Die EU-Außen- und Sicherheitsbeauftragte hatte mit Zustimmung der neuen Herren am Nil den inhaftierten Mohamed Mursi besucht, als ausgerechnet aus der liberalen Ecke um Mohamed El-Baradei und der jugendlichen Protestbewegung „Tamarod“ mit ihren mehr als 20 Millionen Unterschriften gegen Mursis islamistischen Apparat die Begegnung Ashtons mit dem entmachteten Präsidenten als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Ägyptens kritisiert wurde.
Zwei Tage später wurde Guido Westerwelle der Wunsch verweigert, ebenfalls mit Mursi zusammenzutreffen. Hatte der deutsche Außenminister zunächst den Sturz des Präsidenten als einen „Rückschlag für die Demokratie“ beklagt, so sah er trotz der Absage an seinen Gesprächswunsch von Kritik an Verteidigungsminister Al-Sisi und am Generalstab ab und sprach stattdessen Ägypten das Recht auf einen eigenen Weg zu. Die Berliner Warnungen vor der fortgesetzten Verletzung rechtsstaatlicher Normen sind vergessen, und dass das Militär auf lange Zeit die einzige konstante Kraft bleiben wird, scheint nicht zu schrecken. Politische Stringenz sieht anders aus.
Der Missmut, den Ashton und Westerwelle ernteten, fallen in eine Zeit, in der der Bundesregierung und dem Westen insgesamt schweres Versagen gegenüber dem Nahen und Mittleren Osten vorgeworfen wird. In den USA gehören zu den Kritikern der gerade zum Beauftragten für die israelisch-palästinensischen Gespräche ernannte Martin Indyk, der 2009 in seinem Buch „Innocent Abroad“ („Einfältig im Ausland“) mit Washingtons Außenpolitik abrechnete, und nunmehr der für zwei Jahre ins Weiße Haus berufene Politologe Vali Nasr mit seinem Werk „The Dispensable Nation“ („Die entbehrliche Nation“).
Wie vor ihnen Daniel Kurtzer und andere Autoren haben sie Parallelstrukturen, Rivalitäten und mangelnde Koordination mit der Folge erheblicher strategischer Schwächen beklagt. Dass Barack Obama ausgerechnet John McCain auf Informationstour nach Kairo schicken will, den der erfahrene US-Botschafter Christopher R. Hill wegen dessen Forderung nach einer Militärintervention in Syrien zu den im Lehnstuhl sitzenden Falken („armchair hawks“) rechnete, bestätigt arabische Politiker aller Richtungen in ihrer tiefsitzenden Feindschaft gegen die Amerikaner. Dass John Kerry urplötzlich Al-Sisi angreift, wird ihm in der ägyptischen Öffentlichkeit keine Pluspunkte eintragen.
Schwere Vorhaltungen
In Deutschland hat sich jüngst der Rechts- und Staatswissenschaftler Lothar Rühl in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (30.07.2013) in die Kritiker-Phalanx aus Übersee eingereiht: Europa habe es nach dem Ende des Ost-West-Konflikts versäumt, eine schlüssige euro-atlantische Orientpolitik einschließlich einer Sicherheitsstrategie zu entwickeln. Die Europäische Union behandle, beanstandete Rühl, seine südliche Peripherie „mangels Engagement und Mitteleinsatz vor allem rhetorisch“. Zu den Beispielen rechnete der Autor den deutschen UNIFIL-Einsatz vor der Küste Libanons seit September 2006. Die Bundeskanzlerin sprach damals von einem „Einsatz von historischer Dimension“, während Außenminister Steinmeier friedenspolitische Effekte auf den israelisch-palästinensischen Konflikt erwartete. Obwohl das Ziel des Waffenembargos gegen Syrien und Iran verfehlt worden ist, hat der Bundestag das Mandat regelmäßig verlängert. Minimalismus ist Trumpf.
Der Hamburger Strafrechtler und Rechtsphilosoph Reinhard Merkel hat ebenfalls in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (01.08.2013) argumentativ eine andere Richtung eingeschlagen: Für ihn trägt der Westen eine schwere Mitschuld am syrischen Bürgerkrieg. Zumindest im Nachhinein stelle sich bei mehr als hunderttausend Toten und mit 1,4 Millionen Flüchtlingen die Frage nach „der Legitimität der bewaffneten Rebellion“. Das Assad-Regime sei eine Geisel für das syrische Volk, aber Bürgerkriege seien eine noch schlimmere Heimsuchung – zumal wenn außer „der maßlos schäbigen Politik Saudi-Arabiens, Qatars und der Türkei“ auch die drei westlichen Vetomächte die Aufständischen mit Waffen versorgen würden. Die tiefen Wunden des Bürgerkriegs werden sich in Generationen nicht schließen lassen, resümiert Reinhard Merkel.
„Runde Tische“ oder politische Diplomatie?
Die Begleitumstände und Folgen schwerwiegender Versäumnisse spüren die westlichen Politiker und Diplomaten allenthalben. So bleibt ihnen wie Ashton und Westerwelle lediglich der Appell an einen „Runden Tisch“ und an den „Dialog“, ergänzt durch humanitäre Hilfen, beträchtliche Kreditleistungen und verlorene Zuschüsse. Politisch hingegen wird Europa kaum akzeptiert, während Washington den Eindruck erweckt, sich Schritt für Schritt aus der einst so wichtigen Region zurückziehen zu wollen.
Die verzweifelten Bemühungen um Netanjahu und Abbas nach Jahren kaum erkennbarer Tatkraft bestätigen diese These. Nachdem Obama im Juni 2009 eine neues Kapitel zur arabischen und islamischen Welt aufschlagen wollte – ein prominenter Repräsentant der israelischen Siedler bezeichnete die Ankündigung argwöhnisch als eine revolutionäre ideologische Wende, vergleichbar mit Moses, der die Gesetzestafeln am Berg Sinai der zerschmettert habe –, sind die Amerikaner nun müde – eine Entwicklung, die der frühere Verteidigungsminister Donald Rumsfeld den Europäern vorwarf, als es 2003 um die Beteiligung am Irakkrieg ging.
In die Kerbe der Nachrede vom strategischen Unvermögen in Ägypten, Syrien und Iran hat ausgerechnet der frühere israelische Botschafter in Berlin Shimon Stein in der „Süddeutschen Zeitung“ (01.08.2013) geschlagen, wenn er „manchen“ Außenministern in Europa und in den USA „Hilflosigkeit“, „Ratlosigkeit“, „Unentschlossenheit“ und einen „Zickzackkurs“ vorhielt. Nicht unerwartet findet der Konflikt seines Landes mit den Palästinensern bei ihm nur in einem Halbsatz Erwähnung.
Die ehemalige Abgeordnete Einat Wilf verstieg sich am selben Ort (29.07.2013) sogar zur Gleichsetzung der deutschen 68er Bewegung mit den in der europäischen Nahostpolitik findet Gefallen. Tel Aviver Sozialprotesten im Sommer 2011, was ihren Einfluss auf die Politik im Blick auf „wahre Demokratie, Transparenz, soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung“ angehe.
Die linksbürgerliche Zeitung „Haaretz“ meldete freilich einen Tag später, dass die israelische Vertretung in Brüssel die EU-Diplomaten zwar „unter dem Radar“ beobachte, woraus diese dann die Konsequenz gezogen hätten, das Dekret zur kontinentalen Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen aus den Siedlungen der Westbank, Ost-Jerusalems und von den Golanhöhen im kleinen Kreis vorzubereiten, höchstwahrscheinlich aus Furcht vor Durchstechereien. Die Europäer wollen sich politisch emanzipieren und werden dabei nicht darum herumkommen, ihr Augenmerk auch auf die Banken, Supermärkte und andere Unternehmen in Israel zu richten, die mit den Siedlungen gut vernetzt sind.