Adelheid Bahr, die Frau des 2015 verstorbenen Politikers Egon Bahr, hat das Buch herausgegeben. In mehreren Beiträgen wird daran erinnert, wie am Ende des Kalten Krieges die Chance verpasst worden sei, Russland in eine neue Sicherheitsordnung einzubeziehen. Stattdessen habe die Nato-Osterweiterung stattgefunden.
Fatale Fehlentwicklung
Die gleiche Nato-Osterweiterung wird mit dem Hinweis auf das „souveräne Recht“ jedes Staates gerechtfertigt, seine Bündnispartner frei wählen zu können. Daran erinnert Herwig Roggenmann, ein Experte des internationalen Rechts. Für Roggenmann sind jedoch die politischen Folgen ausschlaggebend: „Dieses von den USA initiierte und unterstützte Vorgehen hat sich als folgen reichste Fehlentwicklung für eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung erwiesen.“
„Druck erzeugt Gegendruck“, gibt der in Berlin lebende Publizist Friedrich Dieckmann zu bedenken. Ein Land mit Sanktionen zu bestrafen, sei das sicherste Mittel, nationalistische Tendenzen und innere Machtstrukturen zu stärken. Putins Russland liefere den Beweis.
Falsche Strategie des Westens
Die Wirtschaftssanktionen des Westens gehen am eigentlichen Ziel vorbei. Sie sind nicht fähig, einen Keil zwischen Putins Regime und der Wirtschaftselite zu treiben. Im Gegenteil: Der Staatskapitalismus nimmt zu. Ein neuer Eiserner Vorhang wird aufgezogen, aber nicht von russischer sondern von westlicher Seite. Die Strategie des Westens, das System Putin vom Volk zu spalten, geht nicht auf.
Bemerkenswert ist auch, was der ehemalige deutsche Luftwaffengeneral Harald Kujat zu sagen hat: „Wir haben es versäumt, einen Beitrag zum zum Bau des „gemeinsamen Hauses Europa“ (Michail Gorbatschow) zu leisten, in dem auch Russland seinen angestammten Platz hat. Die Chance für eine Friedensordnung von Vancouver bis Wladiwostok ist vertan.“ Es fehle heute, so Kujat, an qualifizierten Politikern wie Helmut Schmidt, Egon Bahr oder Hans-Dietrich Genscher. Sie hätten damals den Mut gehabt, eine eigenständige Aussenpolitik zu vertreten, unabhängig von den Vorgaben der USA, ausgerichtet an den Interessen der Menschen in Deutschland und Europa.
Bedenkliche Statistiken
„Mittlerweile haben die Nato-Staaten auf Druck der USA eine drastische Vermehrung der Rüstungsausgaben beschlossen“, schreibt Oskar Lafontaine. Zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts sollen für Rüstung ausgeben werden. Die USA, die während vielen Jahren mehr als 600 Milliarden Dollar für ihr Militär ausgegeben haben, beschlossen für das Jahr 2019 eine Erhöhung ihrer Kriegsausgaben auf über 700 Milliarden Dollar. Russland gibt gemäss internationalen Statistiken weniger als ein Zehntel davon für Rüstung aus: 2017 waren es rund 66 Milliarden.
„Nato-Truppen stehen heute“, so Lafontaine, „an der russischen Grenze. In Polen und Rumänien wurden Raketenbasen errichtet. Gegen Russland wurden Sanktionen verhängt, die auch die europäische Wirtschaft schwächen, während die USA davon kaum betroffen sind.“
Florian Rötzer, Mitbegründer und Chefredaktor des Online- Magazins Telepolis, gibt zu bedenken: „Die Nato versteht sich als Wertegemeinschaft. Das westliche Verteidigungsbündnis hat selber aber keine Probleme mit völkerrechtswidrigen Kriegen und Interventionen wie im Irak und sieht tatenlos zu, wie sich Länder wie die Türkei, aber auch Ungarn und Polen von der Demokratie und vom Rechtsstaat verabschieden.“ Dabei gehe es nicht mehr wie im Kalten Krieg um „Links“ oder „Rechts“, um Kommunismus oder Kapitalismus, sondern nur noch um wirtschaftliche und geopolitische Interessen.
Öffentliche und veröffentlichte Meinung
Der Journalist Richard Kiessler macht auf den Gegensatz zwischen öffentlicher Meinung und veröffentlichter Meinung aufmerksam: „Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik sieht sich eine knappe Mehrheit der Deutschen von Trumps Amerika mehr bedroht als von Putins Russland.“ Eine Mehrheit der deutschen Medien, darunter etliche Leitmedien, verharrten seit dem völkerrechtswidrigen Anschluss der Krim an Russland einem unreflektierten Russenhass.
Der Vize-Präsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Kubicki, beschäftigt sich mit der Wortschöpfung „Putinversteher“. Sie zeige uns, dass „Verstehen“ oder „Verständnis“ in diesem Zusammenhang als überhaupt nicht mehr angebracht definiert werde. Mit dem Versuch, sich gedanklich in die Motive, Sorgen und Aengste des anderen hineinzuversetzen, mache man sich automatisch verdächtig, die fünfte Kolonne Moskaus zu sein.
„Man könnte auch sagen, wir waren schon einmal deutlich weiter“, meint Kubicki und erinnert an Willy Brandt, Walter Scheel oder Hans-Dietrich Genscher. Hätten sie damals nicht versucht, sich gedanklich in die Lage Leonid Breschnews oder Andrei Gromykos zu versetzen, wäre der „Wandel durch Annäherung“ und damit ihre gesamte Ostpolitik gescheitert.
„Warum wir Frieden und Freundschaft mit Russland brauchen“, herausgegeben von Adelheid Bahr. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2018