, als Sätze abzulesen, die konventioneller und allgemeingültiger hätten kaum sein können.
Von den legitimen Sorgen der Bürger, derer er sich bewusst sei, war da die Rede, von den ernsthaften Schwierigkeiten, in denen das Land stecke und die er nicht verschweigen wolle. Dann kam die Leier über das Vertrauen, das er trotz allem in Frankreich, in die Franzosen und in ihre Zukunft habe. Fehlen durfte auch nicht die Passage über die Grosse Nation Frankreich, deren Ehre es sei, Wettbewerbsfähigkeit und Solidarität miteinander in Einklang zu bringen, und die Phrase, wonach Frankreich nur Frankreich sei, wenn es seine Werte in der Welt verteidige. Nichts, was François Hollande da sagte, klang authentisch oder gar überzeugend. Und doch tat er einem gleichzeitig leid. Was hätte er angesichts der extrem pessimistischen Grundstimmung und der allseits düsteren Prognosen seinen Landsleuten als Neujahrswunsch auch schon mit auf den Weg geben können?
Die Pleite mit der Reichensteuer
Knapp acht Monate nach seiner Wahl zum Präsidenten verstärkt sich jedenfalls endgültig der Eindruck, dass der stets um Kompromisse bemühte François Hollande immer noch nicht weiss oder nicht zu vermitteln weiss, wohin er denn wirklich steuert. Zumal auch noch Vieles von dem, was er angepackt hat, auf Anhieb schiefging. Nur zwei Beispiele seien genannt.
Wozu sind die Eierköpfe der Elitehochschule ENA gut?
Eines von Hollandes emblematischen Wahlkampfversprechen, den Teil der Einkommen von über einer Million Euro jährlich mit 75 % besteuern zu wollen, wurde am Tag vor dem Jahresende 2012 als Gesetzesvorlage vom französischen Verfassungsgericht zurückgewiesen. Nicht etwa weil die 75 % den obersten Verfassungshütern als nicht verfassungskonform erschienen wären. Sondern schlicht und einfach weil die Einkommenssteuer in Frankreich pro Haushalt erhoben wird, das eingebrachte Gesetz aber auf Einzelpersonen gemünzt war. Ein mehr als peinlicher Anfängerfehler, vor dem jeder Steuerberater hätte warnen können und der unter anderem auch die Frage aufwirft, wozu eigentlich die ohnehin so oft gescholtenen Eierköpfe der Verwaltungselitehochschule ENA gut sind, wenn offensichtlich keiner der aus ihr hervorgehenden Spitzenbeamten in der Lage ist, eine Regierung vor einem derart desaströsen Faux-Pas zu bewahren.
Die Krux mit der Homo-Ehe
Auch die Homo-Ehe und das Recht auf Adoption für gleichgeschlechtliche Paare war ein Wahlversprechen von François Hollande – gewiss. Und doch muss er sich, auch aus den eigenen Reihen, die Frage gefallen lassen, ob diese Reform angesichts von Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit, zunehmender Armut und sich ausbreitender Hoffnungslosigkeit wirklich Priorität hat und gleich im ersten Jahr in Angriff genommen werden musste. Das Thema rangiert auf der Sorgenskala der Franzosen nun wahrlich ganz weit unten und ist, wie die Auseinandersetzungen der letzten zwei Monate zeigten, in diesem, entgegen manchem Anschein im Grunde doch konservativen Land, nach wie vor ein sehr heikles. Zudem geht der Riss zwischen Pro und Contra quer durch alle Parteien – links oder rechts hat in diesem Zusammenhang nicht sonderlich viel zu bedeuten. Vor allem aber hat sich die katholische Kirche Frankreichs in den letzten Monaten in ungewohnt scharfer Form auf die Homo-Ehe gestürzt und arbeitet für den kommenden 13. Januar intensivst an einer Massenmobiliserung dagegen.
Sollte es wirklich gelingen, gegen das Gesetzesvorhaben eine Million Franzosen auf die Beine zu bringen, wie die Veranstalter hoffen, wird es kompliziert für François Hollande. Da helfen dann auch die Umfragen nicht mehr viel, wonach 60 % der Franzosen für die Homo-Ehe sind. Zumal Präsident Hollande zu erkennen gegeben hat, dass ihm selbst bei diesem Thema nicht sonderlich wohl ist. Auf dem jährlichen Kongress der französischen Bürgermeister sprach er davon, dass die Oberhäupter der Kommunen in Zukunft Gewissensfreiheit haben sollten, die Trauung von gleichgeschlechtlichen Paaren vorzunehmen oder nicht. Ein Aufschrei ging durch die Reihe der Befürworter der Homo-Ehe und der Präsident musste noch am selben Tag zurückrudern. Gesetz sei Gesetz und es müsse angewandt werden – hiess es dann wieder.
Und als würde diese Ungeschicklichkeit noch nicht ausreichen, hat Erziehungsminister Peillon, von Beruf Philosoph, dem aber leider das politische Fingerspitzengefühl gründlich zu fehlen scheint, dieser Tage noch schnell ein wenig mehr Öl ins Feuer gegossen. Als Minister hat er in einem Brief an die Direktoren der meist katholischen Privatschulen des Landes, die mit dem Staat unter Vertrag stehen, dringendst davon abgeraten, eine vom Verband der Privatschulen angeregte Diskussion über die Homo-Ehe in Gang zu bringen, bei der die Position der katholischen Kirche zum Thema verdeutlicht werden sollte. Ein linker Erziehungsminister, der dafür plädiert, eine Diskussion zu unterbinden - ungeschickter geht es wohl kaum. Auf jeden Fall ist der Schritt des Ministers unfreiwilliger und weiterer Nährstoff für die von Klerus und der konservativer Opposition seit Wochen vorbereitete Pariser Grossdemonstration am kommenden Sonntag.
Storytelling à la Hollande
Zusätzlich zu der nicht zu leugnenden Pannenserie vermittelt Präsident Hollande jetzt seit Monaten auch noch den Eindruck, dass er, wie sein Vorgänger Sarkozy, ebenfalls in erster Linie Kommunikation und Storytelling betreibt, anstatt Politik zu machen. Da diese Marotte den Franzosen aus den letzten Jahren aber hinreichend bekannt ist, wirkt dieses Prozedere unter dem neuen Präsidenten zusätzlich auch noch reichlich unbeholfen.
Als François Hollande zum Beispiel unmittelbar nach den Weihnachtsfeiertagen um vier Uhr morgens auf dem Pariser Grossmarkt in Rungis erschien, dachte jeder im Land daran, dass man das unter Sarkozy ja schon einmal erlebt hatte. Einziger Unterschied: Hollande kam ohne Begleitung seiner Gefährtin und nur mit einem kleinen, ausgewählten Medienpool. Als die anderen Medien dann davon Wind bekamen und herbeistürmten, wurden sie fern gehalten, waren schnellstens übel gelaunt und beschwerten sich lautstark – der präsidiale Besuch endete mehr oder weniger im Chaos und der Schuss ging nach hinten los.
Und als der Präsident an diesem Wochenende sich in die Nähe einer von der Schliessung bedrohten Erdölraffinerie aufmachte, da war vor Ort wenig vom eigentlichen Problem die Rede.
Vielmehr kommentierte François Hollande vor laufenden Kameras und Mikrophonen reichlich ungeschickt und fast ausschliesslich das Wie und Warum seines Erscheinens und die Rolle, die ein Präsident zu spielen habe. Es war unerwartet und zum Aus-der-Haut-Fahren: Da sprach auch dieser Präsident nicht über ein Problem oder über seine Politik, sondern kommentierte seine eigene Kommunikationsstrategie. Es fällt schwer, nicht an Hollandes legendär gewordene Anapher zu denken, in der er während des grossen Fernsehduells mit Nicolas Sarkozy vor dem entscheidenden Wahlgang mehr als zwanzigmal die Formel wiederholte: „Ich als Präsident der Republik werde …..“ - dies und jenes tun oder nicht tun. Unter anderem sollte auch mit dem von Sarkozy eingeführten Storytelling und dem sich In-Szene-Setzen des Präsidenten Schluss sein. Von wegen!
Posse um Depardieu
Am Neujahrstag hatte sich Frankreichs Präsident dann auch noch einen Telefonanruf von Steuerflüchtling Gerard Depardieu gefallen lassen müssen.
Anderthalb Stunden habe das Telefonat gedauert – so Depardieus Umfeld, knapp 30 Minuten, sagen Berater des Präsidenten. Worüber genau gesprochen wurde, weiss natürlich niemand. Man darf nur hoffen, der Präsident musste sich nicht auch noch ähnlichen Humbug anhören, wie den, den Depardieu am Tag darauf in einem offenen Brief an die russischen Medien verbreitete, um sich für die Erteilung der russischen Staatsbürgerschaft per Ukas durch seinen Freund Präsident Putin zu bedanken. Von seiner Liebe und Bewunderung für die Menschen, die Literatur und die Kultur Russlands war darin die Rede, von seiner Absicht, russisch zu büffeln und von seinem Vater, der Kommunist gewesen sei – ein Schreiben, das in dem Satz gipfelte: „Russland ist eine grosse Demokratie.“
Man kann es, und zurecht, einfach mit Daniel Cohn-Bendit halten und sagen, um derartigen Schwachsinn zu verbreiten, müsse man entweder verrückt oder aber voll von Alkohol und/oder Steroiden sein. Oder wie Tausende Franzosen per Twitter oder Facebook sich einfach lustig machen, mit Sprüchen wie : „Schon wieder nichts im Kühlschrank. Jetzt reicht es. Ich werde Russe.“ Oder der Wirt, der schmunzelnd sagt, er verzichte darauf, den Bierpreis um 10 Cent zu erhöhen, sonst würden seine Kunden doch alle nach Russland gehen.
Und doch: Dem französischen Präsidenten und der Regierung, die zum Thema Depardieu seit Tagen beharrlich schweigen, ist diese Groteske offensichtlich doch reichlich unangenehm. Denn trotz der exzessiven Attitüden des schwergewichtigen Leinwandstars ist die Posse um seine Steuerflucht und seine diversen Staatsbürgerschaften Wasser auf die Mühlen derer, die die stärkere Besteuerung von Reichen und Superreichen laut schreiend verurteilen. Und von all denen, die trotz Krise und dem kriminellem Verhalten der Banken den dominierenden wirtschaftsliberalen Diskurs hochhalten. Sie, die zum Beispiel die von Hollande & Co angepeilten 75 %-Steuern auf den Teil der Einkommen, die über 1 Million Euro liegen, schlicht als Raub bezeichnen. All diese so überaus selbstsicheren, Millionen schweren und von der Realität abgehobenen Zeitgenossen, die jeden anderen als den orthodox-liberalen Diskurs nur mit einem müden, besserwisserischen Lächeln quittieren. Herrschaften, die bei jeder Gelegenheit das amerikanische Modell hochhalten. Sich dabei aber nicht daran erinnern wollen, dass in den USA zu einer anderen Krisenzeit, in den 30-er Jahren unter Roosevelt, ein Höchststeuersatz von 90 % für die Superreichen galt.
Und dass heute noch ein US-Bürger, der in einem anderen Land mit niedrigeren Steuersätzen lebt, als die, die in den USA praktiziert werden, die Differenz an den amerikanischen Fiskus abzuführen hat. Tut er das nicht, verliert er seine Staatsbürgerschaft!
Doch als ein sozialistischer Abgeordneter in Frankreich jüngst angekündigte, er wolle einen genau dahin gehenden Gesetzesvorschlag im französischen Parlament einbringen, reagierte das gesamte Establishment des Landes kreischend und aufgescheucht wie eine Schar Nonnen, denen einer ans Strumpfband gegangen war.
Nach acht Monaten ist es Präsident Hollande jedenfalls auch nicht in kleinsten Ansätzen gelungen, zu tun, wofür ihn hierzulande viele gewählt haben: die Finanzwelt zumindest ein Stück weit in ihre Schranken zu weisen. Mehr und mehr droht seine Präsidentschaft zu einer weiteren Demonstration der Machtlosigkeit der Politik zu werden.