Bis zum Vorsommer dieses Jahres galt Emmanuel Macron nach seinem Wahlsieg im Mai 2017 in Frankreich, ja in ganz Europa als das politische Wunderkind schlechthin.
Hatte der damals 39-Jährige, der sich in seinem Leben bis dahin nie einem Wählervotum gestellt hatte, doch quasi aus dem Nichts die Bewegung „En Marche“ auf die Beine gestellt und mit ihr nur ein Jahr später tatsächlich erst die Präsidentschaftswahl und anschliessend die Parlamentswahl gewonnen und nebenbei die herkömmliche Parteienlandschaft Frankreichs gründlich zertrümmert. Die altgediente Sozialistische Partei (PS) – ein immenser Scherbenhaufen – an diesem Dienstag musste sie endgültig ihren historischen Sitz in der Rue Solférino verlassen und in den Vorort ziehen. Die konservativen Republikaner (LR), die von 1995 bis 2012 den Präsidenten gestellt hatten – eine Ansammlung von heillos zerstrittener und hysterischer Politiker.
Tiefer Sturz
Ein Jahr lang waren Macron nach seinem Wahlsieg in Zeiten des sich ausbreiteten Rechtspopulismus die Sympathien aus dem In- und dem europäischen Ausland zugeflogen.
Damit scheint es seit diesem Sommer definitiv vorbei zu sein. So hoch wie der ehemalige Banker vor kurzem noch gelobt worden war, so tief ist Macron inzwischen gefallen. In den Meinungsumfragen steht er 15 Monate nach Amtsantritt nicht besser da als sein ungeliebter und glückloser Vorgänger, der Sozialist François Hollande.
Macrons autoritärer, ja arroganter Regierungsstil, seine fast peinlichen Versuche, in die zu grosse Uniform von General De Gaulle zu schlüpfen, sein permanentes Besserwissertum und seine mangelnde Empathie für die sozial Schwachen im Land sowie mangelnde konkret spürbare Ergebnisse seiner bisherigen Politik haben ihn in weiten Teilen der Bevölkerung seinen anfänglichen Kredit gekostet.
Minister gehen von Bord
Und dann verliert er nach der undurchsichtigen Affäre um seinen prügelnden Leibwächter, die das Sommerloch gefüllt hatte, unmittelbar nach der politischen Rentrée im September über Nacht die Nummer drei seiner Regierung. Der höchst populäre Umweltminister, Nicolas Hulot, der den ökologischen Umbau der Gesellschaft auf den Weg bringen sollte, schmiss seinen Job über Nacht hin und verurteilte die Lobby der Finanz- und Wirtschaftskreise, die im Élysée nach wie vor am längeren Hebel sitzen und die mangelnde Unterstützung des Präsidenten für eine echte ökologische Umkehr.
Doch damit nicht genug. Vor einer guten Woche hat sich dann auch noch die Nummer zwei der Regierung, der alternde Innenminister, Gérard Collomb, ein Macron-Anhänger der ersten Stunde, davongeschlichen und den jungen Präsidenten reichlich alt aussehen lassen. Ein Minister, der den Präsidenten am Ende einer mehrtägigen Tragikomödie quasi dazu zwingt, ihn zu entlassen, dies hatte es zuvor in der Fünften Republik noch nie gegeben. Ein klarer Autoritätsverlust für Macron.
Endlose Suche
Seitdem ist mehr als eine Woche vergangen und Macron hat immer noch keinen neuen Innenminister. Seitdem brodeln die Spekulationen, ob nur der Innenminister ersetzt wird oder eine grössere Regierungsumbildung ansteht und was sie bedeuten könnte. Es gibt Gerüchte, dass inzwischen fünf Personen den Posten des Innenministers und mehrere Sozialisten andere Angebote ausgeschlagen hätten. Und die Presse, die sich die Finger wund schreibt und die Informations-TVs, die auf Hochtouren arbeiten, mutmassen, dass Frankreichs junger Staatschef, der wie ein Phönix aus der Asche auf der politischen Szene des Landes aufgetaucht war, letztlich einfach nicht mehr über genügend erfahrenes politisches Personal in seiner nächsten Umgebung verfügt und nach nur 15 Monaten alle Karten ausgereizt hätte. Ein Innenminister, bei dem sämtliche heiklen Informationen zusammenlaufen, muss im französischen Regierungssystem das absolute Vertrauen des Staatspräsidenten haben. Nach Collombs spektakulärem Rücktritt wirkt es so, als sei Macron unfähig, diese Vertrauensperson zu finden.
Denn einen Minister zu ersetzen oder eine Regierung umzubilden, das dauerte in Frankreich in den letzten Jahrzehnten zwischen 24 und 48 Stunden. Schliesslich geht es dabei nie darum, gleichzeitig noch so etwas wie einen Koalitionsvertrag oder ein Regierungsprogramm auszuhandeln. Nun aber ist nach über einer Woche immer noch nichts entschieden und der Präsident ist erst mal zum Gipfel der Frankophonie nach Armenien gereist, von wo er nicht vor Freitag Abend wieder zurückkommen wird. Die Gerüchteküche in Frankreich kocht so lange weiter vor sich hin. Ein Zustand, der so ganz und gar nicht zum bisherigen Image des französischen Präsidenten passt, der oft den Eindruck erweckt hatte, er regiere das Land wie ein Manager seinen Konzern führt. Nun aber scheint er hilflos.
Ärger mit dem Premierminister?
Macron leistet es sich, dass der Eindruck entsteht, hier sei gerade ein enormes Geschachere um Posten im Gange und er selbst habe das Geschehen nicht mehr in der Hand. Denn eines scheint unter allen Gerüchten mittlerweile bestätigt: Präsident Macron und sein Premierminister Philippe sind bei der Suche nach einem neuen Innenminister offensichtlich erstmals seit 15 Monaten heftig aneinander geraten. Philippe, aus dem konservativen Lager kommend, soll für ehemalige Sarkozy-Vertraute plädiert haben, was Macron strikt abgelehnt haben soll. Eine ursprünglich geplante weitergehende Regierungsumbildung mit einem formalen Rücktritt des bisherigen Kabinetts, der sofortigen Wiederernennung von Philippe zum Premierminister, einer Regierungserklärung des alten, neuen Premierministers vor dem Parlament, umgeben von einer neuen Regierungsmannschaft und mit einer Vertrauensfrage vor der Nationalversammlung – all dies war, nach einer ungewöhnlich langen, zweistündigen Unterredung zwischen Präsident und Premierminister, plötzlich vom Tisch. Und seitdem geschah nichts mehr. Der Präsident ist nackt und einsam und hat echte Personalsorgen, raunt es aus den Redaktionsräumen
„Sowohl als auch“ am Ende
Auch diese ungewöhnlich holprige Regierungsumbildung zeigt: Macrons berühmtes „Sowohl als auch“ funktioniert nach nicht mal 18 Monaten schlicht und einfach nicht mehr.
Sowohl links als auch rechts, sowohl wirtschaftsliberal als auch sozialverantwortlich, sowohl für die Welt der Finanzen und der Wirtschaft als auch für die 9 Millionen Armen und 5 Millionen Arbeitslosen im Land, sowohl für die gut Ausgebildeten als auch für die ökonomisch Abgehängten in den dahinsiechenden Landstrichen Frankreichs – dieser Spagat hat einen Wahlkampf lang und einige Monate an der Macht funktioniert. Inzwischen aber ist Macron nur noch der Held der ersten Kategorie und damit der Präsident der Reichen. Ein Image, dessen er sich wohl kaum mehr wird entledigen können.
Ein Hauch von Hilflosigkeit
François Mitterrand, der Altmeister der präsidialen Monarchie in Frankreich – einer, der selbst von weit rechts kam, bevor er 1981 zum Helden der Linken wurde – er hatte damals, als Macron noch ein Kleinkind war, den Versuch, das Land im politischen Zentrum zu regieren mit den Worten umschrieben: „Das Zentrum ist weder links noch links“ ...
Heute heisst es: „Macron ist sowohl rechts als auch rechts“.
Alle Kommunikationsanstrengungen im Élyséepalast und in vielen Ministerien konnten letztlich nichts daran ändern, dass dieser Satz eine gängige Formel geworden ist.
Die Regierungsumbildung, die nun schon so unendlich lange auf sich warten lässt, sollte angeblich frischen Wind in die Regierung unter Macron bringen. So zumindest tönte es aus dem Élysée. Doch so wie das Ganze bislang über die Bühne ging, dürfte der erneuernde und belebende Effekt ziemlich schnell verpuffen und diese Regierungsumbildung als das erscheinen, was sie letztlich ist: ein Spektakel für die Galerie und ein Unterfangen, das einen hohen Grad von Hilflosigkeit in Macrons System an den Tag brachte.