Ein solches finanzielles Debakel erlebten das Osmanische Reich und Ägypten gegen Ende des 19.Jahrhunderts, als Europäer Steuereinnahmen konfiszierten, um die Bedienung ihrer Kredite zu sichern.
Die osmanische Schuldenkrise
Die Institution hieß „Ottoman Public Debt Administration“ (OPDA). Diese Behörde, gegründet 1881, wurde von europäischen Gläubigern beherrscht und hatte Zugriff auf Steuern der lukrativsten Zweige der osmanischen Wirtschaft – Alkohol, Holz, Seide, Tabak. Erträge aus diesen Bereichen flossen direkt in den Abbau der Schulden. Das Amt, das bis zu 5000 Menschen beschäftigte, war sogar berechtigt, Steuergesetze zu seinen Gunsten zu ändern.
Die osmanische Schuldenkrise begann mit den Ausgaben, die durch den Krimkrieg (1853-1856) entstanden, den das Imperium an der Seite Frankreichs und Groß-Britanniens gegen das russische Zarenreich führte. 1854 und 1855 nahm das Osmanische Reich Kredite von drei und fünf Millionen britischen Pfund auf, unter anderen bereit gestellt vom Bankhaus Rothschild in London.
Die relativ niedrigen Zinsen, von sechs bzw. vier Prozent verführten die Regierung dazu, sich in Europa weiter Geld zu leihen – denn die europäischen Kredite waren weitaus billiger als jene, die einheimische Banker gewährten. 1858 erhielt die Hohe Pforte noch einmal ein Darlehen von fünf Millionen Pfund, doch allmählich sank die Kreditwürdigkeit, der Ausgabekurs wurde ungünstiger, die Zinsen stiegen.
Der Anfang vom Ende
Bei jährlichen Einnahmen von etwa 22 Millionen Pfund musste die Hohe Pforte 1865 – nach weiterer Verschuldung in Europa - über fünfzig Prozent des Budgets, nämlich zwölf Millionen Pfund, für die Bedienung ihrer Schulden ausgeben. 1875 war das Imperium praktisch bankrott, Sultan Murad V. zeigte sich der Bürde seines Amtes nicht mehr gewachsen und wurde seines Amtes enthoben.
In der Gründung der OPDA sehen manche Historiker den Beginn vom Ende des Osmanischen Reiches. Tatsächlich ging das Imperium 1918 unter. Als sich dann europäische Mächte aufmachten, nicht nur Schulden einzutreiben sondern die osmanischen Territorien unter sich aufzuteilen, bedurfte es eines Mannes wie Kemal Atatürk, sich den Gläubigern entgegen zu stellen und eine vom Westen unabhängige Türkei zu gründen.
Ein ähnlicher Prozess endete in Ägypten mit der Machtübernahme Gamal Abdel Nassers 1952.
Finanzielle Last des Suezkanals
Denn – und damit beginnt das ägyptische Kapitel westlicher finanzieller Infiltration des Orients - europäische Gläubiger suchten auch Zugriff auf die Steuern, die aus Ägypten, das zum Osmanischen Reich gehörte, nach Istanbul flossen. Doch auch Ägypten näherte sich dem Bankrott.
Ursache hierfür war nicht ein Krieg, sondern der Bau des Suezkanals. Ferdinand de Lesseps, der französische Initiator des Projektes, fand in Europa nicht genügend Interessenten für eine Anleihe; so überredete er den leichtgläubigen ägyptischen Khediven Said (Regierungszeit 1854-1863), 44 Prozent der Anteile aufzubürden, die dieser sich aber leihen musste.
Diese Verschuldungspapiere – dette flottante genannt – waren, wie der Historiker Ulrich Haarmann schreibt, der Beginn vom Ende der ägyptischen Unabhängigkeit von Europa. Um die Schuld zu bedienen, um einige Investitionen zu tätigen und um Budgetdefizite auszugleichen machte besonders Khedive Ismail immer neue Schulden. Die Erneuerung Ägyptens nach europäischem Vorbild war das große Motto der Politik Ismails. 1878 erklärte Ismail, sein Land sei nicht mehr ein Teil Afrikas, vielmehr werde er es zu einem Teil Europas machen.
Ausverkauf an Europa
Diese Politik war eine Kopie der Bestrebungen des osmanischen Sultans. 1856 hatte Sultan Abdulmecit erklärt, er wolle sein Imperium der „großen Familie Europas“ anschließen. Am Ende aber stand der Ausverkauf an Europa – sowohl des Imperiums, als auch seiner Provinz Ägypten. Ismail musste 1876 der Gründung der Caisse de la Dette Publique zustimmen, einer Institution unter Kontrolle Frankreichs, Grossbritanniens und Italiens.
Die ägyptische Staatschuld wurde auf 91 Millionen Pfund Sterling festgesetzt, rückzahlbar in 65 Jahren bei einem Zinssatz von sieben Prozent. Die Caisse hatte die Aufgabe, die Rückzahlung der Schulden zu überwachen. (Aufgelöst wurde dieses Instrument europäischer Einflussnahme dann 1940, als die Briten auf das ägyptische Wohlverhalten im Kampf gegen Hitlerdeutschland angewiesen waren).
Nassers Putsch beendet die Kontrolle
Die Caisse entwickelte sich bald – jedenfalls sahen das die Ägypter so – zu einer Art „Regierung Europas“ in Ägypten. Als sich Ismail diesem Diktat nicht unterwerfen wollte setzte ihn der osmanische Sultan – auf Betreiben der europäischen Gläubigerstaaten – ab und schickte ihn ins Exil. Das große Projekt Ismails, Ägypten zu einem „Teil Europas“ zu machen, war auf sehr eigene Art und Weise wahr geworden.
Als sich 1880/1881 der ägyptische Oberst Orabi gegen die europäische Vormachtstellung wandte, übernahm Groß-Britannien kurzerhand die Kontrolle über Ägypten. Auch Orabi wurde ins Exil geschickt – von den Briten. Die britische Kontrolle endete erst mit dem Putsch Gamal Abdel Nassers 1952 und mit der Verstaatlichung des Suezkanals durch Nasser 1956.
Unheil für Griechenland und Italien?
Aber nicht nur Beispiele aus der nahöstlichen Geschichte zeigen, dass Staatsbankrotte keine Seltenheit in der Geschichte sind. Die DDR war bankrott, als sie von der Bundesrepublik eingemeindet wurde, Argentinien wurde 2001 zahlungsunfähig, Island 2008. Heute ist Griechenland bankrott, Griechenland und Italien müssen sich der Finanzkontrolle der Europäischen Union unterwerfen.
Einerseits ist dieser Zustand nur konsequent, denn beide Staaten sind Mitglieder der Union, haben aber gegen deren Regeln gehandelt. Andererseits ist die Budgetaufsicht Brüssels solange ein Eingriff in die staatliche Souveränität Griechenlands und Italiens, wie es nationale Hauhaltsrechte gibt.
Kassandrarufe in den USA
Doch das Unheil Europas erscheint gering im Vergleich mit einer Zahlungsunfähigkeit der USA, welche im Sommer 2011 drohte. Im Februar 2011 verglich das Chicago Freedom and Reason Forum die osmanische Schuldenkrise mit dem Zustand der USA. Hätten die Amerikaner ein besseres Verständnis der Geschichte, hieß es dort, könnten sie aus der osmanischen Schuldenkrise lernen und zum Beispiel auf Kriege verzichten.
„Unsere Wahl ist es, jetzt sparsam zu leben oder einer Zukunft entgegenzusehen, in der unsere Souveränität durch eine American Public Debt Administration unter der Aufsicht Chinas, Japans und vieler anderer ausländischer Gläubiger eingeschränkt wird.“ (www. chicago-freedom-forum.blogspot.com)