Kariertes Hemd, Trainerjacke, schütterer weisser Bart. Als quicklebendiger Revolutionär im Unruhestand präsentierte Fidel Castro letzte Woche in Havanna weitere Bausteine für die Vollendung seines monumentalen Lebenswerks. Der wache Blick war da, der Zeigefinger und die durchdringenden, kalten Augen. Zwei Bände neuer Memoiren unter dem Titel «Fidel Castro Ruz – ein Revolutionär seiner Zeit» waren vor ausgewähltem Publikum abzufeiern. Sie basieren auf Gesprächen, die der seit inzwischen 59 Jahre in Sachen Revolution unterwegs befindliche Guerillero mit der kubanischen Journalistin Katuska Blanco führte.
Worte statt Taten
Vor inzwischen sechs Jahren zog sich Fidel Castro von einem Tag auf den anderen aus gesundheitlichen Gründen von der Macht zurück, die er seit dem 1. Januar 1959 in Kuba ununterbrochen ausgeübt hatte. Seither meldet er sich häufig mit schriftlichen Mitteilungen des "compañero Fidel" zu Wort. Zur Weltlage, zu seinem Lieblingsfeind USA, zu Iran. Zu allem, ausser Kuba. Da will der bald 85-Jährige seinem Nachfolger, dem inzwischen auch schon 80-jährigen Bruder Raúl, nicht reinreden. Der baut inzwischen das Wirtschaftssystem Kubas radikal um. Private Geschäftstätigkeit, Kreditvergabe an unabhängige Unternehmer, freier Handel mit Immobilien, seit 50 Jahren war noch nie so viel Revolution in Kuba.
Zurück in die Vergangenheit
Niemand weiss, wo die Reise Kubas hingehen wird. Fidel weiss, dass sich sein Lebensbogen dem Ende nähert. Also schreibt der grosse Redner, der seine Politik über Jahrzehnte nur mit stundenlangen und charismatischen Reden kommunizierte, seine Memoiren. Vor zwei Jahren ist der zweite Band der Revolutionsgeschichte erschienen. Wie sein Vorgänger ein Riesenwälzer mit knapp 600 Seiten, auf denen in Tagesprotokollen und aufgrund eines beeindruckenden Archivs minutiös die Entwicklung der Guerilla nachgezeichnet wird. Bis und mit zum 1. Januar 1959, dem Tag des Triumphs der Revolution. Harte Kost, selbst für Revolutionsnostalgiker. Wenn Fidel in dieser epischen Breite weitermacht, muss man sich fragen, ob es der grosse Marathonläufer noch schafft, mit seinen Memoiren bis zum Jahr 2006 zu kommen, da fehlen immerhin 13 505 Tage, Schaltjahre nicht eingerechnet.
Ab in den Olymp
So nebenher gibt es nun also diese Gespräche, denn Castro redet offenbar bis heute lieber, als dass er schreibt. Und arbeitet konsequent daran, dass er es als erster Diktator in der Geschichte schaffen könnte, dass sein System seinen Abgang überlebt. Die ersten fünf Jahre hat er, sehr zum Leidweisen seiner Gegner, bereits geschafft. Da er bereits klargestellt hat, dass es nach seinem Ableben kein Mausoleum, keine einbalsamierte Leiche wie bei Lenin, Mao oder Ho Chi Minh geben wird, sondern ein Begräbnis in seinem Geburtsort Birán, werden von ihm seine Taten bleiben. Und seine Worte, die sie erklären, rechtfertigen. Wenn er dann in den Olymp der grossen Revolutionäre des 20. Jahrhunderts abschwirrt.
Was bleibt?
Ist Kuba ein weiteres gescheitertes Experiment, eine Diktatur, in der entmündigte, unfreie und seit Jahrzehnten unter katastrophalen wirtschaftlichen Umständen dahinvegetierende Menschen leben? Oder hat Castro, denn Kuba heute ist Castros Werk, immer und unermüdlich nur das Beste für alle gewollt und ziemlich viel erreicht? Hat er sich 57 Jahre lang Tag und Nacht um alles und um jeden gekümmert, den Kubanern Menschenwürde, sozialen Frieden, Gesundheit, Ausbildung die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse garantiert? Oder sind die Kubaner Opfer eines grössenwahnsinnigen Caudillos geworden, der vielleicht das Beste wolle, aber gar so vieles schlecht gemacht hat? Diese Debatten werden ihn garantiert überleben. Und dagegen stellt er seine letzte revolutionäre Offensive: So war’s, so habe ich’s gemacht. Lest es nach, wenn es Euch interessiert.
Vielleicht kann man für alle, die sich die Tausenden von Seiten nicht antun wollen, ihren Inhalt so zusammenfassen: Das habe ich, Fidel Castro, gemacht. War ziemlich anstrengend, aber insgesamt nicht schlecht. Niemand kann mir vorwerfen, dass ich jemals zuerst an mein eigenes Wohlergehen gedacht hätte. Das Eingeständnis von Fehlern oder gar Reue sind von mir nicht zu erwarten. Kritisiert wurde ich ein Leben lang, das wird auch mit meinem Tod nicht enden. Soll mir aber mal einer nachmachen, bevor er mich kritisiert.
Der Autor war von 1991 bis 1999 Korrespondent der NZZ auf Kuba und macht dort jedes Jahr ausgedehnte Reisen.