Die Stallorder von Parteichefin Marine Le Pen an die elf frischgebackenen Front National- Bürgermeister ( drei weitere der insgesamt 14 rechtsextremen Gemeindeoberhäupter Frankreichs gehören formal nicht zur Partei) ist eindeutig: keinen grossen Wind machen, keine Skandale, weiter am Image der Hof- und Salonfähigkeit feilen, zumindest bis zu den Europawahlen Ende Mai, wo man stärkste Partei werden möchte. Keine Massnahme und keine Geste, die einem den Ruf eintragen könnte, eben doch Faschos und Neonazis zu sein, alles tun nach dem Motto: wir sind eine Partei, wie jede andere auch und sind respektabel.
Menschenrechtsliga
Gleichzeitig muss man als frisch gewählter Bürgermeister der marineblauen Bewegung aber doch irgendwelche Zeichen setzen. Der erste, der in dieser Richtung loslegte, war Steeve Briois, Generalsekretär der Partei, der in der nordfranzösischen Front-National-Hochburg Hénin-Beaumont gleich im ersten Wahlgang mit über 50% der Stimmen gewonnen hatte. Noch am Tag der Amtsübernahme in der 27'000-Einwohner-Stadt hat er der dortigen Sektion der Französischen Menschenrechtsliga die Subventionen gestrichen und ihr ein bislang kostenlos zur Verfügung gestelltes städtisches Lokal entzogen. Sein Argument: die Menschenrechtsliga sei ein politischer Verein, der zudem seit Jahren gegen die Nationale Front agiert habe. Letzteres stimmt natürlich, der Menschenrechtsliga deswegen die städtischen Subventionen zu entziehen gibt aber eine kleine Vorahnung von dem, worauf sich Opponenten in Front-National-Städten in Zukunft einstellen dürfen.
Andere Stadt, anderes Symbol
Die 50'000-Einwohner-Stadt Fréjus am Mittelmeer hat ein 26jähriges Stadtoberhaupt gewählt, das seit zehn Jahren ein begeisterter Anhänger der Nationalen Front ist und zudem eine Vergangenheit in einem neofaschistischen Schlägertrupp aufzuweisen hat, die er heute, so gut es geht, zu kaschieren versucht. Seine erste Geste: die Europafahne am Eingang des Rathauses liess er abnehmen, sie habe dort wahrlich nichts zu suchen, Fréjus sei schliesslich eine französische Gemeinde.
Er tat dies just an dem Tag, an dem Marine Le Pen die Spitzenkandidaten der Nationalen Front für die Europawahlen präsentierte.
Und fast wie selbstverständlich machte der 26jährige David Rachline, kaum dass er die blau-weiss-rote Schärpe des Bürgermeisters angelegt hatte, Stimmung gegen die muslimische Bevölkerung von Fréjus, indem er so tat, als werde er alles tun, um den Bau einer Moschee zu verhindern. Das Problem ist nur, dass die Baugenehmigung dafür schon seit zwei Jahren erteilt ist und die ersten Fundamente des Baus bereits gegossen sind.
Reporter ohne Grenzen
Derjenige, der diese beachtliche Nicht-Regierungsorganisation einst gegründet hat, Robert Ménard, ist jetzt Bürgermeister der 70'000-Einwohner-Stadt Béziers – gewählt auf einer Liste, die offensiv von der Nationalen Front unterstützt wurde. Er ist einer, der von der Linken im Lauf der letzten zehn Jahre ganz weit nach rechts gerutscht ist. Was ist ihm, dem Sohn dieser südfranzösischen Region, eingefallen? Eine Ausgangssperre für Kinder/Jugendliche unter 13 zwischen 23 und 7 Uhr. Macht sich immer gut und ist eigentlich nur eine Frage des gesunden Menschenverstands. Was hat ein Zwölfjähriger um Mitternacht allein auf der Strasse zu suchen? Nichts. Zufällig ist es aber im Alltag so, dass vor allem Kinder aus nord- und schwarzafrikanischen Familien zu dieser Zeit ab und zu tatsächlich mehr oder weniger alleine angetroffen werden, aus welchen Gründen auch immer.
Ansonsten hat Monsieur Ménard, der während des Wahlkampfs immer darauf beharrt hatte, kein Front-National-Mitglied zu sein, zwei ganz böse Finger mit eindeutig rechtsradikaler Vergangenheit als allerengste Mitarbeiter im Rathaus rekrutiert. Der eine stammt aus einer so genannten national-revolutionären Splittergruppe, “Der Dritte Weg”, die 2013 sogar von den Behörden aufgelöst wurde. Der andere sass bislang in der Direktion des “Bloc Identitaire” - ein rechtsextremes Grüppchen, das für das weisse Frankreich kämpft. “ça promet” - sagt da der Franzose.
Ausserdem werden die Rugbyfans in Béziers in den nächsten Monaten auf ein paar hochkarätige Freundschaftsspiele verzichten müssen. Der Spitzenclub FC Toulon hat bereits angekündigt, in einer Stadt, die von Rechtsextremen regiert wird, für ein Freundschaftsspiel nicht mehr zur Verfügung zu stehen.
Die Stadt des Hochfranzösischen
Jeder Romanistikstudent hat irgendwann etwas vom Edikt von Villers Coterets gehört. François Ier, der grosse König der Renaissance, hat darin 1539 das Französische zur einzigen Amtssprache erhoben und damit begonnen, dem Sprach- und Dialektchaos im Reich den Kampf anzusagen. Ausgerechnet diese Stadt in der ganz, ganz weiten Bannmeile von Paris, bereits auf dem Weg zur Krönungsstadt der französischen Kaiser, nach Reims, ausgerechnet sie hat jetzt auch einen Bürgermeister aus den Reihen der Nationalen Front.
Natürlich musste auch der mit einem Symbol aufwarten und hat sich dafür entschieden, den 10. Mai zu boykottieren. Dieses Datum ist seit einigen Jahren der Gedenktag für die Verbrechen der Sklaverei. Das ständige Buckeln und das schlechte Gewissen, weil Frankreich einst Kolonialmacht und in den Sklavenhandel verwickelt war, sei nicht seine Sache, liess der frisch gebackene Bürgermeister wissen und setzte die Gedenkzeremonie für die Opfer der Sklaverei kurzerhand ab. Besonders pikant dabei ist, dass der Vater des grossen Schriftstellers Alexandre Dumas, ein General, eben aus Villers Coterets stammte und seines Zeichens … Mulatte war.
Kantinenessen
Kurz nach den Gemeinderatswahlen hatte Parteichefin Le Pen gemeint, ihren Bürgermeistern noch einen praktischen Vorschlag mit auf den Weg geben zu müssen, für den Front-National-Wähler ganz besonders empfänglich sind. Sie sollten doch, meinte sie, dafür sorgen, dass auf den Menus in den Schulkantinen ihrer Gemeinden wieder Schweinefleisch vorkommt. Bei genauerem Hinsehen stellte sich dann allerdings heraus, dass diese Fleischsorte nirgendwo jemals von der Menukarte der Schulen verbannt worden war.
Kollateralschäden
Ein halbes Dutzend belgische und deutsche Partnerstädte der Front-National-Gemeinden haben bislang ihre Partnerschaften mit den französischen Städten mehr oder weniger ausgesetzt. Der Bürgermeister des belgischen Farciennes denkt nicht daran, dem Front-National-Kollegen im südfranzösischen Beaucaire die Hand zu schütteln, zumal diese Städtepartnerschaft einen ganz besonderen Hintergrund hat : nach 1940 hatten Dutzende Bewohner der belgischen Stadt, die vor Hitlers Truppen geflohen waren, in der südfranzösischen Rhonestadt Aufnahme gefunden. Ausserdem hat ein Festival der elektronischen Musik bereits angekündigt, dass seine 3. Ausgabe, die im Sommer in der Stierkampfarena stattfinden sollte, abgesagt ist. Der Bürgermeister aus dem saarländischen Neunkirchen ist schockiert und legt die Partnerschaft mit Mantes-La-Ville, 50 Kilometer westlich von Paris, erst mal auf Eis. Dort hat der FN- Bürgermeister, der mit gerade mal 60 Stimmen Vorsprung gewonnen hatte, sich bislang vor allem dadurch ausgezeichnet, dass er ebenfalls gegen eine Moschee wettert, die im Grunde nichts anderes ist als ein grösserer Gebetssaal, für den die muslimische Gemeinde in dieser 20'000-Einwohner-Stadt nun schon ein Vierteljahrhundert vergeblich kämpft.
Das Stadtoberhaupt im westfälischen Herne prüft, wie es mit dem nordfranzösischen Henin-Beaumont weitergehen soll, sein Kollege aus Triberg im Schwarzwald will das Stadtoberhaupt von Fréjus am Mittelmeer erst mal kennenlernen, bevor er eine Entscheidung trifft.
Den Front-National-Bürgermeistern dürften diese Boykottandrohungen jedoch mehr oder weniger egal sein. Städtepartnerschaften, das riecht nach Europa und Europa ist der Teufel - besonders vor den Europawahlen am 25. Mai.