Auf der Weltklimakonferenz in Glasgow richtete sich das Hauptaugenmerk der Teilnehmer und der Medien auf das Thema des Kohleausstiegs. Ein anderes Problem aber drängt sich energisch in den Vordergrund: Kompensation für «Schäden und Verluste» aufgrund der früheren Energienutzung.
Zwar ist der Klimawandel ein Problem der ganzen Welt, aber die ärmsten Länder machen auf eine Asymmetrie aufmerksam: Zuerst auf der 6. Klimakonferenz von 2001 in Den Haag, dann mit steigendem Nachdruck auf den Folgekonferenzen bis nach Paris wiesen sie jetzt in Glasgow energisch darauf hin, dass sie durch den Klimawandel stärker als die Industrieländer geschädigt werden. Diese Schädigung beruht auf einer langen Geschichte, der Geschichte des Aufstiegs der reichen Industrieländer auf der Nordhalbkugel, verbunden mit deren steigendem Energieverbrauch.
So macht der Klimaforscher Saleemul Huq aus Bangladesch darauf aufmerksam, dass in den Slums von Dhaka jeden Tag Tausende neue Migranten ziehen, weil die Flüsse immer häufiger über die Ufer treten und das vom Meer herandrängende Salzwasser die landwirtschaftlich genutzten Böden ruiniert. Das ist nur ein Beispiel von unzähligen anderen, und schon auf der Weltklimakonferenz in Paris gab es Stimmen aus den Industrieländern, die diesen Zusammenhang anerkannten.
Aber damals hat man einen Begriff gemieden wie der Teufel das Weihwasser: «Entschädigung». Man sprach von «technischer Hilfe», und auch in Glasgow ist es zur Enttäuschung der geschädigten Länder des Südens nicht gelungen, die Industrieländer zu so etwas wie «Kompensationen» zu bewegen. Sie haben geradezu panische Angst davor, die Beiträge zur Klimaerwärmung aus der Vergangenheit zu thematisieren, um dafür bloss nicht in Haftung genommen zu werden.
Doch sie werden dieser Schlinge nicht entgehen. Denn das Problem lässt sich noch aus einer anderen Perspektive betrachten: aus der Sicht der Jugend. Saleemul Huq prophezeit, dass die junge Generation zunehmend ihre Eltern dafür zur Verantwortung ziehen wird. Denn ihr Beitrag zur Klimaerwärmung hat Schäden verursacht, die jetzt zu Lasten der nachfolgenden Generationen gehen.
Wie aber soll das alles beziffert werden? In den Konferenzpapieren wird zwischen «Schäden» und «Verlusten» unterschieden. Schäden entstehen zum Beispiel an Bauwerken oder technischen Einrichtungen und lassen sich reparieren. Verluste aber beziehen sich auf unwiederbringliche Biotope, Tier- und Pflanzenarten, Kulturgüter oder auch Menschenleben. Wie will man sie berechnen?
Der Perspektivenwechsel beziehungsweise die Erweiterung des Blickwinkels auf die in langen historischen Prozessen entstandenen Klimaveränderungen und damit verbundenen Schäden ist viel dramatischer, als er zunächst erscheint. Zwar ist es nur vernünftig, die Vergangenheit in die Betrachtung mit einzubeziehen; so sehen es auch viele Kommentatoren. Aber dadurch wird aus der Frage nach den guten Absichten für das Kommende schlagartig das Problem der Schuld für das Vergangene.
Damit stellen sich für die Politiker und Diplomaten der reichen Nationen nur sehr schwer zu lösende Aufgaben. So müssen sie den Vertretern der aufstrebenden Länder erklären, warum gerade sie jetzt auf Techniken zur Energieerzeugung und der Mobilität verzichten sollen, die die etablierten Länder und Gesellschaften bislang ausgiebig genossen haben. Dazu reicht es nicht, immer mehr Zusagen für Geldtransfers zu machen, zumal die bisherigen Zusagen nur unzureichend eingehalten wurden, was in Glasgow heftig kritisiert wurde. Aber auch, wenn die Zusagen eingehalten werden, werden sich nicht alle Probleme mit Geld lösen lassen. Jahrzehnte der versickernden Milliarden in unproduktive Massnahmen oder gar Korruption erteilen bittere Lehren.
Aber die Vergangenheit fordert ihren Tribut.