Die vergangene Woche hat in Frankreich eines deutlich gemacht: die Periode der so oft beschworenen „Nationalen Einheit“ nach den Terroranschlägen Anfang Januar ist endgültig vorbei. Der kleinkarrierte politische Alltagsstreit darf sich wieder Gehör verschaffen und viel Raum einnehmen in der öffentlichen Debatte, ohne sich schämen zu müssen und ohne dass es dafür gleich ein paar auf die Finger gibt.
Artikel 49 - 3
Um ein Reformgesetz durchzubringen, das selbst nach den Worten des Staatspräsidenten gewiss nicht "das Gesetz des Jahrhunderts" ist, eher schon ein Potpourri, in dem man Kraut und Rüben durcheinander gewürfelt hatte, musste der Premierminister doch tatsächlich auf eine Ausnahmeregelung der französischen Verfassung zurückgreifen, auf den Artikel 49 - 3, ein Unikum in westlichen Demokratien: Er erlaubt der Regierung ein Gesetz auch ohne Zustimmung des Parlaments durchzubringen - was ganz nebenbei einiges über den Geist der Verfassung der 5. Republik und die untergeordnete Rolle des Parlaments in Frankreich aussagt.
Die Aufständischen
In letzter Minute mussten Präsident und Premierminister diesen Paragraphen aus dem Sack holen, weil ihnen klar wurde, dass die so genannten "Frondeurs", die Aufständischen in der eignen sozialistischen Partei, rund 40 an der Zahl, sich nicht nur enthalten, sondern gegen dieses Gesetz stimmen würden - und dies nur einen Monat vor landesweiten Departementswahlen.
Es sind Abgeordnete des linken Flügels der sozialistischen Partei, die keine wirklichen Alternativen zu bieten haben, sich verhalten wie vor drei oder vier Jahrzehnten, so tun, als hätten sie geglaubt, was Francçis Hollande vor drei Jahren während seines Wahlkampfs erzählt hatte und nun nicht bereit sind, seinen "sozialdemokratischen Kurs" - nach wie vor ein Schimpfwort auf der französischen Linken - mitzugehen, gebetsmühlenhaft von François Hollande eine " linke Politik" fordern, sich von den griechischen Wahlergebnissen beflügelt sehen und so tun, als könnte die Revolution doch noch einmal stattfinden. Dass die Nationale Front mittlerweile bei 30% der Stimmen angekommen ist, scheint sie dabei nicht weiter zu stören und dass es de facto den Wählern ziemlich egal ist, dass da einige Sozialisten sich für den nächsten Parteikongress in Stellung bringen, scheint ihnen ebenfalls nicht in den Sinn zu kommen.
Geschrumpfte Mehrheit
Fakt ist: an diesem 17. Februar gegen 16.15 Uhr hatten Frankreichs Präsident und die Regierung seines Premierministers erstmals im Parlament keine sichere Mehrheit mehr, obwohl die gesamte Linke im Prinzip über 340 Abgeordnete verfügt - die Mehrheit liegt bei 289.
Dieser Tag wird ein Meilenstein, ja eine Wende in der Amtszeit von Staatspräsident Hollande sein: er musste zu den letzten Mitteln greifen, um das Reformgesetz für mehr Wirtschaftswachstum durchzubringen - ein in den Augen der aufmüpfigen sozialistischen Abgeordneten wirtschaftsliberales, arbeitnehmerfeindliches Gesetz.
Zaghaftes Reformgesetz
Dabei findet sich in diesem Gesetz mit einer Reihe von Massnahmen ohne klare Linie nichts von einer gewichtigen Strukturreform oder einer fundamentalen Liberalisierung des tatsächlich schwerfälligen Arbeitsmarktes in Frankreich. Es soll die Ladenöffnungszeiten vor allem an Sonntagen zum Teil deutlich ausweiten, den Fernbustransport - der in Frankreich de facto so gut wie gar nicht existiert - liberalisieren. Es soll zudem bislang geschützten Rechtsberufen wie Notaren, Rechtsanwälten und Gerichtsvollziehern, aber auch den etablierten Fahrschulen mehr Konkurrenz bescheren, Arbeitsgerichtsverfahren weniger kompliziert gestalten und die Privatisierung von mehreren Regionalflughäfen ermöglichen – alles in allem soll es als Symbol für die Reformfähigkeit Frankreichs dienen, so als wolle man vor allem auch Brüssel signalisieren: seht her, wir können es doch.
Stagnation
Sicher scheint aber nach diesem Psychodrama bei Frankreichs Sozialisten, das ihnen mit Sicherheit keine Wähler zurückgebracht hat und angesichts der extrem geschrumpften linken Mehrheit, die noch hinter dieser Regierung steht, dass die verbleibenden zwei Jahre der Amtszeit von Staatspräsident Hollande unter diesen Bedingungen eher auf Stagnation hindeuten und keine weiteren Reformen mehr versprechen, die gewisse verkrustete Strukturen in der Wirtschaft des Landes aufbrechen könnten. Ein geschwächter Präsident und Premierminister werden sich mühsam über die Zeit retten und hilflos zuschauen, wie die Nationale Front von Monat zu Monat stärker wird.