Annalena Baerbock erhebt den Anspruch, eine «feministische Aussenpolitik» zu betreiben. Auch wenn sie diesen Anspruch nicht allzu dick aufträgt, mag sie davon nicht lassen. Wieder und wieder kramt sie dieses Schlagwort aus den Ablagerungen der Frauenbewegung hervor. Was ist damit genau gemeint?
Erstmals ist dieser Begriff auf dem Internationalen Frauenkongress in Den Haag 1915 verwendet worden. Es verstand sich damals von selbst, dass es in erster Linie darum ging, die Ansprüche der Frauen auf gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und in der Politik durchzusetzen. Auch in Europa waren damals Frauen in einigen Ländern und Regionen von politischen Wahlen ausgeschlossen, um nur ein eklatantes Beispiel für die zahlreichen Diskriminierungen zu nennen.
Es gab also viel zu tun, aber erst 2014 wurde die «feministische Aussenpolitik» zum Bestandteil eines Regierungsprogramms, und zwar in Schweden. Durchgesetzt hatte es Margot Wallström, die von 2014 bis 2019 als Aussenministerin amtierte. Im Jahr 2023 wurde dieser Begriff aber wieder gestrichen. Der Aussenminister Tobias Rillström begründete diese Entscheidung mit dem Argument «Etiketten haben die Tendenz, den Inhalt zu verschleiern».
Diese Begründung klingt ein bisschen seltsam, aber bei genauerem Hinschauen zeigt sich, dass sie ein paar grundlegende Schwierigkeiten markiert. So stand die Einführung des Programms einer feministischen Aussenpolitik im Jahr 1915 ganz im Zeichen des Pazifismus – verständlicherweise. Erinnert sei an Bertha von Suttner und ihren Aufruf «Die Waffen nieder!» (1889), mit der die österreichische Pazifistin zu einer der Begründerinnen der Frauenbewegung wurde.
Pazifistische Männer
Nun zeigte sich aber in Schweden, dass das bis vor Kurzem neutrale Land nicht auf eine eigene Rüstungsindustrie und die damit verbundenen Waffenexporte verzichten kann. Zu den Kunden dieser Exporte gehören Potentaten, für die die eingeforderten Frauenrechte ganz sicher nicht ganz oben auf der Prioritätenliste stehen. Ein doppelter Bruch der «feministischen Aussenpolitik»: Waffen werden entgegen den pazifistischen Maximen exportiert, und die Kunden sind die übelsten Gegner weiblicher Ansprüche auf Gerechtigkeit und Gleichbehandlung.
Ganz so krass stellt sich das Problem für Annalena Baerbock nicht. Aber sie ist eine der entschiedensten Fürsprecherinnen von Waffenlieferungen an die Ukraine. Zudem sieht sie die Notwendigkeit, die Rüstungsindustrie in Europa energisch hochzufahren. Und vielleicht ringt sie dem Kanzler zuletzt noch ein Ja zur Taurus-Lieferung ab. Annalena Baerbock ist ganz sicher keine feministische Pazifistin.
Beim Thema des Pazifismus zeigt sich noch ein weiteres Problem: Auch Männer können Pazifisten sein. Es dürfte schwierig werden, einen qualitativen Unterschied zwischen weiblichen und männlichem Pazifismus zu machen. Das wird auch gar nicht erst versucht. Allenfalls wird vereinzelt behauptet, dass Friedensschlüsse, an deren Zustandekommen Frauen beteiligt waren, etwas länger halten würden. Das dürfte sich aber nur sehr schwer nachprüfen lassen. Feministischer Pazifismus ist ein ebenso schwankender Boden wie der Pazifismus generell.
Unerwartet elegante weibliche Erscheinung
In die Diskussion über die feministische Aussenpolitik werden seit mehreren Jahren die «3 R» eingeführt: «Rechte, Ressourcen, Repräsentanz». Das ist ein weites Feld, und niemand wird bestreiten, dass da manches im Argen liegt. Vielleicht haben Frauen dafür auch eine höhere Sensibilität als Männer. Aber ist eine Aussenpolitik schon deshalb «feministisch», weil sie sich dieser Themen in einzelnen Ländern und Regionen annimmt? Gibt es nicht auch zahlreiche Entwicklungshelfer, die sich leidenschaftlich für die Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen einsetzen?
Überhaupt ist das Thema der Gleichberechtigung zumindest in der Bundesrepublik Deutschland keine Frauendomäne. Schliesslich wurde die Gleichberechtigung schon im Grundgesetz festgelegt. Jede Regierung hat sich daran zu halten. In Bezug auf andere Regionen stellt sich wiederum das Problem, dass nicht alle Kulturen die westlichen Werte teilen. Inzwischen gibt es das Schlagwort vom «feministischen Imperialismus». Die Verwirrung lässt sich problemlos steigern: Wie steht es mit der Diversität? Sollten sich Feministinnen nicht auch für diverse andere Geschlechter stark machen? Aber ist ein solches Engagement noch spezifisch feministisch?
Das Etikett der «feministischen Aussenpolitik» erinnert an das oft bespöttelte «hohe C» als Markierung des christlichen Anspruchs in den Bezeichnungen der Unionsparteien, also der CDU und der CSU. Immer wieder wurde und wird danach gefragt, was denn an ihren Parteiprogrammen und ihrer Politik spezifisch christlich sei. Die Begründungen sind meist recht gewunden und komplex, abgesehen davon, dass es auch christliche Politiker in der SPD, der FDP und bei den Grünen gibt. Der Begriff «christlich» ist zu unscharf, um irgendeine klare politische Unterscheidung zu markieren. Aber er schadet auch nicht.
Vielleicht denkt sich das auch Annalena Baerbock in Bezug auf die «feministische Aussenpolitik». Aber das von ihr von Zeit zu Zeit hervorgekramte Etikett sollte nicht den Blick auf ihren ganz eigenen Stil verdecken. Mit grösster Sorgfalt wählt sie ihre Kleidung, und sie hat ihren ganz eigenen bezwingenden Charme. Damit verleiht sie dem Feminismus eine unerwartet elegante weibliche Erscheinung. Eine neue Art «feministischer Aussenpolitik». Ein Gewinn – nicht nur für Feministinnen.